70.60 Schriftsatz in Sachen Kerr ./. Kraus (RA Botho Laserstein an das Landgericht I Berlin, G.Z. Q 164/28)

Schreiberhände:

  • Botho Laserstein, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 22. Oktober 1929
Seite von 6

E. Berlin, DEN 22. Oktober 1929

An dasLandgericht I,Berlin.

In SachenKerr ./. Kraus 38.Q.36/29

lehne ich namens und im Auftrage meinesMandanten, des Antragsgegners HerrnKarl Kraus, den Vorsitzenden dieserKammer, Herrn LandgerichtsdirektorDr. Weigert wegen dringender Be-sorgnis der Befangenheit ab.

Der Herr Vorsitzende hat schon desöfteren juristisch-politische Aufsätzeim „Berliner Tageblatt“ veröffentlichtist also Mitarbeiter jener Zeitung, de-ren Redaktion der Antragsteller AlfredKerr angehört, und auf deren Mitarbei-terstab er einen entscheidenden Ein-fluss ausübt. Muss schon dies Zweifelan der Unparteilichkeit des abgelehntenRichters hervorrufen, so werden diesenoch dadurch verstärkt, dass sicheremVernehmen nach der Herr Vorsitzende ge-sellschaftliche Beziehungen zu dem Chef-redakteur des „Berliner Tageblatts“,Herrn Theodor Wolff, und sogar zudem Antragsteller Dr. Kerr unterhält.Der Herr Vorsitzende ist auch zusammenmit Herrn Kerr Mitarbeiter in litera-

rischen Verbänden und soll mit dem Antragsteller ge-meinsam schiedsrichterliche, also kollegiale Tätigkeitausgeübt haben.

Zur Glaubhaftmachung dieses Vorbringens wird auf dasZeugnis des abgelehnten Richters Bezug genommen.

Es ist selbstverständlich, dass diese Tatsachen beidem Antragsgegner ein Gefühl des Misstrauens wecken müssen,dass nach ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichts zurAblehnung genügt, weil es von vernünftigen Motiven und Er-wägungen getragen und sachlich begründet ist.

Der abgelehnte Richter hat aber auch in früheren Pro-zessen deutlich dokumentiert, dass sich aus vorstehenden Zu-sammenhängen bei ihm eine Befangenheit gegen den Antragsgeg-ner herausgebildet hat, die er nicht unterdrücken kann. Da-bei sollen nicht die früheren Urteile gescholten werden,was ja auch u.a. nach O.L.G. Band 41, Seite 248 und nach War-neyer’s Rechtsprechung, Band 18, Seite 146, keinen Ableh-nungsgrund darstellt. Dagegen bilden die nicht zur Sachegehörigen Aeusserungen des Herrn Vorsitzenden mit denen erdie mündliche Verhandlung in früheren Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteienbegleitet hat, einen evidenten Beweis für die Befangenheitdes Herrn Vorsitzenden und für die Berechtigung des Miss-trauens meiner Partei gegen seine Unparteilichkeit.

So hat der Herr Vorsitzende in der am 16. Oktober 1928vor der gleichen Kammer stattgefundenen Verhandlung in Sa-chen Kerr ./. Kraus – 38.Q.164/28 – wegen des Verbots der Ver-breitung klägerischer Kriegsgedichte durch den Antragsgeg-ner geäussert:

„Ich habe gehört, dass der Herr Antragsgegner sehr hüb-sche Vortragsabende hält. Wozu muss er Pamphlete gegenden Antragsteller schreiben?“

Diese Aeusserung war unsachlich, weil das litera-rische Schaffen des Antragsgegners dem Bezirk der Kri-tik des abgelehnten Richters entrückt ist.

Er hat weiter die in der Anlage überreichten Kriegs-gedichte des Antragstellers als einen guten Scherz be-zeichnet, jene Kriegsgedichte, um die auch der Streit imvorliegenden Prozess zwischen den Parteien geht, und dieder Antragsgegner mit Recht als Ungeheuerlichkeit empfin-det, weil darin die Gefühle sterbender Menschen gröblichverhöhnt werden, – Russen sollen über ihre Hacksen fallen,ausgepeitscht werden, werden als Zaarendreck bezeichnet,als kaputtgegangene Stücker, und wie die Staatsmänner allerfeindlichen Staaten als Menschen, denen Bandwurm und Krät-ze gewünscht wird (heute ist der Antragsteller selbstver-ständlich begeisterter Pazifist).

