72.15 Brief Hans Loewe an Kraus

Materialitätstyp:

  • Manuskript

Sender

Hans Loewe
per Adresse: Dr. Hanns Anton Kraus | Mahlerstraße 5
Wien I.
Datum: 23. Februar 1930
Betreff:
Diktiersigle:

Empfänger

An: Herrn | Karl Kraus
Hintere Zollamtsstraße
Wien
Seite von 3

Wien, den 23. Februar 1930.

HerrnKarl KrausWien

Sehr geehrter Herr!

Im Sinne der auf der Rückseite der Eintrittskarte ständig erscheinendenNotiz, bitte ich Sie, wenn es möglich ist, das vorliegende Schreiben derWelt vorzulesen: Der die gegenwärtigen Funktionäre der israelitischenKultusgemeinde durchaus als innerhalb polizeilicher Machtsphäre befindlichvorgestellt werden müssen, und außerhalb Ihres öffentlichen Wirkungsbereichesder zwischen privaten und öffentlichen Interesse verheißene Trennungsstrichkeineswegs gewährleistet erscheint.

IhrHans Loewe

An dasPräsidium der israeltischen Kultusgemeindein Wien.

Heute, an meinem 33. Geburtstag komme ich zu Ihnen als einSohn des jüdischen Volkes und bringe Ihnen die Botschaft, daß ich geführtvom Geiste des Besten unter den Juden, erleuchtet durch das Wort desDichters Karl Kraus, ein Werk vollendet habe, dem die Kraft innewohnt,Massen des jüdischen Volkes aus den Niederungen wirtschaftlicherNotlage zum Lichte der wahren Freiheit zu führen. An Sie, die Repräsen-tanten der Judengemeinde in Wien, richte ich die Anfrage, ob Sie willenssind, binnen vierzehn Tagen von mir ein schriftliches Elaborat zu über-nehmen, es zur Überprüfung dem Professor Albert Einstein zuzumittelnund es wofern Ihnen von anderen Mittel und Wege gewiesen werden,zur Linderung wirtschaftlicher Not einer in Österreich ansässigen wieeiner gegebenenfalls zuwandernden Judenschaft zu treuen Handen zubewahren.

Im Sinne des göttlichen Gesetzes, das Juden und Nichtjudenumfaßt, habe ich zur Bannung der auf dem österreichischen Volke lastendenKrise dem Bundeskanzler, in seiner Eigenschaft als Polizeipräsident, einenmathematischen Plan angeboten und habe mich bereit erklärt, vor einer

aus Professoren der Wiener Universität zu bildenden Jury den Nachweisunüberwindlicher Logik für die Richtigkeit des Planes zu erbringen.Zufolge Pressemeldungen vom 19. ds.M. ist meine Absicht, dieniemand verstanden hat, an der Gewalttätigkeit der öffentlichenMeinung mißlungen und verhindert worden durch die vis maiorvon Furcht und Lethargie: was gerichtsordnungsmäßig wirdbewiesen werden, wo auch die Unzulänglichkeit des Prominentennachzuweisen ist, der mit paranoia, dementia praecox und Größen-Ideen angedichtet hat, dazu noch die Verleumdung: ich hätte Mystifi-kationen verübt und mich als Beauftragter des Professor Swobodaund des Fregattenkapitän Schwitzer-Sindbad ausgegeben.

Ich wurde öffentlich für irrsinnig erklärt, weil ich in einem Briefan den mir persönlich bekannten Universitätsprofessor Swoboda den Wunschgeäußert habe: Karl Kraus möge Burgtheaterdirektor werden.

Die Zeitungen melden, daß diese „Mystifikation eines Geistesgestörtenin einer Anzahl von Ämtern Verwirrung angestiftet“ habe.

Ich erkläre, daß ich von heute bis an das Ende meiner Tage bereitbin, freiwillig in’s Irrenhaus zu gehen, wenn irgendjemand imstandeist, den Beweis zu liefern, daß Karl Kraus zum Burgtheaterdirektor nichtgeeignet ist. Als Künstler? Darüber mögen Sachverständige entscheiden.Als Mensch? Darüber möge die Menschheit entscheiden. Österreicher?Wenn der ganze Haufen von Prominenten, welche den Posten haben möchten,zusammengenommen, an Österreichern so viel Wohltat und Barmherzigkeitgeübt hat, wie er: an Kriegsblinden, Verunglückten, Armen, anWitwen und Waisen, an Opfern brutaler Gewalt: dann gehe ichfreiwillig in’s Irrenhaus. Als Jude? Kommt in der Republik garnichtin Frage. Als Feind der Presse? Mit Ausnahme des von ihm bereitsvertriebenen Erpressers und des noch nicht vertriebenen Herausgeberseines Kupplerblattes, das gelegentlich Beschimpfungen gegen ihn ausstößtund dafür regelmäßig gerichtlich abgestraft wird, hat die Presse nie etwasgegen ihn eingewendet. Das gerade entgegengesetzte Gegenteil gilt:Anläßlich der zum 50. Geburtstag des Dichters in der Neuen Wiener Bühne statt-gehabten Aufführungen von Traumtheater und Traumstück konnte sich die österreichischePresse in Anhimmelungen garnicht genug tun. Als Feind des Polizeipräsidenten?Lächerlich! Doctor honoris causa Johann Schober hat nie etwas gegen ihn eingewandt,obwohl ihm vielfach Gelegenheit dazu gegeben war und ist. Er hat sogar, als ihn KarlKraus in der Voraussetzung, von ihm anonym beleidigt worden zu sein, als Beklagtenvor Gericht gestellt hat, erklärt, daß er nicht einmal in Gedanken etwasgegen Karl Kraus einzuwenden habe.

Wenden.

Was mich selbst anlangt, sei bemerkt:

Daß ich auf Einstein baue, hat – wie jede Sache – eine Ursache,jedoch verschiedene Gründe. Die Ursache ist einfach der Name.Einstein. Ein einfacher Manne, wie etwa: Petrus.

Ein Schlüsselstück, nicht wahr?

Mit dem Ausdrucke vorzüglicher HochachtungHans Loewe per Adresse: Dr. Hanns Anton KrausWien I. Mahlerstraße 5