15.28 Urteil des Landesgerichtgs für Strafsachen I Wien (G.Z. Vr VI/4093/25 als Schöffengericht; Vorsitz: Czerny)

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Datum: 15. Januar 1927
Seite von 6

Abschrift Geschäftszahl Vr VI 4093/25

Im Namen der Republik!

Vor dem Landes-Gericht für Strafsachen Wien I als Schöffengericht istgemäß der die Hauptverhandlung anordnenden Verfügung vom 4. Jänner 1927am 15. Jänner 1927 unter demVorsitze des Hofrates Dr. Czerny im Beisein des Bez.Richt. Meixner als Richters.

der Schöffen Isidor Jolles Roman Kucera und des J.Akt. Hanak als Schriftführersin Gegenwart des Staatsanwaltesdes Privatanklägers Vertreters Dr. Oskar Samek für Karl Kraus,Schriftsteller in Wien und Richard Lanyi, Buch-händler in Wien,Angeklagten Dr. Fritz Kaufmann und des Verteidigersüber die Anklage verhandelt worden, die die Staatsanwaltschaftder Privatankläger Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.Richard Lanyi, Buchhändler in Wien I gegen Dr. Fritz Kaufmann, 30 Jahre alt, verheiratet,Redakteur der „Stundewegen Vergehen nach § 44 und Übertretung nach § 45 Absatz 3 des Gesetzesvom 26.III.1895 RGBL. 127 betreffend das Urheberrecht an Werkender Literatur, Kunst und Photographie in der Fassung der Voll-zugsanweisung des Staatssekretärs für Justiz vom 31.VIII.1920STGBL. Nr. 417, die auf Grund des Artikels IV des Gesetzes 1895,RGBL. Nr. 197 betreffend das Urheberrecht erlassen wurde.

Über den vom Ankläger gestellten Antrag auf Schuldigsprechung undBestrafung des Angeklagten im Sinne der erhobenen Anklage, sowieeauf Verurteilung zur Zahlung einer Entschädigung von 200 S.–für erlittene Kränkung und Veröffentlichung des Erkenntnissesauf Kosten des Angeklagten in der Zeitung „Die STUNDEhat das Schöffengericht am 15. Jänner 1927 zu Recht erkannt:

Der Angeklagte Dr. Fritz Kaufmann ist schuldig, im Mai1925 in Wien, wissentlich die Nachbildung des Porträts des HerrnKarl Kraus, ohne dessen Zustimmung zum Druck befördert, also ver-öffentlicht und verbreitet zu haben.

Er hat hiedurch das Vergeben nach § 44 und die Übertretungnach § 45 Absatz 3 des Gesetzes vom 26. Dezember 1895 RGBL. 197 betreffend das Urheberrecht begangen und wird nach § 44 diesesGesetzes unter Anwendung des § 265 STPO. mit Rücksicht auf die Urteiledes Strafbezirksgerichtes I vom 21.IX.1926, 9.II.1926, 27.IV.1926und das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien I vom 27.III.1926 zu einer Geldstrafe vondreihundert (300) Schillingund im Nichteinbringungsfalle zudrei, (3) Wochen Arrest,und gemäss § 389 STPO. zum Ersatze der Kosten des Strafverfahrensund des Vollzuges verurteilt.

Gemäss § 49 des Urheberrechtsgesetzes wird auf Verfall der beiwem immer vorhandenen zum Vertriebe bestimmten Vervielfältigungenund Nachbildungen und auf Unbrauchbarmachung der zur Nachbildungausschliesslich bestimmten Vorrichtungen erkannt.

Gemäss § 51 des zitierten Gesetzes wird den Privatanklägerndie Befugnis zugesprochen das verurteilende Erkenntnis ohne Gründeauf Kosten des Verurteilten innerhalb einer Frist von 30 Tagen

nach Rechtskraft in der Zeitung „Die STUNDE“ öffentlich bekannt zu machen.

