67.3 Brief Samek an RA Oswald Richter

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

DR. OSKAR SAMEK | RECHTSANWALT
Schottenring 14
Wien, I.
Datum: 7. April 1927
Betreff: Kraus – Hannak
Diktiersigle: Dr.S./W./Fa.

Empfänger

An: Wohlgeboren | Herrn Dr. Oswald Richter, | Rechtsanwalt
Operngasse Nr. 2
Wien I.
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Kollege!

Dass Sie mir auf meine Formulierung derEhrenerklärung, die doch im wesentlichen nichts anderes enthieltals den von Ihnen selbst vorgeschlagenen Wortlaut – dazu freilichdie Zitierung der beleidigenden Stelle nebst einem Worte des Be-dauerns – die Nachricht brachten, dass diese Ehrenerklärung abge-lehnt werde, weil der Beleidiger in der gemachten Aeusserungeine Ehrenbeleidigung nicht erblicke“, hat mich in solches Er-staunen versetzt, dass ich verärgert das Gespräch sofort abbrach.Da Sie aber doch für diese Ansicht des Verfassers nicht verant-wortlich sind und ich Ihnen gegenüber umsoweniger unhöflich er-scheinen möchte, als Sie sich ersichtlich um eine Erledigung derAngelegenheit bemüht haben, will ich Ihnen doch nachträglich dan-ken und damit allerdings die Frage an Sie verbinden, wie es kommt,dass Sie selbst mir die Bereitwilligkeit zur Abgabe einer Ehrener-klärung mitteilen konnten, die bis auf den Ausdruck des Bedauernsschon alles das enthalten hat, was in dem Ihnen vorgelegten Texteenthalten war, nämlich die Zurückziehung des Vorwurfes. Sie müssen

demnach wohl selbst auch der Ansicht gewesen sein, dass eine Be-leidigung vorliegt, da Sie sich doch sonst kaum bemüht hätten, eineaussergerichtliche Erledigung des offenbar auch Ihnen ungerechterscheinenden Vorwurfes gegenüber einem Manne, den Sie achten, her-beizuführen. Ich könnte auch kaum glauben, dass Sie den Vorwurfnicht für beleidigend halten, eine publizistische Aeusserung einesMannes wie Karl Kraus sei von Ranküne und dem eigensüchtigen Beweg-grunde verletzter Eitelkeit (durch angeblich nicht genügendeästhetische Würdigung, wo doch das Gegenteil durch hunderte be-geisterte Artikel sozialdemokratischer Schriftsteller bewiesen wer-den könnte) geleitet – zumal wenn dieser Vorwurf in die Umgebungeiner Kritik erpresserischer und sonst materiell interessierterGegner des Sozialismus eingestellt erscheint. Es dünkt mir daherplausibler, dass der Verfasser des Artikels es nicht über sichbringt, ein begangenes Unrecht zu bedauern, was für uns Anwälte jaleider eine alltägliche Erscheinung ist. Für so unerfahren könnteich ihn nicht halten, dass ich ihm zutraute, er möchte glauben, dieAngelegenheit aus der Welt zu schaffen, wenn er einfach die Erklärungabgibt, die Stelle habe keinen beleidigenden Inhalt. Dies zu beur-teilen ist nicht seine Sache, sondern Sache des Gerichtes und esdürfte auch kaum vorstellbar sein, dass Herr Karl Kraus, der sichdurch eine konkrete Behauptung verletzt fühlt, diese als aus derWelt geschafft ansähe, wenn der Behauptende zwar nicht deren Un-wahrheit, aber deren Harmlosigkeit feststellt, und etwa noch hinzu-fügt, er habe es auch nicht böse gemeint. Es scheint mir demnach ausIhrer überraschenden Mitteilung hervorzugehen, dass der Verfasser

nicht den Wunsch hat, für die Behauptung durch Führung eines Wahr-heitsbeweises einzutreten, dem mein Klient aus ganz anderen Gründengerne aus dem Wege gegangen wäre und zwar, wie Sie wohl wissen, ausTeilnahme an einer grösseren Sache, die ihm leider, wie Sie gleich-falls wissen, durch eine Reihe von Begleitumständen gefährdet er-scheint, an denen durch Unterlassung von Ehrenbeleidigungsprozessenseitens der Betroffenen absichtlich vorübergegangen wird. Das sitt-liche Motiv der Betrachtung dieser Dinge, auf dessen Reinerhaltungund Klarstellung vor der ganzen Welt mein Klient den denkbargrössten Wert legt, ist in dem Artikel in das gerade Gegenteil ver-kehrt worden. Nicht dass sein „Aesthetentum“ von der sozialdemokra-tischen Partei nicht genügend ernst genommen wurde, sondern derenHaltung gegenüber dem Erpresser Bekessy, dessen Wirksamkeit er alsdie grösste Gefahr unseres öffentlichen Lebens erachtet hat, war derAusgangspunkt seiner Kritik, und deren Herabsetzung auf ein per-sönliches Interesse empfindet er eben als Ehrenangriff. So schmerz-lich und bedauerlich es ihm selbst ist,dass nunmehr die notwendigeRemedur eine Auseinandersetzung über die Materie selbst, im Ge-richtssaal, erfordert und dies seiner Initiative zuzuschreiben seinsoll, so können wir doch sagen, dass wir alles versucht haben, umeine solche Weiterung zu vermeiden. Dies war ja auch der gute Grund,weshalb ich Ihnen aus eigenem sachlichen Wohlwollen von der Möglich-keit dieses Prozesses Mitteilung machte, und gleichfalls der Grund,weshalb Sie sich, ohne von mir aufgefordert worden zu sein, zum Ver-such erbötig machten, dass die Angelegenheit durch eine Zurückziehungdes Vorwurfes erledigt werde.

Ob dieser als Beleidigung oder als

Schmeichelei oder wie immer und von welcher Instanz immer quali-fiziert würde – Herr Karl Kraus wünscht nichts anderes, als dasser in seiner objektiven Unwahrheit beseitigt wird. Wenn es nunbloss darauf ankommen sollte, dass es dem, der den Vorwurf erhobenhat, erspart bleibe, auch öffentlich zu bedauern, dass er es un-berechtigterweise getan habe, so legt Herr Karl Kraus auf den Aus-druck der Gefühle, die den Beleidiger nachträglich bewegen, keinenWert. Er verlangt nichts weiter, als dass der Vorwurf zurückgezo-gen werde, er habe aus Ranküne, nämlich, weil sein Aesthetentumnicht genügend ernst genommen, seiner Eitelkeit nicht hinreichendgeschmeichelt wurde, die Forderung ausgesprochen, dass ein konkretbeschuldigter sozialdemokratischer Funktionär die Beschuldigungstatt durch Ausspucken auf dem Parteitag durch Klage vor Gerichtwiderlege.

Ich übermittle Ihnen nunmehr jene eingeschränkte Erklärung, mit deren Veröffentlichung dem Anspruchmeines Klienten Genüge geleistet wäre und erbitte mir Ihre Ant-wort in längstens 3 Tagen, da ich ansonsten den Antrag auf Ein-leitung der Voruntersuchung einbringen müsste, für den die Fristam 14. ds. abläuft.

Ich zeichne mitkollegialer Hochachtung