74.2 Abschrift der Novellette aus Der Querschnitt von Heinrich Fischer

Materialitätstyp:

  • Manuskript
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Kaiser Josef II. und seine Geliebte

Von Anton Kuh

(„Der Querschnitt“, begründet von Alfred Flechtheim, HerausgeberH. von Wedderkop)IV. Jahrg., 1924, Heft 1

Es liegt in der Natur der Weltgeschichte, daß siesich fortbewegt. Jahre folgen auf Jahre, Jahrzehnte aufJahrzehnte, die Zeit aber schreitet währenddessen immer weiter.Was nicht mehr ist, pflegen wir Vergangenheit zu nennen. Und sohat es für uns einen eigenen, undefinierbaren Reiz, wenn es undeinmal glückt, ein Eckchen des Schleiers zu lüften, der dasGewesene deckt. Solche Gefühle bewegten mich, als ich vorwenigen Tagen die seltene Gelegenheit hatte, mit der 108jährigenGreisin Josefa Zwirzina zu sprechen, deren Großtante nocheine persönliche Bekannte des unvergeßlichen Aufhebersder Leibeigenschaft gewesen ist. Ein trauter Zauber, dem derDuft entschwundener Zeiten entströmt, liegt über der betagtenSprecherin und dem bescheidenen Zimmerchen im 2. Stock derStaudiglgasse Nummer 176, das sie draußen in Favoriten,

fernab vom Getriebe der Großstadt bewohnt. Und nun wollenwir ihr selbst das Wort lassen:

„Ja, der gute Kaiser Josef“, sagt Frau Zwirzina, indemsie sich gerührt in ihr altmodisches Tüchlein schneuzt, „denhat die Nanni-Tant noch gut gekannt. Aber alle beidesind jetzt leider schon tot. Sie müssen nämlich wissen, meineTante war nur eine einfach Prostituierte. Zu den damaligenZeiten haben die Madeln halt noch nicht so hoch nauswollen,wie heutzutag. Aber vielleicht waren sie grad darum glücklicher.Wie oft hat mir die Nanni-Tant erzählt, wie sie den liebenKaiser kennen gelernt hat. Sie war damals in dem in ganz Wienbekannten und beliebten Haus ‚Zum gelben Affen‘ konditioniert,in der Schüttelstraße Nr. 3; heut steht dort eine Bank. EinesTages kommt dorthin ein schöngekleideter Herr, und gleich hatdie Tante gesagt: ‚Der hat ganz dieselben schönen blauen Augenwie unser Kaiser.‘ Und richtig, er war’s. Wenn er auch einKaiser war und sie nur ein schlichtes bürgerliches Freimadel,er hat doch mit ihr verkehrt, da hat’s bei ihm keinen Stolz

gegeben. Natürlich ist er immer nur inkognito gekommen; seinenNamen haben wir nie erfahren. Immer hat er geklopft und niegeläutet. Und denken Sie, einen Zopf hat er getragen, wieeine Dame, und einen dreieckigen Hut! Immer wenn er gekommenist, war seine erste Frage: ‚Ist die Nanni am Zimmer?‘Und wenn es hieß: ‚Nein!‘, dann leuchteten seine schönenAugen in inniger Freude. Und auch sonst war er so idealischveranlagt! Auf Geld hat er gar keinen Wert gelegt, und deshalbhat er auch nie einem Madel etwas gegeben. Auch überPolitik hat er hier und da gesprochen. Wie’s einmal geheißenhat, daß uns die Türken den Krieg erklären werden, und ihndie Nanni gefragt hat, was denn dann sein wird, da hater sich erst vorsichtig nach allen Seiten umgesehen und dannhat er gesagt: ‚Ja, dann werden meine Soldaten gegen siemarschieren müssen!‘ Ich hab’ übrigens auch noch etwasAufgezeichnetes von ihm“, sagt die Greisin und kramt mitzitternden Fingern in einer vergilbten Lade. ‚Sehn Sie,

da ist’s! Da hat er einmal einen angefangenen Brief in derTasche gehabt und die Nanni hat solang gebettelt, er soll ihrihn schenken, damit sie ein Andenken von ihm hat, bis er’sgetan hat; no ja, liberal war er ja immer, und ein Stückerldavon hat sie wieder mir geschenkt. Schauen Sie nur“, unddie Greisin streicht zärtlich über das längst fadenscheiniggewordene Blatt:

[?iv gesetzt] Uibrigens kennen mich sähmtliche Hofbeamten kriutzweiß imAuf meine Frage, ob sie denn keine Intimitäten und Geheim-nisse aus dem Leben des Kaisers wisse, huscht ein Schatten über dasAntlitz der Frau Zwirzina und sie fragt ein wenig ängstlich:„Ja, darf man denn das sagen? Wird man denn da nichteingesperrt?“ Auch als ich ihr versichere, daß man jetztGott sei Dank alles sagen und nur über die Steuerbehördeund das Sittenamt nicht schimpfen dürfe, ist sie noch immerungläubig, und erst, als ich ihr aus einer mitgebrachtenNummer der „Stunde“ beweise, daß wir wirklich in einer

Republik leben, sagt sie beruhigt: „Ja, wenn’s in der Stunde steht,dann muß es wohl wahr sein“, und indem sie mir vertraulichnäherrückt, flüstert sie: „Ja, also Nockerl, das war seine Leibspeise.Es hat sie aber keine so kochen können wie die Nanni. Drei LotButter hat sie dazu genommen und Eier vom Huhn und feinstesDoppelnullermehl, und der Kaiser hat immer noch ausdrücklichangeschafft: ‚Auch Milch soll dabei sein!‘ Da hat er dann oftein ganzes Reindl aufgegessen. Und so viel tolerant war er! Dawar einmal im Haus ein sehr fesches neues Madel, aber sie warhalt eine Jüdin. Die Frau hat sich deshalb nicht getraut sie her-zuzeigen, no ja, ein Kaiser und eine Jüdin, das geht doch nichtrecht zusammen! Aber wie der Kaiser davon gehört hat, hat er aufge-tragen, man soll sie nur herbringen, und hat gesagt: ‚Für michgibt’s keine Christinnen und keine Jüdinnen, für mich gibt’snur Madeln!‘

„Ja, so war er!“

Stille Zähren des Erinnerns rinnen über das gefurchte Antlitzder Greisin und immer wieder murmelt sie gerührt vor sichhin: „Ja, so war er!“