Gründe:

Durch das tatsächliche Vorbringen des Angeklagten Dr. FritzKaufmann, durch die Aussagen der vernommenen Zeugen und dieErhebungen ist folgender Tatbestand festgestellt.In der periodischen Zeitschrift „Die Stunde“ vom 26.V.1925Nr. 663 ist auf der ersten Seite ein Bild des Schriftstellers KarlKraus veröffentlicht. Das Bild stellt den Herrn Karl Kraus daran einem Tische sitzend, auf dem eine Flasche Bitterwasser und einGlas steht. Im Hintergrunde ist die Kapelle einer Zigeunermusik ab-gebildet.

Die Kläger behaupten, dass das Bild eine Nachbildung des Photogra-phieporträt des Herrn Karl Kraus ist, welches über Bestellung desPrivatklägers Richard Lanyi mit Zustimmung des PrivatanklägersKarl Kraus, bei dem Photographieatelier Joel Heinzelmann in Charlottenburg hergestellt worden ist. Die Veröffentlichung inder „Stunde“ geschah in der Form, dass der Hintergrund des Origi-nalbildes geändert wurde und dass an Stelle von Büchern die aufdem Originalporträt mitphotographiert waren, eine Flasche Bitter-wasser und ein Glas eingezeichnet wurden.

Der Angeklagte Dr. Fritz Kaufmann gibt zu, dass das Bild denPrivatankläger Karl Kraus darstellt und bestreitet nicht, dass dievon dem Privatankläger vorgelegte Originalphotographie über Bestel-lung des Herrn Richard Lanyi angefertigt worden ist. Er behauptet al-lerdings darüber Positives nicht zu wissen.

Der Gerichtshof ist der Meinung, dass durch das Vorbringen derPrivatankläger, im Zusammenhange mit der Erklärung des AngeklagtenDr. Fritz Kaufmann, das Urheberrecht des Privatklägers Lanyi glaub-haft gemacht ist, dass es also eines weiteren Beweises für dasKlagerecht des Privatanklägers Richard Lanyi nicht bedarf. Die

rechtzeitige Erhebung der Verfolgung und des Strafantrages stehtausser Zweifel, da die Einleitung der Voruntersuchung bereitsam 20.VI.1924, also jedenfalls innerhalb 6 Wochen, nach demErscheinen des Bildes bei Gericht begehrt worden ist.

Die Behauptung der Kläger, dass das Bild in der „Stunde“ eineNachbildung des in Charlottenburg aufgenommenen Photographieporträtist, ist zweifellos richtig. Durch die Aussage des Zeugen AdalbertSipos ist ja erwiesen, dass die Photographie ihm von einemRedaktionsmitglied gezeigt und mit dem Auftrag übergeben wurde,in das Bild in eine Zigeunerkapelle hineinzukomponieren, die Bücherwegzuretuschieren und an ihrer Statt, eine Bitterwasserflascheund ein Glas hineinzusetzen. Zeuge Adalbert Sipos gibt zu, dass erdiesen Auftrag ausgeführt hat, indem er das ausgeschnittene Porträtin ein altes ihm zur Verfügung gestelltes Bild einer Zigeunerkapelleeinklebte und die Wasserflasche und das Glas nach einem vorhandenenMuster eingezeichnet hat.

Der Angeklagte Dr. Fritz Kaufmann gibt zu, dass ihm die fertig-gestellte Zeichnung vor der Beförderung zum Drucke zur Einsicht vor-gelegt worden ist und dass er sie weitergegeben also zum Druckebefördert hat. Seine Verantwortung geht dahin, dass er als verant-wortlicher Redakteur lediglich zu prüfen hatte, ob der Inhalt desBildes einen strafbaren Tatbestand bildet, dass er sich aber darannicht zu bekümmern brauche, ob die Redaktion zur Veröffentlichung be-rechtigt sei oder nicht.

