67.6 Antrag auf Einleitung einer Voruntersuchung und Vornahme einer Hausdurchsuchung (Landesgericht für Strafsachen I Wien)

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, Bleistift

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 13. April 1927
Seite von 9

An dasLandesgericht für Strafsachen IWien.

Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller inWien III. Hintere Zollamtsstrasse 3 durch:

Beschuldigter: Dr. Johann Hannak, Redakteur inWien X. Arsenal, Objekt IX.

wegen Ehrenbeleidigungbegangen durch die Presse.1 fach1 Vollmacht2 Beilagen

Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung und Vornahmeeiner Hausdurchsuchung.

Im Heft 1 des V. Jahrganges der Halbmonatschrift für volkswirtschaftliche, sozialpolitischeund gewerkschaftliche Fragen „Arbeit und Wirtschaft“vom 1. Jänner 1927 erschien auf Seite 32 eine Notizunter dem Titel „Ein Witz Kasmaders?“ Die Notiz warnicht unterzeichnet. Sie enthielt verschiedene, nach§ 491 St.G. zu beurteilende Beleidigungen gegen mich.Insbesondere fühle ich mich durch folgende Stellen derNotiz beleidigt: „‚Ein Witz Kasmaders?‘ Also, das mussim Kriminal-‚Tribunal‘ des Alexander Weiss gestandensein.“ „… während die ‚Tischfreunde von Großschiebern‘wohl nur mehr so eine Verdächtigung ins Allgemeine hinbedeuten werden.“ „Natürlich hiesse das den Angegrif-fenen auf das Niveau des Angreifers hinabwürdigen.In echtem Bekessy-Tonfall erhobenen Anwurf.“ „Baucheines Menschen, der offenbar nicht so edel gewachsen ist,wie der Autor des Witzes.

An diesen Stellen empfinde ich den Ver-gleich mit notorischen und gerichtlich abgestraften Er-pressern und Verbrechern wie Bekessy beziehungsweiseWeisz als besonders schwere Beleidigung und als solche,welche mit der bekannten Auffassung der sozialdemokra-tischen Publizisten im flagrantesten Widerspruch stehen.Diese Beleidigungen fallen umso schwerer ins Gewicht,als die Stigmatisierung des Bekessy gerade mein aus-schliessliches Wirken ist und jedem Sozialisten wohlbekannt, dass dieser mein Kampf in einer Zeit erfolgtist, in der die offizielle Sozialdemokratie den Bekessy-Tonfall noch lange nicht verächtlich fand.

Die in der Notiz zitierten Worte aus derFackel wollten die Tatsache kritisieren, dass Herr Dr.Renner, dem von einem ehemaligen GenossenschaftsbeamtenSiegmund Kaff unerhörte Missbräuche der Genossenschafts-bewegung zum Vorwurf gemacht wurden, auf dem LinzerParteitag 1926 das Verlangen mehrerer Genossen der sozial-demokratischen Partei, den Anklageweg zu betreten, umdie Behauptungen des Herrn Kaff zu widerlegen, abgelehnthatte und die konkreten Anschuldigungen des Herrn Kaff damit abzutun glaubte, dass er wörtlich sagte: „Mirbleibt nämlich noch übrig, vor einem Menschen, der durchein Menschenalter in einer Bewegung mitgearbeitet hat,in dieser Bewegung Duldung und Förderung erfahren hat,und der zum Schluss mit einer bei arbeitenden Menschenheute nur ausnahmsweise verwirklichten Altersversorgungdavon gegangen ist, vor einem Menschen, der die Bewegung,aus der er hervorgegangen ist, beschmutzt, auszuspucken.“

Diese Antwort entspricht keinesfalls demberechtigten Verlangen, dass konkrete Beschuldigungengegen eine im öffentlichen Leben stehende Persönlichkeitauch öffentlich überprüft werden. Hiezu schien dem Privat-ankläger gerade Herr Dr. Renner umsomehr verpflichtet,als bedeutende und einflussreiche Parteigenossen desselbenihm zu wiederholten Malen, insbesondere Dr. FriedrichAdler in der Verteidigungsrede vor dem Ausnahmegerichtim Jahre 1917 und in dem Vorverfahren zu diesem vorge-worfen haben, dass er sich gegen den Geist der Sozial-demokratie schwer vergangen habe.

