40.1 Protokoll von Josef Jellinek (Redakteur des Österreichischen Volkswirtes)

Schreiberhände:

  • Josef Jellinek, schwarze Tinte
  • Bleistift
  • Käte Hoffenreich, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen
Datum: 12. Februar 1926
Seite von 2

Protokoll.

Mittwoch, den 3. Februar rief ich zufällig telefonischmeinen Schwiegervater, Herrn Josef Heller, Besitzer des Kaf-feehauses Ankerhof. I., Lichtensteg 4, an, um mich überden Stand der Verhandlungen über die Verleihung von Kaffee-hauskonzessionen zu erkundigen, die jetzt in seinen Branchekrei-sen und zum Teil auch in der Oeffentlichkeit diskutiert werden.Herr Heller machte mir die Mitteilung: „Dass gerade jetzt dreiHerren von der Tageszeitung ‚Die Stunde‘ bei ihm wären und ihnüber dieselbe Angelegenheit ausfragen.“ Ich fragte ihn,was das für Herren sind. Er: „Zwei Redakteure, der Dritte hatsich als Administrationsdirektor Zlattner Seither konnte ich nach der Adresskarte, die der Mann hinterließ, konstatieren, daß esDirector Forda war. vorgestellt. “ – Ich: „Die kommengleich zu Dritt angerückt? Was wollen sie denn? “ – Er: „Sie habenmir erzählt, dass Herr Herzfeld bei ihnen war und sie angeweinthätte, sie möchten seine Sache unterstützen.“ – (Zur Erklärung:Herr Herzfeld besitzt am Bauernmarkt ein Modengeschäft und willes in ein Kaffeehaus umwandeln. Gegen die Erteilung einer Konzes-sion an ihn wurde von der Berufsorganisation der KaffeesiederEinspruch erhoben. An dem Tag, da das Gespräch stattfand, wardarüber noch nicht entschieden. Würde Herr Herzfeld ein Kaffee-haus aufmachen dürfen, so würde dadurch das ganz in der Nähe lie-gende Caf e é Ankerhof geschädigt werden). Ich: „Ja, aber was willder Administrationsdirektor?“ – Er: „Ich soll ein Inserat inDie Stunde‘ einrücken.“ – Ich: „Du inserierst doch nirgends!Und hast auch seinerzeit d D ein Inserat im Extrablatt aufgegeben,weil es angeblich keinen Wert hatte.“ – Er: „Das ist schon wahr,aber was soll ich denn machen?“ – Ich: „Die Leute hinausschmeis-sen, denn das ist Erpressung.“ – Er: „Das kann ich doch nicht,ich hab sie dann auf dem Hals und sie können mir schaden.“ –Ich: „Was soll denn das Inserat kosten?“ – Er: „Zuerst hat erK 300000 pro Tag verlangt, dann hat er es auf 1.5 Mill. K imMonat reduziert.“ – Ich: „Das sind 18 Mill. im Jahr? Es ist un-erhört, schmeiss die Erpresser hinaus.“ – Er: „Aber das kann ichja nicht. Wenn ich es nicht tue, so habe ich von ihnen keine Ruhwas sie wollen,

so lassen die mir in der Zeitung keine Ruhe. Uebrigens habe ichden Auftrag schon unterschrieben.“

Von diesem Gespräch machte ich sofort meinem Chefredak-teur, Herrn Federn, Mitteilung, ferner auch, dass ich die Absichthabe, sofort ins Kaffeehaus zu fahren, um mich den Stunde- l L eutenals Schwiegersohn vorstellen zu lassen und mich ihnen bei der Gelegen-heit als einen Redakteur des „Oesterreichischen Volkswirtzu erkennen zu geben. Dieser Vorsatz kam nicht ganz zur Durchführung,da ich die Herren von der „Stunde“ nicht mehr antraf. Mein Schwie-gervater, Herr Heller, zeigte mir nun einen unterschriebenen Auf-trag, aus dem ersichtlich war, dass man die Kosten des Inserateskeineswegs reduziert hatte, wohl aber die Zahl der Einschaltun-gen. Ich machte ihnen ihn nun aufmerksam, dass man ihn ausserdemnoch betrogen habe. Das regte ihn aber weiters nicht mehr auf,da er scheinbar froh war, mit einem Schaden von nur 18 Millionenaus der Affäre herausgekommen zu sein. Er teilte mir noch mit,dass er mit seiner Frau am selben Tag Vormittag über die Möglich-keit gesprochen habe, dass jemand von der „Stunde“ zu ihnen kommenkönnte, ohne jedoch von dem tatsächlichen, nahen Besuch etwas zuwissen. Dabei habe ihm seine Frau aufgetragen: „Du, wenn jemandvon der ‚Stunde‘ kommt, so gib ihnen, was sie verlangen “. – Derartist heute das Bürgertum von der erpresserischen Presse einge-schüchtert. Ich teilte ihm noch mit, dass ich die Sache nichtruhen lassen werde. Mein Schwiegervater bat mich aber, nichtszu machen unternehmen , denn er habe Angst, dass er durch die Stunde geschädigt werd en e könne.Am Donnerstag den 5. Vormittag teilte ich den Vorfall dem Obmannder Organisation der Wiener Journalisten, Herrn Marcel Zappler, mitund hatte auch die Absicht, Zeitungen, vor allem die Arbeiterzeitung davon in Kenntnis zu setzen. Dieses Vorhaben habe ichvorläufig nicht durchgeführt, weil man mich inzwischen von seitenmeiner Schwiegereltern wiederholt bestürmt hat, sie , wie sie sagen,„nicht ins Unglück zu bringen.“

Aufgenomen am 12. Februar 1926.Josef Jellinek niedergeschrieben von Käte Hoffenreich