Diese Verantwortung ist ganz unstichhältig. Der AngeklagteDr. Fritz Kaufmann ist als verantwortlicher Redakteur wegen Ver-nachlässigung der pflichtgemässen Obsorge nicht unter Anklage gestelltsondern deshalb, weil er an der widerrechtlichen, unbefugten Verviel-fältigung und Verbreitung des Werkes der Phtotographie wissentlichbeigetragen hat. Da der Angeklagte Dr. Fritz Kaufmann zugibt, dasser das Bild in Händen gehabt, es vom Standpunkte seiner Haftung alsverantwortlicher Redakteur geprüft und dann zum Drucke weitergegeben

hat, ist festgestellt, dass er an der Veröffentlichung und Nachbildungdes Photographieportät mitgewirkt hat. Er kommt also als unmittelbarerTäter in Betracht. Die behauptete Unkenntnis der urheberrechtlichenGesetzesbestimmungen kann ihn nicht entschuldigen. Dass ein Eingriffin das Urheberrecht vorliegt, ist nach Anschauung des Gerichtshofesgleichfalls ausser Zweifel. Durch die Verantwortung des Zeugen Adal-bert Sipos und durch die Angaben des Zeugen Anton Stranyak ist ausser Zweifel, dass in der Redaktion der „Stunde“ das Original-porträt aufgelegen ist und dass aus diesem Porträt, die Figur heraus-geschnitten worden ist. Das vom Zeugen Adalbert Sipos hergestellteBild ist also eine Nachbildung des Originalwerkes.

Die Verantwortung des Angeklagten Dr. Fritz Kaufmann, dass durchdie Änderung des Hintergrundes, durch die Beigabe einer Flasche Bitter-wasser an Stelle der Bücher, ein neues Werk, nämlich eine Karrikaturzustande kam, das nicht als Nachbildung des Originalwerkes anzusehensei, ist unrichtig. Nach § 3 des Urheberrechtgesetzes ist das Origi-nalwerk nicht nur als Ganzes, sondern auch bezüglich jedes Teilesgeschützt. Dazu ist das Bild der dargestellten Person ganz zweifellosder wichtigste und bedeutendste Teil eines Photographieporträts. Diemechanische Nachbildung dieses Werkes, sei es auch mit anderen Beigaben,kann also nie die Herstellung eines selbstständigen Kunstwerkes sein.Dass die Redaktion der „Stunde“ eine Bewilligung zur Vervielfältigungdes Porträt, sei es in der Originalform, sei es als Karrikatur nicht be-sessen hat, steht ausser Zweifel, dass der Angeklagte Dr. Fritz Kauf-mann dies wissen musste, ebenso, denn es war ihm bekannt, dass geradezu der Zeit zwischen der Redaktion der „Stunde“ und dem SchriftstellerKarl Kraus ein lebhafter Kampf geführt worden ist. Er musste sich alsodarüber klar sein, dass weder Karl Kraus seine Zustimmung zur Ver-öffentlichung seiner Photographie noch der Besteller des Porträtsseine Einwilligung zur Vervielfältigung der Redaktion erteilt hatte.

Wenn die Veröffentlichung trotzdem erfolgt ist, so ist sie ebenwissentlich und unbefugt geschehen und damit der Tatbestand desVergehens nach § 44 und der Übertretung nach § 45 Zahl 3 Urheberrechts-gesetz in jeder Beziehung gegeben und festgestellt.Bei der Strafbemessung kam als mildernd das tatsächlicheGeständnis, als erschwerend die Konkurrenz eines Vergehensmit einer Übertretung in Betracht und war auch auf § 265 STPO. Bedachtzu nehmen, da der Angeklagte Dr. Fritz Kaufmann seit Verübung dieserstrafbaren Handlung bereits mehrmals verurteilt worden ist.Die Aussprüche nach § 49 und 51 Urheberrechtgesetz sind mit Rück-sicht auf die Verurteilung des Angeklagten Dr. Fritz Kaufmann in denzitierten Gesetzesstellen begründet.

Das Begehren auf Zuspruch einer Entschädigung nach § 50 deszitierten Gesetzes scheint dem Gerichtshof unbegründet, es ist ein ma-terieller Nachteil der Kläger durch die Veröffentlichung des Bildesin einer Tageszeitung nicht geschehen. Wenn die Veröffentlichungselbst als Kränkung des einen der Privatankläger angesehen wird, istdie Kränkung nicht in der Urheberrechtsverletzung, sondern in der ent-stellten Form zu suchen. Für diese Kränkung müsste daher die Sühneauf anderem Wege gesucht werden.

Der Kostenausspruch stützt sich auf die zitierte Gesetzesstelle.

Wien, am 15. Jänner 1928.Der Vorsitzende: Der Schriftführer:Dr. Czerny m.p Hanak m.p.