Ich habe am 2. Feber 1927 wegen dieser

Notiz die Einleitung der Voruntersuchung gegen denverantwortlichen Redakteur von „Arbeit und WirtschaftEduard Straas beantragt, die auch zur G.Z.Vr XXVI 715/27 beim Landesgericht für Strafsachen I in Wien geführt wurde. Da Eduard Straas erklärte, dieNotiz vor der Drucklegung nicht gelesen zu haben undsich weigerte, den Verfasser zu nennen und auch dieübrigen geführten Zeugen nicht zur Eruierung des Tätersführten, wurde über meinen Antrag der Akt zur Fort-setzung des Verfahrens nach § 30 Pr.G. an das Straf-bezirksgericht I abgetreten und Eduard Straas von die-sem Gerichte am 10. März 1927 zur G.Z. U I 56/27 undzwar in Abwesenheit und in Abwesenheit eines Vertei-digers zu einer Geldstrafe von S 50.–, im Falle derNichteinbringlichkeit zu 24 Stunden Arrest, zum Ersatzder Kosten des Strafverfahrens, Veröffentlichung desUrteiles verurteilt, und auf Verfall des Heftes 1 von„Arbeit und Wirtschaft“ erkannt.

Im Heft 4 des V. Jahrganges von„Arbeit und Wirtschaft“ vom 15. Feber 1927 erschienein Artikel unter dem Titel „‚Neutrale‘ und andereGegner“, der von dem Beschuldigten J. Hannak gezeichnet war. Ein Exemplar dieses Heftes kaufte meinAnwalt Dr. Oskar Samek am 3. März 1927 zusammen mitdem Heft 5 vom 1. März 1927, um sich davon zu überzeu-gen, ob eine von ihm in meinem Namen eingesendete Berichtigung des Wortlautes der im Heft 1 aus der Fackel zitierten Stelle erschienen war. Er fand nun in demHeft vom 15. Feber 1927 in dem Artikel „‚Neutrale‘ und

andere Gegner“ im dritten Absatz folgende mich be-treffende Stelle, welche er mir, wenn nicht später,am 3. März 1927 zur Kenntnis brachte:

Jedoch, wenn auch neuestens – aus Ran-küne darüber, dass man sein Ästhetentum nicht genugernst nimmt – ein Mann, dem man eine grössere Wider-standskraft seines guten Geschmacks gegen seine Eitel-keit zugetraut hätte, einem jener Patrone, die jetztfür Seipel arbeiten, das schmückende Beiwort eines,alten Sozialisten‘ verliehen hat, so geben sichunsere Gegner doch keiner Täuschung darüber hin, dasssolche ,alte Sozialisten‘ bei den Arbeitern ver-flucht wenig ausrichten werden und dass selbst derHöllenlärm aller dieser Geschütze, alle die Feuer-zungen der bürgerlichen Presse, der abgefallenen, ge-kauften und erpressenden Literaten ins Leere schiessenund ihren ganzen Aufwand verpuffen würden, wenn nichtPositionen da wären, die man noch viel näher an denFeind heranschieben kann, Positionen, die wie eine Artseelische Mausefalle möglichst viele proletarischeElemente anlocken und einfangen, das heisst also, wennschon nicht zu Gehilfen des Feindes, so doch zu isolier-ten, aktionsunfähigen Gebilden machen sollen.

Der Vorwurf, dass sich meine publi-zistische Stellungnahme von der Ranküne darüber herlei-te, dass man mein Ästhetentum nicht genügend ernstnimmt, und dass ich aus dem Beweggrunde der verletztenEitelkeit handle, stellt eine nach § 488 St.G. zubeurteilende Ehrenbeleidigung dar, deren beleidigenderCharakter durch Einstellung in einen Artikel gegen

Verleumder, Erpresser und sonstige materiell orientierteGegner des Sozialismus erhöht wird. (Siehe die Stellevon den abgefallenen, gekauften und erpressenden Li-teraten.) Mein Anwalt Dr. Oskar Samek hat von diesemArtikel und der in ihm aufgestellten, mich beleidigendenBehauptung dem Anwalte der sozialdemokratischen ParteiDr. Oswald Richter, als er ihn zufällig beim Strafbe-zirksgericht I traf, Mitteilung gemacht, der sich ausfreien Stücken erbot, zu versuchen, den Beleidiger zueiner Zurücknahme der Behauptung zu bringen, weil erals Kenner meines Wesens Wirkens die Ungerechtigkeit des Vor-wurfes zugegebenermassen fühlte, und überdies nach seinerund meines Anwalts Ansicht die Erörterung der Materieim Gerichtssaal, lediglich auf meine Initiative hin, tun-lichst vermieden werden sollte. Er selbst verfasste denText einer Erklärung, den ich lediglich bloß im Punkte derZitierung des Wortlautes der Beleidigung und im Aus-spruche eines Wortes des Bedauerns für ergänzungsbe-dürftig, aber sonst durchaus entsprechend gefundenhabe. Überraschenderweise gelang der gutgemeinte Ver-such Dris. Richter nicht, weil der Beschuldigte zwarnicht die Wahrheit seines Vorwurfes aufrecht erhaltenwollte, da er ausdrücklich bereit war, dies in einemBrief zu bekennen, aber die Veröffentlichung der Er-klärung ablehnte und sich lieber auf den Standpunktstellte, dass eine Beleidigung in der Äusserung über-haupt nicht zu erblicken sei. Aus dieser Stellungnahmeergibt sich klar, dass der Täter damit rechnete, dass esschwer gelingen werde, den Geschworenen die Materieso verständlich darzustellen, dass ihnen die indivi-duelle Schwere des Vorwurfes fühlbar würde, innerhalb

einer Atmosphäre moralischer Fühllosigkeit, in der jadoch Vorwürfe materieller Unregelmässigkeiten undkorrupter Beeinflussungen ohne Beleidigungsklage hin-genommen werden und man sich eben im Falle dringendsterAbwehr mit dem Ausspucken begnügt.