Auch diese Bemerkung, es handele sich bei diesen Ge-dichten um gute Witze, stellt ein literarisches Urteildar, das der Herr Vorsitzende in einem Prozess nicht zufällen hatte, in dem es lediglich darum ging, ob man frem-de Gedichte zitierend veröffentlichen dürfe.

Der Herr Vorsitzende hat in jener mündlichen Verhand-lung auch noch ähnliche, den Antragsgegner kränkende Aeus-serungen ausgesprochen.

Auch zur Glaubhaftmachung dieser Vorgänge berufeich mich auf das Zeugnis des abgelehnten Richter, sowieauf die Akten 38.Q.164/28 und 33.O.400/28 des LandgerichtsI, Berlin.

Die Einreichung eidesstattlicherVersicherungen von Zuhörern jener Verhandlung bleibt aus-drücklich vorbehalten.

Abschrift anbei. gez. Dr. Laserstein,Rechtsanwalt.

Anlage

In den den kleinste WinkelscuFiel ein Russen-TrinkgeldescuFraidig ibten wir VerratulPolitescu schnappen Drahtul.

Alle Velker staunerul,san me große Gauneraul.Ungarn, SiebenbürginescuMechten wir erwürginescu.

Gebrüllescu voll TriumphulMitten im Korruptal-SumpfulIn der Hauptstadt Bukurescht,Wo sich kainer Fiße wäscht.

Laider kiregen wir die PaitscheVun Bulgaren und vun Daitsche;Zogen flink-flink in Dobrudschul,Feste tutraken ist futschul!

Aigentlich sind wir, waiß Gottul,Dann hereingefallne Trottul,Haite noch auf stolzen Roßcu,Murgen eins auf des Poposcu!

II.

Ist Dein Land Emanuel Kant,von den Skythen überrannt?Mit Gestank und mit Gelärmestapfen stumpfe Steppenschwärme.Hunde drangen in das Haus –Peitscht sie raus!Rächet Insterburg, GumbinnenUnd vertobakt sie von hinnen.Peitschet, das ist Menschenruhm,Knutentum, Knotentum.Reiter, Fußvolk, Rosseschwänze,Peitscht sie rückwärts an die Grenze.

Sollen über SchmaleninkenIn die edle Heimat hinken.Bei Kraupischken und PillkallenStallupönen und WirballenÜber ihre Haxen fallen,Dürfen uns nicht unterkriegen –Peitscht sie, daß die Lappen fliegen.Zarendreck, BarbarendreckPeitscht sie weg! Peitscht sie weg!

III.

Heiliges Rußland! wenn es doch gelängeUnd du kriegtest die verdiente Senge.Logisches Vernunftgebot –Scharfe Dresche tut Dir not.Möge dann Dein Volk mit NutzenUngehindert revoluzzen.

Weises England! deine Mörser müßtenPlatzen – fern von unseren Küsten.Hoher See bewegter GangMach dich katzenjammerkrank.Wünsche dir mit letzter SuadaAlle Freuden der Armada.

Edles Frankreich! wurdest überstimmt,Wenn der Knutosoff die Zügel nimmt …Allen Führern bei der DeutschlandhetzeWünsch ich Bandwurm, Huhneräugen, Krätze,Zur Ernährung schimmelfeuchtes Stroh –Und noch Rheumatismus im Popo.

IV.

Stallupönen.

Mancher Herr und manche DameWagten dich als Nest zu höhnen.Doch von Kriegsbeginn blinkt dein NameStallupönen, Stallupönen.

Frecher Feindesvorstoß – brausendIst er hier kauputtgegangen,Rüde Russen sind DreitausendStücker fest von uns gefangen.

Spürten einen Kitzel innen,Wollten mal was Leckres haschen,und sie tappsten gen Gumbinnen,Dort zu naschen. Dort zunaschen.

Hütet nun die struppige Beute.Wanzenpulver nicht vergessen!Und „bewahrt das Licht“, ihr LeuteWeil sie jeden Wachsstock fressen.