36.2 Brief Samek an Neues Wiener Tagblatt (verantw. Red. Oskar Hirt)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 16. November 1926
Betreff: Kraus – Stunde
Diktiersigle: Dr.S/M

Empfänger

An: den | verantwortlichen Redakteur des „Neuen Wiener Tagblatt“ | Herrn Oskar Hirt
Fleischmarkt 5
Wien, I.
Seite von 2

Sehr geehrter Herr!

Ihr Gerichtsaalbericht vom 12. November 1926 ent-hält eine tatsächliche Angabe, die unvollständig ist und einerErgänzung bedarf, die vorzunehmen ich Sie ersuche, obwohl nachder geltenden pressrechtlichen Praxis eine solche Ergänzung,durch die der wahre Sachverhalt erst hergestellt wird, nichtverlangt werden könnte. Sie schreiben, dass ich den Strafantragauch darauf ausgedehnt habe, dass der Beschuldigte hervorhob,dass Kraus sich als Neunzehnjähriger um eine Stelle in derRedaktion der ‚Neuen Freien Presse‘ beworben habe, aber dorthinausgeworfen worden sei, diesen Antrag aber später zurückzog.Ich ersuche festzustellen, dass ich den Strafantrag mit derausdrücklichen Begründung fallen liess, weil in diesem Stadiumevident war, dass der schon durch ein Jahr verzögerte Urteils-spruch mit Ablehnung sämtlicher Beweisanträge des Beschuldigten diesmal gefällt wurde und dass der hinzugekommene Punkt, fürden ein Wahrheitsbeweis unbedingt zulässig gewesen wäre, eineneuerliche Vertagung des gesamten Prozesses auf einen unab-sehbaren Termin herbeigeführt hätte. Da ich von allem Anfang an

der Ansicht war, dass ein Wahrheitsbeweis auch in einem anderenPunkte zulässig gewesen wäre und angeordnet werden würde, habeich die Anklage auf den neuen Punkt gleich ausgedehnt, anstattsie mir bloss vorzubehalten. Aus Ihrer Darstellung könnte derLeser schliessen, dass aus irgend welchem anderen, meritorischenGrund auf die Anklage verzichtet wurde. Was dieses Meritum an-langt, ersuche ich von der spontan abgegebenen Erklärung derNeuen Freien Presse“ vom 12. November 1926 Notiz zu nehmen,welche, entgegen dem Vorbringen des Beschuldigten, lautet:Wir stehen nicht an, loyalerweise zu erklären, dass diese Be-hauptung absolut unstichhaltig ist, dass Herr Kraus niemals eineStellung in unserem Blatte angestrebt hat und dass daher auch voneiner Zurückweisung solcher Bestrebungen keine Rede sein konnte.

Mit dem Ausdruck vorzüglicherHochachtung

KrausStunde 16.XI 26.