157.2 Brief Samek an Wiener Allgemeine Zeitung (verantw. Red. Karl Mautner)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 15. April 1931
Betreff: Kraus – Wiener Allgemeine Zeitung
Diktiersigle: Dr.S/Fa

Empfänger

An: den | verantwortlichen Redakteur der „Wiener Allgemeinen | Zeitung“ Herrn Karl Mautner
Lerchenfelderstrasse 1
Wien VII.
Seite von 4

Im Vollmachtsnamen des Herrn Karl Kraus verlange ich die Aufnahme der Berichtigung der in IhrerZeitung mitgeteilten, meinen Mandanten betreffeden unrichtigenTatsachen gemäss § 23 Pr.G.

Sie veröffentlichen in Ihrer Nummer vom27. März 1931 einen Artikel unter dem TitelEhrenbeleidigungsprozess eines Kritikers gegen Karl Kraus Extempore in einem Vortrag kostet 500 Schilling.

Es ist unwahr, dass der Vortrag von KarlKraus ein Extempore enthalten hat. Wahr ist, dass jedes Wortdes Vortrages vorbereitet war und aus dem Manuskript vorge-lesen wurde.

Sie schreiben: „… und rief in lautemTon ins Publikum:

Aber in einigen Tagen wird ein anderer Wind aus demZentralorgan (Untertitel der ‚Arbeiter-Zeitung‘) wehen, dennein Vertreter des Zentralorgans, ein Schlieferl, hat sich inden Saal verirrt und wird die Leser dahin aufklären, dass ichnicht musikalisch bin und nicht singen kann.

Es ist unwahr, dass Karl Kraus diese Worte gebraucht hat.Wahr ist, dass der Wortlaut ein anderer war.

Sie schreiben: „Karl Kraus besprach ausmit ironischen Bemerkungen den Artikel, wobei er am Beginnjedes Absatzes erklärte: ‚Das Schlieferl schreibt …das Schlieferl schreibt weiter …‘ Kraus sprach vonSchlieferl- und Tinterlpraktiken‘, bezeichnete den Kläger,allerdings ohne seinen Namen zu nennen, als ‚kümmerlichenSchönberg-Schüler‘ und meinte:

‚In einer solchen Fachkritik kann ich nur eine Petite,ja noch mehr, eine Correpetite erblicken (das bezieht sichauf die bekannte Tätigkeit Dr. Pisks als Correpetitor), diesearmen Teufel nennen sich Fachmänner, mit ihrem armseligenFachwissen!‘

Es ist unwahr, dass Karl Kraus in dem Vor-trag gesagt hat: „Das Schlieferl schreibt …, das Schlieferlschreibt weiter …“ Wahr ist, dass er diese Worte nichtgebraucht hat. Es ist unwahr, dass Karl Kraus den Ausdruckkümmerlicher Schönberg-Schüler“ gebraucht hat. Es ist unwahr,dass die im Fettdruck zitierte Stelle den angegebenen Wort-laut hatte; wahr ist, dass der Wortlaut ein anderer war. Esist unwahr, dass sich die Wendung Correpetite“ auf die be-kannte Tätigkeit Dr. Pisks als Correpetitor bezog. Wahr ist,dass sie die Ablehnung einer Correpetition durch das fach-männische Urteil ausgedrückt hat.

Sie schreiben: „In der Verhandlung beimStrafbezirksgericht I erklärte Kraus, er habe nur dasManuskript eines später in der ‚Fackel‘ erschienenen Auf-

satzes verlesen, in dem nur vom Schlieferl-tum‘ im allgemeinen die Rede war.“ Es istunwahr, dass Karl Kraus in der Verhandlung irgend etwas er-klärt hat. Wahr ist, dass er bei der Verhandlung nicht an-wesend war und seine Erklärungen durch seinen Verteidiger vorbringen liess. Wahr ist, dass die durch den Verteidiger vorgebrachte Erklärung anders gelautet hat.

Sie schreiben über den Ausgang der Be-rufungsverhandlung: „Interessant ist die Begründung desUrteils.

Der Vorsitzende teilte nämlich mit. – – – Der Bezirks-richter habe daher mit Unrecht die Umwandlung der an sichverwirkten Arreststrafe in eine Geldstrafe verfügt, weilin solchen Fällen, wenn ein Wahrheitsbeweis angeboten wird,jedoch misslingt, unbedingt eine Arrest-strafe Platz zu greifen hätte. Lediglich weil Dr. Pisk keine Berufung wegen zu geringer Strafe eingebracht hatte,sei das Gericht genötigt gewesen, von einer Neufestsetzungder Strafe Abstand zu nehmen.

Es ist unwahr, dass der Vorsitzendein der Urteilsbegründung gesagt hat, dass eine Arreststrafeunbedingt Platz zu greifen hätte; es ist unwahr, dass ergesagt hat, dass lediglich, weil Dr. Pisk keine Berufungwegen zu geringer Strafe eingebracht hatte, das Gerichtgenötigt gewesen sei, von einer Neufestsetzung der StrafeAbstand zu nehmen.

Wahr ist vielmehr, dass der Vorsitzende zu der Berufung des Verteidigers gegen das Ausmass der Geld-

strafe zwar das Wort „Arreststrafe“ gebraucht hat, aber imGegenteil gesagt hat, dass bei der im Gesetz vorgesehenenUmwandlung der Arreststrafe die Höhe der verhängten Geldstrafeim vorliegenden Falle angemessen sei.

KrausWiener AllgemeineZeitung15.IV.31.