14.11 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (G.Z. U I 110/25, Richter: Christoph Höflmayr, Verteidiger: Karl Sterzer)

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Datum: 22. Juli 1925
Seite von 4

11 UI 110/2510

Im Namen der RepublikDas Strafbezirksgericht I in Wien als Pressegericht hat heute in Gegenwartdes Privatanklagevertreters Dr. Oskar Samek,in Abwesenheitdes Angeklagten Marc Siegelberg und in Gegenwartdes Verteidigers Dr. Karl Sterzer über die Anklage verhandelt, die die Privat-ankläger 1./ Marie TURNOWSKY; 2./ Karl KRAUS gegen

Dr. Marc Siegelberg 30 Jahre alt, verh., verantwortlicher Schriftleiter der „Stundewegen der Übertretung nach § 30 Preß-Gesetz (§ 45 Abs. 3 Urh.Ges.)erhoben hatte,und über den vom Anklägevertreter gestellten Antrag auf Bestrafung des Beschuldigten zu Recht erkannt: Dr. Marc Siegelberg ist schuldig, er habe alsverantwortlicher Schriftleiter der Zeitung „die Stunde“ bei der in dieNummer 610 dieser Zeitung vom 20.III.1925 erfolgten Aufnahme des Bildes mit der Ueberschrift „Karl Kraus“, wodurch die Uebertretung nach § 45Abs. 3 Urh.Ges. begründet wurde, jene Aufmerksamkeit vernachlässigt, beideren pflichtmässiger Anwendung die strafbare Veröffentlichung dieses Bil-des in jener Zeitungsnummer unterblieben wäre.

Er hat hiedurch die Uebertretung nach § 30 Preß-Gesetz began-gen und wird gemäß dieser Gesetzesstelle zu einer Geldstrafe im Betrage von:

10 / zehn / Schillingen im Nichteinbringungsfallezu 24 / vierundzwanzig / Stunden Arrest und gemäß § 389 StPO. zum Ersatze derKosten des Strafverfahrens verurteilt.

Gründe:In der Nummer 610 der Zeitung „Die Stunde“ vom 20.3.1925 wurdeein Bild veröffentlicht, das die Ueberschrift „Karl Kraus“ trägt und demnoch folgender Text beigefügt ist: „feiert am 18. April seinen 51. Geburts-tag. Das Bild zeigt den Jubilanten in seinem 11. Lebensjahre mit seiner Schwester ……“.

Der Verteidiger des Beschuldigten gab an, dass diese Repro-duktion unter Zuhilfenahme des dem Akte beiliegenden Bildes ./B erfolgteund zwar sei dieses Bild ./B von einem Zeichner der „Stunde“ karikaturis-tisch abgezeichnet worden, worauf dann im Wege des photographischen Ver-fahrens die Reproduktion in der genannten Zeitungsnummer zu Stande kam.

Der Verteidiger erklärte den Zeichner nicht zu nennen undnicht in der Lage zu sein, die Zeichnung, nach der das gegenständlicheBild hergestellt wurde, vorzulegen.

Es wurde daher ein Gutachten der Graphischen Lehr- und Ver-suchsanstalt darüber eingeholt, ob das veröffentlichte Bild die Wieder-gabe der retouchierten Originalphotographie ./B oder einer nach dieserPhotographie gezeichneten Karikatur ist.

Das Gutachten besagt, dass es sich nicht um eine nach der Ori-ginalphotographie oder einer Reproduktion derselben vorgenommenen Zeich-nung (Karikatur), sondern um eine durch Retouche veränderte photomechani-sche Reproduktion des Originalbildes ./B handelt.

Der Augenschein ergibt dasselbe; denn eine Karikatur liegt nurvor, wenn das Bild derart ist, dass es jedermann klar ist, dass das Bildder Wahrheit nicht entsprechen kann. Vorliegendenfalls ist das Bild aberein solches, dass es ganz gut der Wirklichkeit entsprechen könnte.

