125.99 Brief Komödienhaus Leipzig an Verlag Die Fackel

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Fritz Kranz, schwarze Tinte

Sender

Komödienhaus
Tauchaer Straße 32
Leipzig
Datum: 16. März 1932

Empfänger

An: den | Verlag „Die Fackel“
Hintere Zollamtsstrasse 3
Wien III
Seite von 2

Sehr geehrter Herr!

Wir erhielten Ihr Schreiben vom 10. cr. und müssen leiderdie Berechtigung Ihrer Vorwürfe im Bezug auf die Abrechnung mit Ihnen undIhrem Kommisionär anerkennen. Wir bitten aber, zu unserer Entschuldigungden Umstand in Betracht zu ziehen, dass die Direktion Kranz-Sievers seitdem 7. Dezember vr. Js. finanziell zusammengebrochen ist und ihre Tätigkeitvorläufig einstellen musste. Das Theater wurde seither als Notgemeinschaftdes darstellenden Personals geführt, sodass die Direktion keinerlei Einnahmenirgendwelcher Art hatte und nicht einmal die für den persönlichen Lebens-unterhalt notwendigen kleinsten Beträge aufzubringen imstande war.

Seit dem angegebenen Datum ist jedoch die Direktion bemüht ge-wesen, das Unternehmen neu zu finanzieren. Sie hat eine Benachrichtigung desVerlages „Die Fackel“ unterlassen, weil der Ausgang der – auch heute nochaussichtsreichen – Verhandlungen ungewiss war und sie vermeiden wollte, demVerlage „Die Fackel“ leere Versprechungen zu machen. Auf alle Fälle wirdSorge getragen werden, dass die Abdeckung der uns ausserordentlich peinlichenund drückenden Schuld sobald als möglich erfolgen kann.

Was die Angaben des Rechtsvertreters des Frankfurter Stadtthea-ters anbetrifft, so verhält es sich damit folgendermassen:

Herr Dr. Kronacher hatte uns mit der Versicherung, dass ergrosses Interesse für die „Unüberwindlichen“ habe, unter Berufung aufunseren Berliner Erfolg zu einem Gastspiel eingeladen. Er hatte uns ver-schwiegen, dass er die Aufführung lediglich in Erfüllung eines von seinemVorgänger eingegangenen Vertrages widerwillig veranstalte, wie er später inder Frankfurter Presse erklärt hat. Wir mussten bei unserem Aufenthalt inFrankfurt den Eindruck gewinnen, als solle die Aufführung seitens des dortigenTheaters sabotiert werden. So war z.B., wiewohl wir wochenlang vorhereinen Dekorations- und Requisitenplan eingereicht hatten und wiewohl unserHerr Sievers auf Grund schriftlicher und telefonischer Vereinbarung mit demTheater bereits einen Tag vor der Aufführung zu einer Dekorationsprobe inFrankfurt anwesend war, noch am N n achmittag des Aufführungstages nicht dasGeringste vorbereitet oder instandgesetzt, so war keinerlei Reklame für dieAufführung gemacht worden und das Gastspiel in ein an literarischen Dingenuninteressiertes Abonnement verlegt worden.

Während der Aufführung erschienen plötzlich Herr Dr. Kronacher in unsererGarderobe und verlangte, nachdem er höchstens die Hälfte des erstenAktes gesehen hatte, von uns kategorisch neue Striche, durch die mindestens 3/4Stunde eingespart werden müsste. Wir erklärten darauf Herrn Dr. Kronacher,dass diese Striche aus vielen Gründen nicht möglich seien, einmal weil esden Darstellern nicht zugemutet werden könne, während der Vorstellung Änder-ungen einer eingespielten Aufführung vorzunehmen, vor allem aber, weil unserVertrag mit dem Verlag „Die Fackel“ unter II folgenden Passus enthält:Das Komödienhaus verpflichtet sich, das Stück so auszuführen, wie es demvom Autor eingerichteten Bühnenexemplare des Werkes entspricht, d.h.,keinerlei Änderungen des Textes vorzunehmen.“ Ausserdem sieht der Vertragunter IV vor, dass in allen materiellen Fragen die Bestimmungen des zwischendem Deutschen Bühnenvereins und der Vereinigung der Bühnenverleger verein-barten Normalvertrages gelten sollten. Dieser Normalvertrag besagt unter§10, dass eine Vertragsstrafe fällig ist, sofern einer Vertragskontra-henten eine Bestimmung des Vertrages gröblich verletzt.

Wir wiesen, wie gesagt, Herrn Dr. Kronacher auf unseren Vertragmit dem Verlag „Die Fackel“ hin und bemerkten dazu noch, dass abgesehenvon diesen Vertragsbestimmungen es unsere künstlerische Überzeugung sei,dass andere Striche, als die bereits vorhandenen sinnentstellend, stilwidrigund der künstlerischen Wirkung des Werkes abträglich sein müssten. Im Zu-sammenhang mit den Erörterungen sagten wir Herrn Dr. Kronacher noch, dasswir umsoweniger unsere Vertragsbedingungen auf die leichte Achsel nehmen könnten,als es uns bekannt sei, dass die Berliner Volksbühne für eine ähnliche wie die von Herrn Dr.Kronacher von uns geforderte Vertragsverletzung (nämlich unberechtigteStriche) auf Grund eines Prozesses eine Vertragsstrafe von Mk. 1.500.–hätte zahlen müssen. Herr Kronacher versuchte dann noch, die beiden Haupt-darsteller zu veranlassen, von sich aus „Sprünge“ zu machen, die ja schein-bar unbeabsichtigt sein könnten, und für die wir dann die Verantwortung ab-lehnen könnten. Die beiden Herren weigerten sich jedoch mit der Begründung,dass man ein Stück von Karl Kraus schliesslich nicht improvisieren könnte,wie ein Stück etwa von Blumenthal und Kadelburg.

Es verhält sich also durchaus nicht so, dass wir über unserenVertrag mit dem Verlag „Die Fackel“ unwahre Angaben gemacht haben, sondernvielmehr so, dass wir im Interesse des Werkes und des Autors Verballhornungendes Textes verhindert haben und den Versuch hintertrieben, durch schwindel-hafte Mätzchen, wie sie uns vorgeschlagen wurden, uns von der Erfüllung unseresVertrages zurückzuhalten. – Wir bitten Sie, Herrn Kraus den Ausdruckunseres tiefsten Bedauerns darüber auszudrücken, dass wir nicht in der Lagewaren, unsere finanziellen Verpflichtungen korrekt einzuhalten und begrüssen

Sie mit vorzüglicher HochachtungR.A. Sievers, Fritz Kranz