36.1 Brief Samek an Der Tag (verantw. Red. Josef Koller)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 16. November 1926
Betreff: Kraus – Stunde

Empfänger

An: den verantwortlichen Redakteur des „Tag“ | Herrn Josef Koller
Canisiusgasse 8–10
Wien. IX.
Seite von 2

Sehr geehrter Herr!

Ihr Gerichtssaalbericht vom 12. November 1926 ent-hält eine tatsächliche Angabe, die unvollständig ist und einerErgänzung bedarf, die vorzunehmen ich Sie ersuche, obwohl nachder geltenden pressrechtlichen Praxis, eine solche Ergänzung,durch die der wahre Sachverhalt erst hergestellt wird, nichtverlangt werden könnte. Sie schreiben, dass ich den Strafantragauch darauf ausgedehnt habe, dass der Beschuldigte erzählte,dass Karl Kraussich als Neunzehnjähriger bemüht habe, in dieRedaktion der ‚Neuen Freien Presse‘ hineinzukommen, aber dorthinaus geworfen wurde.“ Ferner teilen Sie mit, dass ich diesenStrafentrag über die ausgedehnte Anklage zurückgezogen habe,worauf der Beschuldigte in diesem Punkte formell freigesprochen wurde. Ich ersuche festzustellen, dass ich den Strafantrag mitder ausdrücklichen Begründung fallen liess, weil in diesemStadium evident war, dass der schon durch ein Jahr verzögerteUrteilsspruch mit Ablehnung sämtlicher Beweisanträge des Be-schuldigten diesmal gefällt würde und dass der hinzugekommene

Punkt, für den ein Wahrheitsbeweis unbedingt zulässig ge-wesen wäre, eine neuerliche Vertagung des gesamten Prozessesauf einen unabsehbaren Termin herbeigeführt hätte. Da ichvon allem Anfang an der Ansicht war, dass ein Wahrheitsbeweisauch in einem anderen Punkt zulässig gewesen wäre und ange-ordnet werden würde, habe ich die Anklage aus dem neuen Punktgleich ausgedehnt, anstatt sie mir bloss vorzubehalten. AusIhrer Darstellung könnte der Leser schliessen, dass aus irgendwelchem anderen, meritorischen Grund auf die Anklage verzichtetwurde. Was dieses Meritum anlangt, ersuche ich von der spontanabgegebenen Erklärung der „Neuen Freien Presse“ vom 12. November1926 Notiz zu nehmen, welche, entgegen dem Vorbringen des Be-schuldigten, lautet: „Wir stehen nicht an, loyalerweise zu er-klären, dass diese Behauptung absolut unstichhaltig ist, dassHerr Kraus niemals eine Stellung in unserem Blatte angestrebthat und dass daher auch von einer Zurückweisung solcher Be-strebungen keine Rede sein konnte.

Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung

KrausStunde 16.XI.26.