23.52 Bitte um Einleitung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (Samek an Generalprokuratur)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 26. April 1927
Seite von 6

845/27

An dieGeneralprokuraturWien.

Als Anwalt des Privatanklägers Karl Kraus, Schriftsteller inWien III., Hintere Zollamtsstrasse 3.

1 fach

bittet um Einleitung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrungdes Gesetzes.

Herr Karl Kraus, Schriftsteller,hat durch mich als seinen Anwalt wegen Veröffentlichung zweierihn betreffenden Artikel in der „Stunde“ beim Landesgerichtefür Strafsachen I in Wien den Antrag auf Einleitung der Vor-untersuchung wegen Vergehens der Ehrenbeleidigung gegenEmmerich Bekessy als Herausgeber, Dr. Fritz Kaufmann als verantwortlichen Redakteur der „Stunde“ und weitere unbe-kannte Täter gestellt. Ein Täter wurde trotz vorgenommenerHausdurchsuchung nicht ermittelt, weshalb der Antrag auf Ab-tretung des Aktes an das Strafbezirksgericht I zur weiterenBehandlung gemäss § 30 Pr.G. gestellt, und das Verfahren gegenDr. Fritz Kaufmann dort nach dieser Gesetzesstelle fort-geführt wurde, das auch mit einer Verurteilung des verantwort-lichen Schriftleiters Dr. Fritz Kaufmann nach § 30 Pr.G. endete. Das Untersuchungsverfahren beim Landesgerichte fürStrafsachen I wurde zur G.Z. Vr XXVI 7288/25, das Verfahren vordem Strafbezirksgerichte I zu den G.Z. U I 14/26 und U I 224/26geführt.

Nach rechtskräftiger Verurteilung desverantwortlichen Schriftleiters Dr. Fritz Kaufmann, be-antragte ich beim Strafbezirksgerichte I die Kostenbestimmung,in welcher jedoch die beim Landesgerichte für Strafsachen I aufgelaufenen Kosten des Antrages auf Einleitung der Vorunter-suchung und die Intervention bei der Hausdurchsuchung nichtzugesprochen wurden. Meine dagegen gerichtete Kostenbeschwerdewar erfolglos und zwar hat das Landesgericht für StrafsachenWien I mit Beschluss vom 13. April 1927 Bl XV 213371/27 dieAbweisung der Kostenbeschwerde damit begründet, dass „die imVerfahren wegen Vergehens der Ehrenbeleidigung vor dem Unter-suchungsrichter des Gerichtshofes erwachsenen Kosten nicht

auch die Kosten des Verfahrens nach § 30 Pr.G. vor dem Be-zirksgerichte sind, umsoweniger, als ja das Vergehensverfahrenauf andere Weise als durch ein verurteilendes Erkenntnis be-endet wurde.“ Da diese Entscheidung den gesamten Fragekomplexüber die Bezeichnung der Ehrenbeleidigung begangen durch diePresse und der Uebertretung des § 30 Pr.G. in einer mit dersonstigen Praxis dieser Gesetzesstelle widersprechenden Weiseerledigt, glaube ich verpflichtet zu sein, diese Angelegen-heit der Generalprokuratur zur Einleitung einer Nichtigkeits-beschwerde zur Wahrung des Gesetzes gemäss § 292 St.P.O. zuunterbreiten.

Die Einleitung der Voruntersuchungwar wegen Veröffentlichung eines Artikels, welcher in derStunde“ erschienen ist, gestellt worden. Ob sich die Mit-wirkung des verantwortlichen Redakteurs an der Veröffentli-chung als Vergehen der Ehrenbeleidigung oder als Uebertretungdes § 30 Pr.G. darstellt, hatte bei erhobener Anklage wegenVergehens der Ehrenbeleidigung, der Richter auf Grund derim Zuge der Verhandlung erhobenen Tatsachen zu beurteilen,denn nur die Tat des Angeklagten, nicht aber ihre vom An-kläger vorgenommene Qualifizierung ist Gegenstand der An-klage. Es hätte also, wenn das Verfahren wegen Vergehensder Ehrenbeleidigung durchgeführt worden wäre und die Mitschulddes Angeklagten nur in einer Vernachlässigung der pflichtge-mässen Obsorge bestanden hätte, ohne weitere Anklageerhebungeine Verurteilung nach § 30 Pr.G. vor dem Geschworenenge-richte erfolgen müssen. Es kommt hierbei nur auf die Identitätder Tat, nicht aber auch auf die Identität des Verschuldensund der rechtlichen Beurteilung an. Die Identität der Tatliegt dann vor, wenn das Urteil dasselbe historische Ereig-nis betrifft, wie das von der Anklage behauptete. Es ist dem

Ankläger unbenommen, in der Aenderung des Sachverhaltes durch eineAenderung der Anklage Rechnung zu tragen, beziehungsweiseunter Festhaltung an der Identität der Tat und ihrer durchdie Anklageschrift vorgenommenen Qualifikation überhauptoder in eventum die Tat anders zu qualifizieren: aber er-forderlich ist dies unter keinen Umständen und auch die be-dingungslose Aenderung der Bezeichnung der rechtlichen Be-urteilung der Tat hindert das Gericht nicht, in seinem Urteileden vom Ankläger verlassenen Standpunkt der Anklageschrifteinzunehmen. Aber auch wenn das Gericht die Aenderung alsbegründet anerkennt, hat das Urteil nicht anders gefasst zusein, als wenn das Gericht unabhängig vom Ankläger die Tatanders qualifiziert (vergleiche Dr. Ernst Lohsing: österr.Strafprozessrecht II. Auflage, Seite 494f.).

Wenn also über eine Anklage auf Ver-gehen der Ehrenbeleidigung vor einem Geschworenengerichtejudiziert und infolge Fragestellung eine Verurteilung nach§ 30 Pr.G. erfolgt wäre, hätte nicht auch gleichzeitig einFreispruch vom Vergehen der Ehrenbeleidigung erfolgen dürfen,da nur dieselbe Tat unter Berücksichtigung des subjektiven Ver-schuldens eine andere Qualifikation erfahren hätte. Darausergibt sich, dass der Beschuldigte die Kosten des gesamtenStrafverfahrens zu tragen gehabt hätte, da ja eine Verurtei-lung erfolgte und die Qualifikationsänderung nur auf dieAnwendung der Tarifpost, nicht aber auf die Verpflichtung zumErsatz der Kosten Einfluss gehabt hätte.

In folgerichtiger Konsequenz dieserAusführung bestimmt die Anmerkung 3 zur Tarifpost 4 des Rechts-anwalttarifes, dass, wenn ein wegen Vergehens Angeklagter nureiner Uebertretung schuldig erkannt wird, die Kosten nachZahl 2 (anstatt Zahl 3) dieser Tarifpost zu bemessen sind.

Dass die Aenderung der Qualifikationvor Erhebung der Anklage und Verhandlung vor dem Geschworenen-gerichte vorgenommen wurde, kann nun an dieser durch dieIdentität der Tat gegebenen einheitlichen Kostenersatzpflichtnichts ändern und es wäre daher folgerichtig gewesen, denBeschuldigten zum Ersatz sämtlicher auch durch Einleitung derVoruntersuchung beim Gerichtshofe entstandenen Kosten zuverhalten.

Ich wiederhole daher meine Bitteum Einleitung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung desGesetzes.

Dr. Oskar Samek als Anwalt des Herrn Karl Kraus.

Betr. KrausDr. Kaufmann / § 30 Pr. G. /expediert am 27. April 1926.