Nun ist es nicht von der Hand zu weisen,dass diese Berechnung vielleicht recht behalten könnte,so dass es notwendig erscheint, den beleidigenden Charak-ter des Vorwurfes aus deutlicheren, gemeinverständli-cheren, in der gleichen Tendenz der sittlichen Entwertungmeiner publizistischen Absicht gehaltenen Angriffe des-selben Verfassers zu erweisen. Denn d D er BeschuldigteDr. Johann Hannak ist nun dringend verdächtig, auchdie im Heft 1 des V. Jahrganges von „Arbeit und Wirtschaft“ enthaltene Notiz „Ein Witz Kasmaders?“ geschriebenzu haben. Dieser Verdacht gründet sich auf folgendeUmstände: Das Heft 1 wurde mir unfrankiert mit einerSchleife anonym zugesendet, so dass sich daraus schließenlässt, dass es mit anderen Exemplaren zeitungsmässig(v.b.b.) aufgegeben wurde, da sonst eine Frankierungnotwendig gewesen wäre. Ausserdem ist die Schrift aufder Schleife selbst, wovon sich mein Anwalt am 9. April1927 durch Vergleichung mit der im Akte U I 56/27vom Beschuldigten als Zeugen abgegebenen Unterschrift überzeugen konnte, offenbar mit den Schriftzügen des BeschuldigtenHannak identisch. Dies lässt aus dem Grunde auf seineTäterschaft schliessen, weil doch offenbar nur derAutor ein Interesse daran haben konnte, mich in Kenntnisvon einem Angriff zu setzen, von dem er befürchtenmusste, dass er mir sonst wegen der Verborgenheit der

Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaftals solcher unbekannt bleibe. Dazu kommt nicht zuletzt derUmstand, dass mir das Heft anonym zugesendet wurde,während bei Zusendung von wohlmeinender Seite sicher-lich der Sender seinen Namen genannt hätte. Über-dies habe ich in Erfahrung gebracht, dass für dieVerfassung derartiger „sat y i risch“ gehaltener Notizen,die eigentlich aus dem Rahmen des Fachblattes heraus-fallen, ausschliesslich der Beschuldigte in Betrachtkommt, dessen Autorschaft auch aus wiederholten Ver-suchen, meinen eigenen Stil geradezu durch Übernahmesat y i rischer Motive der Fackel nachzuahmen, sowohl ausanonymen Notizen der „Arbeiter-Zeitung“, wieaus der inkriminierten Notiz selbst und wie aus dem mit seinemNamen unterzeichneten zitierten Artikel in „Arbeitund Wirtschaft“ hervorzugehen scheint. Dass solcheNachahmer sich mit den stilistischen Behelfen, diesie der Fackel abgelernt haben, im gegebenen Augen-blicke gegen mich selbst wenden, ist eine Erfahrung,die ich seit Jahrzehnten mache.

Ich beantrage daher die Einleitungder Voruntersuchung gegen Dr. Johann Hannak wegen der mir in der Notiz des Heftes 1 und dem Artikeldes Heftes 4 des V. Jahrganges von „Arbeit undWirtschaft“ zugefügten Beleidigungen und zwar:1.) Vernehmung des Beschuldigten Dr. JohannHannak darüber, ob er die inkriminierten Ar-tikel, insbesondere die Notiz „Ein Witz Kasmadersverfasst und zum Druck befördert hat,

2.) Die Vornahme einer Hausdurch-suchung noch vor der Einvernehmung des Beschuldig-ten unter Zuziehung meines Anwaltes Dr. OskarSamek, Rechtsanwalt in Wien I. SchottenringNr. 14 zur Eruierung des Schreibers der Notiz „EinWitz Kasmaders?“. Die Hausdurchsuchung möge inder Wohnung des Beschuldigten in Wien X. ArsenalObjekt IX, in der Redaktion der Zeitschrift „Arbeitund Wirtschaft“ in Wien I. Ebendorferstrasse Nr. 7 und in dem Arbeitsraume des Beschuldigten bei derArbeiterkammer in Wien I. Ebendorferstrasse Nr. 7 erfolgen.

Karl Kraus.