2.14 Zusätzliche Begründung der Berufungsverweigerung und juristische Ausführungen von Samek

Schreiberhände:

  • Bleistift
  • schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 5. März 1923
Seite von 4

Berufung

Es wird z.Bsp. zum Zwecke der Charakterisierung eines Mannes,der öffentlich Stellung genommen hat gegen das Einreissen der Sittenlosig-keit in der Familie, ein Artikel geschrieben, in welchem es heisst: „N. N. be-hauptet, dass die Sittenlosigkeit in der Familie nicht streng genug verur-teilt werden könne und ist sehr entrüstet über die sittliche Verderbnis derNeuzeit. Im vorigen Jahre aber war er durch 4 Wochen in Marienbad täglichausschliesslich in Gesellschaft einer sehr schönen, sehr eleganten jungenDame“. Der letzte Satz ist die Behauptung der Existenz einer Tatsache. Mankann gewiss sinnlich wahrnehmen, dass jemand durch 4 Wochen täglichund ausschliesslich in Gesellschaft einer jungen Dame in Marienbad sichbefindet. Im Zusammenhange mit den vorausgegangenen Mitteilungen wird durchdie Mitteilung dieser Tatsache beim Kenntnisnehmer die Vorstellung er-weckt, der gesellschaftliche Verkehr des N. N. ergebe einen hinreichendenGrund für die Annahme, dass N. N. durch diesen gesellschaftlichen Verkehrim Gegensatz zu den von ihm vertretenen Sittlichkeitsgrundsätzen stehe,N. N. habe somit selbst eine moralisch nicht einwandfreie Handlung begangen,und es wird die weitere Vorstellung hervorgerufen, dass diese „Dame“ dieFrau eines anderen war oder dass N. N. selbst verheiratet ist und durch die-sen gesellschaftlichen Verkehr die eheliche Treuegegenüber seiner Frauverletzte oder dass die „junge Dame“ gleichviel, ob ledig oder verheiratet,mit Rücksicht auf ihre sonstigen Qualitäten den täglichen Verkehr des N. N.als moralisch nicht einwandfrei erscheinen lasse. Bei dem Kenntnisnehmer desArtikels finden bilden sich also auf Grund der Mitteilung der Existenz einerTatsache eine Reihe von Vorstellungen über die Existenz oder Nichtexistenzvon Tatsachen, die er auf Grund logischer Folgerungen und auf Grund der Er-fahrung in einer Weise verbindet, die bei ihm die Ansicht einer gewissenUnmoralität des N. N. ergeben.

Diese Ansicht will nun N. N. durch seine Berichtigung zerstören, erkann dies, indem er zunächst einmal der Behauptung der Existenz der Tatsache,in der Berichtigung die Behauptung der Nichtexistenz gegenüberstellt: erkann behaupten, er war niemals in Marienbad, habe sich auch niemals durch4 Wochen in täglichen ausschliesslichen gesellschaftlichem Verkehr mit einerjungen Dame befunden. (Auf die materielle Richtigkeit der Tasachenbe-

hauptung kommt es im Berichtigungsverfahren nicht an).

Der Berichtiger kann aber auch gegen eine TatsachenbehauptungStellung nehmen, die nicht expressis verbis in dem zu berichtigenden Artikelenthalten ist, das kann im vorliegenden Falle geschehen, wenn er die zuberichtigende Behauptung als eine Entstellung erklärt, indem er sagt: „Richtigist, dass ich durch 4 Wochen in Marienbad mit einer jungen Dame täglichund ausschliesslich in gesellschaftlichem Verkehre stand. Ich ergänze undberichtige aber diese Mitteilung dahin, dass diese junge Dame meine eigeneTochter ist“. Dann wird der zu berichtigende Artikel, der eine reine Tatsachen-behauptung enthält, dadurch berichtigt, dass der behaupteten Existenz einerTatsache die Behauptung der Existenz einer anderen Tatsache hinzugefügt wird.Es wäre aber auch eine Berichtigung in folgender Form denkbar: „Richtig istdie Behauptung, dass ich im vorigen Jahr durch 6 Wochen im täglichen und aus-schliesslichen gesellschaftlichen Verkehr mit einer jungen Dame in Marienbad stand, insoweit diese tatsächliche Behauptung aber die Vorstellung einer mora-lischen Ungehörigkeit meinerseits hervorruft, erkläre ich, dass es nicht un-moralisch ist, wenn ich durch 6 Wochen mit meiner Tochter in Marienbad täg-lich und ausschliesslich in gesellschaftlichem Verkehr stehe“. Eine solcheBerichtigung enthält gewiss die Mitteilung einer Ansicht, kann aber dochgleichzeitig vernünftigerweise keine andere Vorstellung hervorrufen, als:der Berichtiger behauptet, die Dame, welche in dem zu berichtigenden Artikelerwähnt wird, sei seine Tochter gewesen. Eine solche Berichtigung entsprichtnicht der Form, welche sich in der Berichtigungspraxis entwickelt hat, istvielleicht auch deshalb nicht empfehlenswert, weil sie leicht zugesetzlich unrichtigen Berichtigungen verleiten kann, aber an sich muss sie wohlals gesetzlich zulässig bezeichnet werden. In dem zu berichtigenden Artikelheisst es gewiss nicht, dass die junge Dame nicht die Tochter des Berichtigerswar und vom rein formalen Standpunkte aus könnte auch die Berichtigung:die „Dame war meine Tochter“ zurückgewiesen werden, da sie keine gegensätz-liche Behauptung enthalte. Eine solche rechtliche Auffassung wäre reinformalistisch und gesetzlich nicht begründet, da die in dem zu berichtigendenArtikel enthaltene Behauptung von dem gesellschaftlichen Verkehr mit der jun-gen Dame nach dem Gesamtinhalte des Artikels beimLeser niemals die Vorstellung auslösen wird, dass die junge Dame die Tochter des Berichtigers sei, vielmehr

der Leser bewusst oder unbewusst von der Voraussetzung ausgehen muss, diejunge Dame sei eben nicht die Tochter oder Frau des Berichtigers gewesen,weil ja sonst diese Tatsachenbehauptung in dem ganzen Zusammenhange keinenSinn hätte und mit dem Hinweis auf die Entrüstungdes Berichtigers über dieSittenverderbnis ausser jedem vernünftigen Gedankengange stünde.