Die auf Grund des graphischen Lehr- und Ver-suchsanstalt gemachte Feststellung, dass es sich beim inkriminiertenBilde, um eine photomechanische Reproduktion des Bildes ./B handle, istmit Rücksicht auf die Bestimmung der §§ 36 u. 34 Z. 1 Urh.Ges. von Bedeu-tung, weil somit erwiesen ist, dass es sich bei dem in No. 610 der ZeitungDie Stunde reproduzierten Bilde nicht um ein neues und selbständigesWerk handelt; es kommt somit die gesetzliche Bestimmung des § 34 Z.1 Urh.Ges. über die Ausnahme vom Eingriffe in das Urheberrecht bei Schaffungeines neuen Werkes unter freier Benützung eines anderen, nicht in Be-tracht, selbst dann nicht, wenn die Angabe des Verteidigers zutreffendwäre, dass dem inkriminierten Bilde eine Zeichnung zu Grunde liegt, die

das Originalbild täuschend genau wiedergibt.

Es ist somit erwiesen, dass das in No. 610 der „Stunde“ veröffent-lichte Bild eine Nachbildung des Originalbildes ./B ist.

Nach § 35 Urh.Ges. umfasst das Urheberrecht an Werken der Photographieu.a. das ausschliessliche Recht das Werk nachzubilden.

Wie das Gericht ferner durch Augenschein festgestellt hat, handeltes sich beim gegenständlichen Bilde um ein Photographie-Porträt u.zw. derbeider PA., was sich auch aus dem diesem Bilde in der „Stunde“ beigegebenenTexte ergibt.

Nach § 45 Abs. 1 Z. 3 begeht eine Übertretung, wer über einPhotographieporträt ohne Zustimmung der dargestellten Personen oder ihrerErben eine unter das Urheberecht fallende Verfügung trifft, also z.B. eineNachbildung anfertigt.

Anlangend die weiteren Einwendungen der Verteidigung sei bemerkt:1.) dass das Urheberecht gemäß § 41 Urh.Ges. schon erloschen sei,ist mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 13 Abs. 2 Urh.Ges. nicht zutreffend;denn § 13 Abs. 2 Urh.Ges. besagt ausdrücklich, dass bei Photographie-Por-träts die Ausübung des Urheberrechtes in allen Fällen an die Zustimmungder dargestellten Person oder ihrer Erben gebunden ist.2.) Auf dieselbe gesetzliche Bestimmung (§ 13 Abs. 2 Urh.Ges.) istauch zu verweisen, wenn behauptet wird, dass den Privatanklägern kein Kla-gerecht zustehe, da sie zweifellos nicht die „Besteller“ der Original-photographie ./B gewesen seien.3.) Dass die Privatankläger zum hg. Akte U I 109/25 im Wege einerBerichtigungsklage berichtigt haben, dass das in der „Stunde“ wiedergegebe-ne Bild nicht ihr Bild sei, kann nicht herangezogen werden, weil einerseitsder Augenschein durch Vergleichung mit der Photographie ./B das Gegenteilergibt und weil andererseits die Berichtigung nur dahin ging, dass das inNo. 610 der „Stunde wiedergegebene Bild mit dem Originalbilde nicht voll-ständig identisch ist.

Es ist somit erwiesen, dass objektiv der Tatbestand der Uebertre-tung nach § 45 Abs. 1 Z. 3 Urh.Ges. vorliegt.

Da der Beschuldigte behauptet hat, das inkriminierte Bild wederselbst angefertigt, noch vor Drucklegung angesehen oder dasselbe zum Druckebefördert zu haben und diese Behauptung nicht wiederlegt erscheint, so konn-te nur dessen Verfolgung nach § 30 Preß.Gesetz statthaben.

Der Schuldspruch des Angeklagten ist somit gerechtfertigt.

Bei der Strafbemessung war nichts erschwerend; mildernd war die Un-bescholtenheit zur Zeit der Tat. Die verhängte Strafe erscheint daher demVerschulden des Angeklagten angemessen.

Der Ausspruch über die Kosten des Strafverfahrens gründet sich auf§ 289 St.P.O.

Wien, am 22. Juli 1925.Der Richter Der SchriftführerDr. Hoflmayer mp Dr. Jung mp

BKosten einbringlichWien am 22/7 1925Dr. Höflmayer mp

Wien, am 26. Juli 1925.[Unterschrift]

KrausStunde