127.2 Privatanklage von Karl Kraus gegen Neue Freie Presse (verantw. Red. Julian Sternberg) wegen §§ 23, 24 Pr.G.

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 23. Mai 1929
Stempel: Strafbezirksgericht I
Seite von 4

An dasStrafbezirksgericht IWien.

Privatanläger: Karl Kraus, Schriftsteller in WienIII., Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3 durch:

Beschuldigter: Dr. Julian Sternberg, verantwort-licher Redakteur der „Neuen Freien PresseWien III., Lagergasse Nr. 1,

wegen §§ 23/24 Pr. G 1 fach2 Beilagen

Privatanklage.

In der „Neuen Freien Presse“ vom 29. April1929 erschien auf der Seite 10 eine Rubrik „Theater“, inwelcher die Ankündigung der an diesem Tag in den verschiedenenTheatern und Konzertsälen abgehaltenen Veranstaltungen erfolgte.Während aber die übrigen Zeitungen, soweit sie eine solcheRubrik haben, diese Berichte vollständig veröffentlichten,veröffentlichte die „Neue Freie Presse“ lediglich die Veran-staltung im Kleinen Saal des Wiener Konzerthauses, und liessdie Veranstaltung im Grossen Saal des Wiener Konzerthauses, inwelchem ich eine Vorlesung abhielt, unveröffentlicht. Es istselbstverständlich, dass es der Zeitung freistehen muss da-rüber zu bestimmen, ob sie ihrem Leserkreis die Veranstaltungenin den Theatern und Konzertsälen zur Kenntnis bringt. Man mussihr dieses Bestimmungsrecht auch soweit einräumen, dass sienur einzelne Theater, die ihr vielleicht für ihren Leserkreisals wichtiger erscheinen, herausnimmt und die übrigen Ver-anstaltungen unveröffentlicht lässt. Keinesfalls aber hat siedas Recht aus den in einem bestimmten Gebäude abgehaltenenVeranstaltungen lediglich die ihr genehmen herauszugreifen unddie anderen auszulassen. Denn die Form, in der diese Veröffent-lichungen erfolgt, erweckt im Leserkreis den Eindruck der Voll-ständigkeit und jeder Leser des vorliegenden Programms erhältden Eindruck, dass eben nur im kleinen Saal des Konzerthauses eine Veranstaltung stattgefunden hat. Dadurch ist aber demLeserkreis eine unrichtige Mitteilung gemacht worden. Ichhabe daher durch meinen Anwalt Dr. Oskar Samek den Beschul-digten ein Berichtigungsschreiben zukommen lassen, das inAbschrift beiliegt. Die Berichtigung wurde dem Beschuldigten am 15. Mai 1929 zugestellt, sie wurde jedoch nicht veröffent-licht.

Beweis: Die Nummer der „Neuen Freien Presse“ vom29. April 1929, die Nummer des „NeuenWiener Tagblattes“ vom 29. April 1929,das Berichtigungsschreiben vom 13. Mai 1929.

Ich stelle durch meinen zur G. Z. 1 U 20/29ausgewiesenen Anwalt folgendeAnträge:1.) Anberaumung einer Hauptverhandlung,2.) Ladung des Beschuldigten,3.) Verlesung des Berichtigungsschreibens und der vorge-legten Zeitungsnummer,4.) Bestrafung des Beschuldigten und Erkenntnis auf Ver-öffentlichung der Berichtigung,5.) Verpflichtung des Beschuldigten und zur ungeteiltenHand mit ihm des Eigentümers Oesterreichische Journal A.G. Wien I., Fichtegasse Nr. 11, und des Herausgebers Dr. ErnstBenedikt Wien I., Fichtegasse Nr. 11 zum Ersatz der Verfahrens-kosten.

Karl Kraus.

Kraus Neue Freie Presseüberr. 23/5.29