148.1 Antrag auf Einleitung von Vorerhebungen gegen den Beschuldigten und gegen unbekannte Täter wegen Ehrenbeleidigung begangen durch die Presse (Strafbezirksgericht I Wien)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 5. Dezember 1930
Seite von 3

Dr.S/Fa.

An dasStrafbezirksgericht IWien.

Privatankläger: Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt inWien I., Schottenring Nr. 14,durch:

Beschuldigter: Dr. Oskar Pollak, verantwortlicherRedakteur der Arbeiter-Zeitung in Wien V.,Rechte Wienzeile Nr. 97,

wegen Ehrenbeleidigung,begangen durch die Presse

1 fach1 Vollmacht

Antrag auf Einleitung von Vorerhebungen gegen den Beschuldigten und gegen unbekannte Täter.

In der Nummer 334 der Arbeiter-Zeitung vom 5. Dezember 1930 erschien auf Seite 11 eine Gerichtssaal-notiz „Ehrenbeleidigungsklage gegen Karl Kraus“. Der verantwort-liche Redakteur dieser Nummer war Herr Dr. Oskar Pollak. In dieserNotiz wurde behauptet, dass ich als Verteidiger des angeklagtenKarl Kraus eine sowohl widersinnige als unsittliche Verantwortungvorbrachte. Die betreffende Stelle lautet wörtlich:

Dieser Verteidiger (Dr. Oskar Samek) hatte sich auchfür die Verhandlung eine erstaunliche Taktik zugelegt.Einesteils sollte mit den Schimpfworten Pisk gar nichtgemeint worden sein. Das behauptete der Verteidiger,obwohl es einfach unmöglich ist, dass Kraus selbst esbehaupten könnte, dass er einen anderen als Pisk habetreffen wollen. Zum Erweis, dass Pisk nicht gemeintworden sei, marschierte eine Reihe von Zeugen auf, diebestätigen sollten, dass Kraus das, was er gesagt,nicht gesagt habe. Natürlich misslang der Beweis voll-ständig. Aber der Verteidiger wollte nicht bloss be-weisen, dass Pisk nicht gemeint worden sei, sondernauch beweisen, dass er mit Recht so benannt werdenkönnte: wofür er gleichfalls einen Wahrheitsbeweisanbot.

Es ist natürlich unwahr, dass ich als Verteidiger desHerrn Karl Kraus eine solche Verantwortung vorgebracht habe.Wahr ist vielmehr, dass ich im Gegenteil juristisch ausgeführthabe, dass nicht behauptet werden könne, dass Herr Pisk nicht gemeint worden sei, sondern lediglich, dass er nicht erkennbargewesen sei. Durch den Vorwurf, dass ich mir „eine erstaunlicheTaktik zugelegt habe“, wurde ich in meiner Ehre verletzt. Essoll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass hier eine unan-ständige Taktik vorliegt, dass ich unanständigerweise etwas vor-brachte, was der von mir Verteidigte niemals hätte vorbringenkönnen, dass ich ohne sein Wissen und seinen Willen eine Un-sauberkeit begangen hätte, zu der er niemals fähig gewesen wäre.Dies ist ohne Zweifel richtig. Gewiss hätte Herr Kraus eine

solche Taktik nie einschlagen können, aber es ist eben falsch,dass ich sie eingeschlagen habe; vielmehr ist im Einverständnismit meinem Klienten das Gegenteil erfolgt.

Da eine direkte Anklage nicht möglich ist, weil derSchreiber obige Zeilen nicht gezeichnet hat, und auch unbekanntist, ob der Beschuldigte die Notiz vor der Drucklegung gelesenund zum Druck befördert hat, beantrage ich durch meinen mitbeiliegender Vollmacht ausgewiesenen Anwalt folgendeVorerhebungen:1.) Einvernahme des Beschuldigten Dr. Oskar Pollak und seineBefragung darüber, ob er die Notiz vor der Drucklegung gelesenund zum Druck befördert hat;2.) seine Befragung darüber, wer die Notiz geschrieben hat;3.) die Einvernahme des Chefredakteurs Friedrich Austerlitz,Wien V., Rechte Wienzeile Nr. 97 und seine Befragung darüber, ober die Notiz geschrieben hat, da er an etlichen stilistischenWendungen wie: dem Wort „erstaunlich“, dem Satz „Da hat manwohl nicht bloss das Recht, hat geradezu … die Pflicht(Koordination ohne Partikel) und den Schlusswendungen „Sonderner …“ und „Womit nach …“ erkennbar ist.

Dr. Oskar Samek.