36.4 Brief Samek an Neues Wiener Tagblatt (verantw. Red. Oskar Hirt)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 26. November 1926
Betreff: Kraus – Stunde

Empfänger

An: den | verantwortlichen Redakteur des „Neuen Wiener Tagblatt“ | Herrn Oskar Hirt
Fleischmarkt 5
Wien, I.
Seite von 2

Sehr geehrter Herr!

Zu Ihrer Notiz vom 23. ds. ersuche ich, die „wahrheitsge-mässe Feststellung“ des Beschuldigten, der mit Recht den Passusmeiner ersten Zuschrift über „den schon durch ein Jahr verzöger-ten Urteilsspruch“ auf sich, „als den Urheber der Verzögerungbezieht, durch die folgende Mitteilung ergänzen zu wollen.Es ist unwahr, dass „die Verhandlung ohne Bekanntgabe desGrundes an den Beschuldigten seinerzeit vom Februar auf einhalbes Jahr verschoben wurde, sonach für die Hinauszögerung desProzesses keinesfalls er die Verantwortung trägt.“ Wahr ist derfolgende Sachverhalt: Die Verhandlung, die für den 11. Februarangesetzt war, musste abgesetzt werden aus dem juristisch ohne wei-ters ersichtlichen Grund, weil ein zweiter Beleidigungsprozessgegen denselben Beschuldigten inzwischen anhängig gemacht wordenwar und die beiden Strafsachen ursprünglich vereinigt werdensollten. Erst nach der von mir veranlassten Trennung wurde imersten Prozess die Hauptverhandlung auf den 5. Juni, also kaum4 Monate später, angesesetzt. Diese Verhandlung war aber nicht durch-führbar, weil der Beschuldigte ein ärztliches Zeugnis vorlegenliess, wonach er an einer Blinddarmentzündung erkrankt sei und,wie sein Anwalt vorbrachte, noch keine Zeit gehabt hätte seinen

Anwalt zu informieren. An dem Tag der wegen der Krankheit abge-setzten Verhandlung ist die Anwesenheit des Beschuldigten ineinem Theater und hierauf in einem Nachtlokal festgestellt worden.Der nächste Termin wurde vom Strafbezirksgerichte I auf den 11. No-vember angesetzt. Die Durchführung auch dieses Termines konnte nurdurch eine besondere Wachsamkeit gelingen, da die Zustellung derVorladung an den Beschuldigten durch die Post sich als unmöglicherwies und erst durch Intervention eines gerichtlichen Organesgelungen ist.

Mit dem Ausdruck vorzüglicherHochachtung

KrausStunde 26. Nov. 1926