147.2 Brief Samek an Der Wiener Tag (verantw. Red. Josef Koller)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, schwarze Tinte

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 24. Dezember 1930
Betreff: Kraus – Der Wiener Tag
Diktiersigle: Dr.S/Fa

Empfänger

An: den | verantwortlichen Redakteur des Wiener Tag | Herrn Josef Koller
Canisiusgasse 8–10
Wien IX.
Seite von 2

Im Vollmachtsnamen des Herrn Karl Kraus verlange ich die Aufnahme der Berichtigung der in Ihrer Nummer2767 vom 5. Dezember 1930 mitgeteilten meinen Mandanten betreffen-den unrichtigen Tatsachen gemäss § 23 Pr.G.

Sie schreiben: „Er (Karl Kraus) hatte demHöflingslied des Grafen Oskar mehrere aktuelle Zeitstrophen ange-fügt, von denen nach Inhalt der Klage sich eine Strophe gegen diesozialdemokratische Presse richtete. Nach dieser Strophe sollKraus aufgehört haben, zu singen, einen Zettel zur Hand genommenund zum Publikum gewendet gesagt haben: ‚Aber in einigen Tagenwird ein anderer Wind aus dem Zentralorgan wehen, denn ein Ver-treter des Zentralorgans, ein Schlieferl ist hier im Saale anwesendund wird die Leser dahin aufklären, dass ich nicht musikalisch binund nicht singen kann. Mit ein paar Slezaks nehme ich es aller-dings noch auf, aber ich singe nicht David Bach, sondern Offenbach.‘Diese Behauptung ist unwahr. Wahr ist, dass Herr Karl Kraus andereWorte gesprochen und nachher eine Strophe gegen die sozialdemo-kratische Presse vorgetragen hat.

Sie schreiben: „Weiters stellte der Ver-teidiger unter Beweis, dass der Privatkläger als Mitarbeiter

einer sozialdemokratischen Zeitung auch für die ‚Berliner Börse-Zeitung‘, eine bürgerliche, mehr rechts stehende Zeitung schrei-be.“ Dies ist unwahr. Wahr ist, dass laut nunmehr vorliegendemProtokoll der Verteidiger unter Beweis stellte, dass der Privat-anklägerals Mitarbeiter einer sozialdemokratischen Zeitung auchMitarbeiter der ‚Berliner Börsen-Zeitung‘ ist, die auf deräussersten Rechten steht und gegen die Sozialdemokratie auftritt.

Sie schreiben: „Das Urteil wird dem KarlKraus, der sich derzeit in Berlin befindet, nach seiner Rückkehrnach Wien zugestellt werden.“ Es ist unwahr, dass sich Karl Kraus am 4. Dezember 1930 in Berlin befand. Wahr ist, dass er an diesemTage einen Offenbach-Vortrag in Breslau gehalten hat.

Rekommandiert mit Rückschein.

Die mitgeteilte Tatsache

KrausDer Wiener Tagexp. 24.12.1930.