23.16 Vernehmung des Beschuldigten [Protokoll der neuerlichen Einvernahme Kaufmanns]

Materialitätstyp:

  • Typoskript
Datum: 17. Dezember 1925
Seite von 4

Abschrift.

Vernehmung des Beschuldigten.Landesgericht für Strafsachen Wien I am 15.XII.1925 Beginn 10 Uhr

Gegenwärtig:Richter: LGR. Dr. Moyzisch Schriftführer: Schallek Strafsache gegen Dr. Fritz Kaufmann und Gen.

Dr. Fritz Kaufmann 16.8.1896 Wien Wien verh.verantwortlicher Redakteur der „Börse“, „Bühneund „StundeSchulbildung: HochschuleVIII. Piaristengasse 56 Name der Eltern, des Ehegatten: Dr. Felix gest., Wilma K. Helene K. Pflicht für andere zu sorgen: Gattin und 2 Kinder(2 und 4 Jahre)Vorstrafen: Wegen Pressdelikten 8–10 mal Landesgerichtfür Strafsachen und Strafbezirksgericht I

Beschluss auf Einleitung der V.U. ob Verdachtes des Vergehens derEhrenbeleidigung kundgemacht.

Ich gebe zu, seit zirka 3 Jahren, somit auchzur kritischen Zeit, 30. und 31. Oktober 1925, verant-wortlicher Redakteur der Zeitung „Die Stunde“ gewesenzu sein.

Den Artikel „Karl Kraus, der Kämpfer“ in Nr 794 der genannten Zeitung habe ich nicht gelesen, da es sichim gegenständlichen Fall um eine telefonische Korrespon-dentenmitteilung aus Budapest handelt, die in letzterStunde eingegangen ist.

Ich pflege normaler Weise alle Artikel meinesBlattes meiner plichtgemässen Durchsicht zu unterziehen,jedoch Korrespondententelegramme oder Depeschen und ähnli-liche Mitteilungen wie Sportnachrichten, die normaler Weisenur Wiedergabe von Ereignissen darstellen, pflege ichauszuschalten, da diesbezüglich die Gefahr eines irgendwieAnstoss erregenden Artikels nicht gegeben erscheint undaus technischen Gründen es mir unmöglich ist, alles zulesen. Die Verantwortung für den Inhalt des Artikels über-nehme ich nicht. Die Nennung des Namens des Korresponden-ten verweigere ich.

Den Artikel „Karl Kraus, der Kämpfer“ in Nr 795 gedachter Zeitung habe ich glaublich gelesen, denselbenals Berichtigung aufgefasst, ohne denselben besondere Be-deutung beizumessen. Auch der 2. Artikel (in Nr 795)stammt aus Budapest von denselben Korrespondenten, dessenNamen anzugeben, ich verweigere.

Gegen den Beschluss auf Einleitung der V.U. er-hebe ich die Beschwerde, weil ich die Aktivlegitimationdes Anzeigers bestreite, da die in der Anzeige beanstän-dete unehrenhafte und angeblich unwahre Handlung dem An-zeiger gar nicht vorgeworfen ist.

Ende 1/4 11 UhrDr. Fritz Kaufmann m.p.

Abschrift. Vr XXVI 7288/2511

BeschlussDie Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien I hat nach Anhörung der Staatsanwaltschaft Wien I den Be-schluss gefasst:

Der Beschwerde des Dr. Fritz Kaufmann gegen denBeschluss des Untersuchungsrichters auf Einleitung derVoruntersuchung wegen Verdachtes des Vergehens der Ehren-beleidigung vom 15.XII.1925 wird keine Folge gegeben.

Gründe:Karl Kraus hat gegen Dr. Fritz Kaufmann als ver-antwortlichen Schriftleiter der „Stunde“ den Antrag aufEinleitung der Voruntersuchung ob Verdachtes des Vergehensder Ehrenbeleidigung gestellt, da er in den ArtikelnKarl Kraus der Kämpfer“ in Nr 794 der „Stunde“ vom30.X.1925 und Nr 795 vom 31.X.1925 beschuldigt werde,zu einer Beamtenbestechung in Budapest angestiftet zu haben.

Der Beschuldigte ficht den Beschluss auf Einleitungder Voruntersuchung aus dem Grunde an, weil eine Aktiv-legitimation des Anzeigers insoferne nicht gegeben erschei-ne, da er nicht persönlich als der Schuldige bezeichnetwird.

Die Fassung des inkriminierten Artikels jedoch,insbesondere der Passus „diese Meldung … beweist nicht nurwelcher Grad von Zuverlässigkeit Hr. Kraus den von ihmselbst so siegessicher reproduzierten Aktenziffern bei-misst, sondern auch, wie die Kampfmethoden dieses Ethikersüberhaupt beschaffen sind“ beweist, dass der Beschuldigtemit der angeblichen im Artikel vorgebrachten Behauptungder Rechtsanwalt Dr. Miksa Rosenberg habe unter Hinweisauf eine Vollmacht des Wiener Schriftstellers Karl Kraus die Ausfolgung von Akten begehrt und hiebei geäussert,

er müsse die Akten haben, kost’s, was kost, mit diesem ebengeschilderten Vorgang in innige Verbindung gebracht wird,die auf eine Anregung oder Billigung dieses Vorgehenshinweist.

Der Anzeiger ist somit berechtigt, auf Grund diesesArtikels, der seine Person zum Gegenstand nimmt, den An-trag auf Einleitung der Voruntersuchung zu stellen. (§ 92St.P.O.)

Wien, am 17.XII.1925.