125.38 Brief Frankfurter Städtisches Schauspielhaus an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

Alwin Kronacher
FRANKFURT AM MAIN
Datum: 16. Januar 1931

Empfänger

An: Herrn | Rechtsanwalt Dr. Oskar Samek
Schottenring 14
Wien | I.
Seite von 3

Sehr geehrter Herr Doktor!

Auf Ihr Schreiben vom 22. Dez. 1930 und im Anschlussan die Mitteilung meines Büros an Sie vom 27. Dez. 1930teile ich Ihnen ergebenst mit, dass wir wegen der veränder-ten wirtschaftlichen und politischen Situation zu unseremBedauern im Augenblick nicht in der Lage sind, „DieUnüberwindlichen“ von Karl Kraus zu spie-len. Der Justitiar der Städtischen Bühnen steht auf demStandpunkt, dass wir diese veränderte Lage nicht voraus-sehen konnten und sie deshalb auch nicht zu vertreten ha-ben. Wir haben diesen Standpunkt zu unserem ausserordent-lichen Bedauern auch anderen Autoren und Verlegern gegen-über einnehmen müssen, weil wir uns, wie ich Ihnen offenmitteilen will, während der Etatberatungen ganz ausserstan-de sehen, bestimmte Stücke zu spielen. Wir würden dadurchdie Existenz der Städtischen Bühnen, die von der Bewilli-gung des Etats durch die Stadtverordnetenversammlung ab-hängt, absolut gefährden. Ich muss Sie deshalb bitten, mitder Aufführung des Werkes sich bis nach Verabschiedungdes Etats zu gedulden. Ich schlage aus diesem Grunde einenTermin im Laufe des Monats Mai vor. Wie sehr mir daran

gelegen ist Karl Kraus zu fördern, mögen Sie darausersehen, dass ich mich schon jetzt bereit erkläre, nicht nurdabei mitzuwirken, dass Herrn Kraus die Möglichkeit geschaffenwird, hier eine Vorlesung zu halten, sondern ich möchte HerrnKraus schon jetzt rechtsverbindlich zu einer seiner berühmtenVorlesungen im Schauspielhause verpflichten. Diese Vorlesungkönnte kurz vor der Premiere seines Stückes sein, sie könnteaber auch, womit ich durchaus einverstanden wäre, schon vorher,etwa in der zweiten Hälfte des Februar, oder März oder Aprilstattfinden. Vielleicht könnte man sogar eine zweite Vorlesungim Mai dann wiederholen. Ich bitte Sie ergebenst, mir mittei-len zu lassen, wann Herr Kraus bereit wäre, hier im Schauspiel-haus zu sprechen und welches äusserstes Honorar er beanspruchenwürde. Ferner bitte ich Sie, sich in unsere Zwangslage zu ver-setzen, die es uns, ohne unser Verschulden, verbietet, in die-sem Augenblick ein Werk aufzuführen, das bestimmten Parteienein willkommener Anlass wäre zur Nichtbewilligung der für dasTheater lebensnotwendigen Mittel.

Mit vorzüglicher Hochachtungund den besten Empfehlungen für Herrn Karl Kraus ergebenstDr. Kronacher

KrausStädtische Bühnen 19. JAN. 1931