12.8 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (G.Z. U I 109/25/3, Christoph Höflmayr)

Materialitätstyp:

  • Typoskript
Datum: 25. April 1925
Seite von 4

Geschäftszahl U I 109/253

Im Namen der Republik!

Das Straf-Bezirksgericht I in Wien als Pressegericht hatheute in Gegenwart des Privatanklage-Vertreters Dr. OskarSamek und des Angeklagten Dr. Fritz Kaufmann über die Anklage verhandelt, die der Privat-Ankläger Karl Kraus gegenDr. Fritz KAUFMANN,28. J. alt, vh., verantwortlicher Schriftleiterder „ Stunde wegen der Uebertretung nach §§ 23 und 24 Preß-Gesetz erhoben hatte, undüber den vom Ankläger gestellten Antrag auf Bestrafung des Ange-klagten und auf Verpflichtung desselben zur Veröffentlichung derBerichtigung gem. § 24 Preß-Gesetz., zu recht erkannt:

I./ Dr. Fritz Kaufmann ist schuldig, als verant-wortlicher Schriftleiter der No. 632 der Zeitung „Die Stunde“ ddo.17.IV.1925 die vom beteiligten Privatankläger Karl Kraus ver-langte Berichtigung von Tatsachen, die in der No. 610 der genanntenZeitung ddo. 20.3.1925 unter der Ueberschrift „Karl Krausmitgeteilt worden waren, nicht in der gesetzlich vorgeschriebenenWeise vorgenommen zu haben.

Er hat hiedurch die Uebertretung nach §§ 23 und 24 Abs.2 Z. 2 Preß-Gesetz begangen und wird gemäß dieser Gesetzesstellezu einer Geldstrafe im Betrage von:20 / zwanzig / SCHILLINGEN im Falle der Nichteinbringlichkeit zu 24 Stunden Arrest, und gemäߧ 389 StPO. zum Ersatze der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.

Dr. Fritz Kaufmann wird ferner gemäß § 24 Abs. 2Z. 2 und Abs. 4 u. 6 des Preß-Gesetzes verpflichtet, die Berichtigungdes Privatanklägers vom 11.4.1925 in der nächsten oder zweitnäch-sten Nummer der „Stunde“, die nach Verkündung dieses Urteilserscheinen wird, auf die im § 23 Preß-Gesetz vorgeschriebene Weisezu veröffentlichen, widrigens die genannte Zeitung nicht mehr er-scheinen dürfte. Gemäß § 5 Preß-Gesetz haften der Herausgeber derZeitung „Die StundeEmmerich Bèkessy und deren EigentümerKronos-Verlag A.G. für die mit diesem Urteil ver-hängte Geldstrafe und für die Kosten des Strafverfahrens zur un-

geteilten Hand mit dem Verurteilten.

II./ Dr. Fritz Kaufmann wird von der Anklage,er habe als verantwortlicher Schriftleiter der Zeitung „DieStunde“ die vom beteiligten Privatankläger Karl Kraus verlangte Berichtigung von Tatsachen, die in der Nummer 610 dergenannten Zeitung ddo. 20.3.1925 unter der Ueberschrift „KarlKraus“ mitgeteilt worden waren, verspätet veröffentlicht undhabe hiedurch die Uebertretung nach § 24 Abs. 2 Z. 1 Preß-Gesetz begangen, gemäß § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen.

Gründe:

I./ In der Nummer 610 der Zeitung „Die Stunde“ ddo.20.3.1925 war unter der Ueberschrift „Karl Kraus“ eineMitteilung, bestehend aus einem Bilde und angefügtem Texte er-schienen.

Die Mitteilung der „Stunde“ wurde durch ein Schreibendes Privatanklägers Karl Kraus vom 11.4.1925 berichtigt,welches am genannten Tage beim damaligen verantwortlichenSchriftleiter der „StundeDr. Marc Siegelberg ein-langte, wie aus der Empfangsbestätigung Bl. Zl. 10 hervorgeht.

