149.2 Brief Samek an Neues Wiener Journal (verantw. Red. Hans Tabarelli)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 24. Dezember 1930
Betreff: Kraus – Neues Wiener Journal XI.
Diktiersigle: Dr.S/Fa

Empfänger

An: den | verantwortlichen Redakteur des „Neuen Wiener Journals“ | Herrn Hans Tabarelli
Biberstrasse Nr. 5
Wien I.
Seite von 2

Im Vollmachtsnamen des Herrn Karl Kraus verlange ich die Aufnahme der Berichtigung der in Ihrer Nummer13305 vom 5. Dezember 1930 mitgeteilten meinen Mandanten betreffen-den unrichtigen Tatsachen gemäss § 23 Pr.G.

Sie schreiben: „EmpfindlicheVerurteilung des ‚Fackel‘ Kraus. Genossen unter sich.“ Die in dem Untertitel enthaltene Behauptung,dass Karl Kraus ein Genosse ist, ist unwahr. Wahr ist, dass KarlKraus keiner Partei angehört und jemals angehört hat.

Sie schreiben: „Nach Inhalt der durch Dr.Robert Pisk vertretenen Klage hat Kraus am 7. Juni v.J. in einemVortrag über die Offenbachsche Operette ‚Blaubart‘ dem Höflings-lied des Grafen Oskar mehrere aktuelle Zeitstrophen angefügt, vondenen sich eine gegen die sozialdemokratische Presse richtete.Nach Absingung dieser Strophe sagte Kraus: ‚In einigen Tagen wirdein anderer Wind aus dem Zentralorgan wehen, denn ein Vertreterdes Zentralorgans, ein Schlieferl, ist hier im Saal anwesend undwird die Leser dahin aufklären, dass ich nicht musikalisch binund nicht singen kann. Mit ein paar Slezaks nehme ich es aller-dings noch auf, aber ich singe nicht David Bach, sondernOffenbach.“ Es ist unwahr, dass am 7. Juni v.J. Herr Kraus einen

Vortrag über die Offenbachsche Operette Blaubart hielt. Wahr ist,dass er die Offenbachsche Operette Blaubart vorgetragen hat. Esist unwahr, dass Herr Kraus nach Absingung einer Strophe, diesich gegen die sozialdemokratische Presse richtete, die vonIhnen behaupteten Worte sprach. Wahr ist, dass er nicht diese, son-dern andere Worte und vor einer Strophe, die sich gegen diesozialdemokratische Presse richtete, gesprochen hat.

Sie schreiben: „Kraus soll dann den Ausdruck‚Schlieferl‘ wiederholt gebraucht und auch in einer zweiten Vor-lesung über Offenbach-Operetten am 10. Juni wiederholt haben.“ Esist unwahr, dass Herr Kraus den Ausdruck „Schlieferl“ wiederholtgebraucht hat. Es ist unwahr, dass er den Ausdruck am 10. Juniwiederholt hat. Es ist weiters unwahr, dass am 10. Juni eine Vor-lesung über Offenbach-Operetten stattfand. Wahr ist vielmehr, dassein Vortrag zweier Offenbachscher-Einakter stattfand.

Sie schreiben: „Der Verteidiger bot schliess-lich … den Wahrheitsbeweis an. Er stellte unter anderem unterBeweis, dass der Privatankläger als Mitarbeiter einer sozial-demokratischen Zeitung auch für die ‚Berliner Börsen-Zeitung‘,eine bürgerliche, mehr rechtsstehende Zeitung schreibe.“ Dies istunwahr. Wahr ist, dass laut nunmehr vorliegendem Protokoll derBeweis angeboten wurde, dass Dr. Piskals Mitarbeiter einersozialdemokratischen Zeitung auch Mitarbeiter der ‚BerlinerBörsen-Zeitung‘ ist, die auf der äussersten Rechten steht undgegen die Sozialdemokratie auftritt.

Rekommandiert mit Rückschein.