126.2 Brief Samek an Der Tag (verantw. Red. Josef Koller)
Materialitätstyp:
- Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen
Schreiberhände:
- Oskar Samek, Bleistift
Sender
Oskar SamekSchottenring
I., Innere Stadt
Empfänger
An: den | verantwortlichen Redakteur des „Tag“ | Herrn Josef KollerCanisiusgasse 8–10
Wien IX.
Im Vollmachtsnamen des Herrn Karl Kraus verlange ich die Auf-nahme der Berichtigung der in Ihrer Nummer vom 7. Mai 1929 in Ihrer Notiz„Theaterskandal in Dresden. Bei der Premiere vonKarl Kraus’ ‚Die Unüberwindlichen‘“ mitgeteilten meinen Mandanten betref-fenden Tatsachen gemäss § 23 Pr.G.
Sie schreiben: „Zwei Akte waren anstandslos gespielt worden,als dem Publikum mitgeteilt wurde, dass Camillo Castiglioni gegen die Verwendung einer Figur, durch die er verkörpert worden sollte,Einspruch erhoben habe und dass diesem Einspruchstattgegeben worden sei. Ein Schauspieler trat dann vor dieRampe und erzählte den Inhalt des dritten Aktes.“ Die Behauptung, dass demPublikum mitgeteilt wurde, einem Einspruch des Herrn Castiglioni sei statt-gegeben worden, ist unwahr. Wahr ist, dass einem solchen Einspruch nichtstattgegeben wurde und eine solche Mitteilung dem Publikum nicht gemachtwurde. Wahr ist, dass dem Publikum mitgeteilt wurde, dass eine lebende Per-son, die sich in einer Figur zu erkennen glaubte, die Veranstalter der Auf-führung mit der Einbringung einer einstweiligen Verfügung habe bedrohen las-sen, wenn nicht jede Beziehung auf sie eliminiert wurde. Wahr ist, dass derdritte Akt schon auf die Drohung mit der [¿¿¿] Einbringung der einstweiligen Ver-fügung hin ausgelassen wurde.
Sie schreiben: „Während, die Sozialdemokraten applaudierten, begannendie Bürgerlichen ein Pfeifkonzert und warfen Stink-bomben.“ Diese Behauptung ist unwahr. Wahr ist, dass während derSchauspieler vor die Rampe trat, um dem Publikum die Weglassung des drittenAktes mitzuteilen, ein Zuschauer den Namen „Castiglioni“ rief, worauf eineoder zwei Personen pfiffen und ein Mann eine übelriechende Flüssigkeit ver-schüttete.
Sie schreiben: „Unter allgemeinem Lärm konnte die Vorstellungschliesslich doch zu Ende geführt werden.“ Diese Behauptung ist unwahr.Wahr ist, dass bei der fortgesetzten Vorstellung an keiner einzigen StelleLärm entstand und die Vorstellung in keiner Weise gestört wurde.
Rekommandiert mit Rückschein.
Kraus – Tag III.exp. 14.5.29