Vor Ablauf der dem Dr. Marc Siegelberg offenstehenden Erfüllungsfrist hörte dessen Verantwortlichkeitauf und trat an dessen Stelle der Beschuldigte als verantwortli-cher Schriftleiter der „Stunde, womit auch die Verantwortungfür die Veröffentlichung von Berichtigungen gemäß § 44 Preß-Gesetz auf ihn überging. Sache des verantwortlichen Schriftleiters ist es,jede einlangende Berichtigung dahin zu prüfen, ob sie dem Gesetzeentspricht.

Im vorliegenden Falle wäre zwar der Beschuldigte zurVeröffentlichung der verlangten Berichtigung nicht verpflichtetgewesen, da diese Vorschriften der § 23 und 24 des Preß-Ge-setzes, insbesondere wegen des Verlangens der Reproduktion einesBildes, nicht entsprach, was aus dem Wortlaute des § 23 Preß-

Gesetz hervorgeht, wonach die Veröffentlichung „in der selbenSchrift“ erfolgen muss. Wenn aber der verantwortlicheSchriftleiter, wie im gegebenen Falle, die Berichtigung veröffent-licht, so haftet er gemäß § 24 Abs. 2 Z. 2 des Preß-Gesetzes dafür, dass diese in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise er-folgt; denn diese Gesetzesstelle statuiert einen eigenen straf-baren Tatbestand, und zwar im Gegensatze zur Z. 3 des Abs. 2 des§ 24 Preß-Gesetz unabhängig davon, ob die verlangte Berichtigungim Gesetze begründet ist oder nicht, weil sonst jede nicht gesetz-mäßige Berichtigung absichtlich verstümmelt und lächerlich gemacht,ja gerade in das Gegenteil von dem verkehrt werden könnte, was derBerichtigungswerber und der Gesetzgeber gewollt haben.

Im vorliegenden Falle erfolgte die Veröffentlichung derverlangten Berichtigung nicht in der gesetzlich vorgeschriebenenWeise, denn wie aus dem Berichtigungsschreiben des Privatanklä-gers einerseits und der Veröffentlichung der Berichtigung in derNo. 632 der „Stunde“ andererseits hervorgeht, sind in letztererAuslassungen vorgekommen und Zusätze gemacht worden: ausgelassenwurde in der Veröffentlichung der oberhalb und unterhalb des Bil-des befindliche Text, nämlich: „Karl Kraus“ … „feiertam 18. April seinen 51. Geburtstag. Das Bild zeigt den Jubilanten in seinem 11. Lebensjahre mit seiner Schwester, mit der er be-kanntlich jetzt einen Erbschaftsstreit führt.hinzugefügt wur-den dem Berichtigungstexte, dessen Veröffentlichung verlangt wur-de, die Worte: „Siehe Bild I“ und „Siehe Bild II“.

Hiemit ist festgestellt, dass sich der Beschuldigte gegen die Bestimmungen des § 24 Abs. 2 Z. 2 Preß-Gesetz vergangenhat und ist dessen Schuldspruch somit gerechtfertigt.

Bei der Strafbemessung waren die mehrfachen Vorstrafenwegen Preßdelikten erschwerend, das Geständnis desTatsächlichen mildernd. Die verhängte Strafe erscheintdaher dem Verschulden des Angeklagten angemessen.

Die übrigen Bestimmungen des Urteils gründen sich aufdie darin bezogenen Gesetzesstellen.

II./ Festgestellt ist durch die Angaben des Beschuldigten,

die Empfangsbestätigung vom 11.IV.1925 und aus der Nummer 632der Zeitung „Die Stunde“ ddo. 17.IV.1925, dass die vom Privat-ankläger verlangte Berichtigung erst in der dritten nach Einlangender Berichtigung erschienenen Nummer der „Stunde“ veröffentlichtwurde.

Trotzdem war der Beschuldigte von der diesbezüglichen An-klage freizusprechen, weil er, wie schon oben unter I./ dargelegtwurde, zur Veröffentlichung der verlangten Berichtigung überhauptnicht verpflichtet war und infolgedessen in der verspäte-ten Veröffentlichung ein strafbarer Tatbestand nicht erblicktwerden konnte.

Wien, am 25. April 1925.[Unterschrift]

KrausStunde 5.V.25