72.12 Brief Hans Loewe an Hermann Swoboda

Materialitätstyp:

  • Manuskript

Sender

Hans Loewe
Vereinsgasse 1
Wien II
Datum: 13. Februar 1930
Betreff:
Diktiersigle:

Empfänger

An: Professor Dr. Hermann Swoboda
Hochschulstraße 36
Wien XIX.
Seite von 3

Abschrift des Briefes an Professor Dr. Herrmann Svoboda [Professor für Mathematik an der Wiener Universität:]Wien XIX. Hochschulstraße 36

Wien, den 13. Februar 1930.

Sehr geehrter Herr Professor!

Ich bitte Sie, dieses Schreiben zur sofortigen Weiterbildung an den Bundeskanzlerunverzüglich der Rektor der Wiener Universität vorzulegen und begründedie Dringlichkeit mit dem in der „Stunde“ vom 1. Februar 1930 auf der erstenSeite erschienenen Ultimatum, durch das, wenn die Drohung sich erfüllt, derösterreichischen Volkswirthschaft ein nie wieder gut zu machender Schaden gewiß ist.Ich erschien gestern den 12.II. ½8 Uhr abend spontan bei der PolizeidirektionWien, legitimierte mich mit einer beglaubigten Übersetzung aus dem Čechischeneines urkundlichen Bescheides des „Bezirksamtes im Neuhaus vom 14.II.1929 anHerrn Hans Löwe Herausgeber und Verleger der Wirtschaftlichen und Handelsblätter“und gab das folgende zu Protokoll:

„Ich beabsichtige, zur Hebung der österreichischen Volkswirtschaft dem Herrn Bundes-kanzler einen mathematischen Plan vorzulegen und erkläre mich vorweg bereit,die absolute Gewißheit des Gelingens vor einer aus Professoren der Wiener Universitätzusamenzusetzende Jury zu bewiesen. Als Referent für meine Person nenne ich denFregattenkapitän a.D. Schwitzer-Sindbad Wien XIII Fasholdgasse

Zur Nennung dieser Referenz war ich berechtigt, weil der genannte Herr das Vertrauennicht nur des Bundeskanzlers, sondern auch des Hauses Rothschild genießt, und verpflichtet,weil er selbst mit dem Hinweis auf eine pythagoräische Weltanschauung nur dieZusage gemacht hat, sich für die Durchführung meines Planes bei čechischen Industriellenverwenden zu wollen.

Nachdem der Journalbeamte Rücksprache mit der Staatspolizei gepflogen hatte, gab ermir bekannt, daß ich vom Bundeskanzleramt hinsichtlich des Zeitpunktes der Audienzbenachrichtigt werden würde.

Erhebungen sind bereits gepfolgen worden, nicht ohne eine gewiße Pikanterie, die derÖffentlichkeit mitzuteilen ich mir vorbehalte, wo ich es bei der Feststellung bewenden lasse,daß schon der Subalterne das Protokoll zuerst nicht aufnehmen wollte und dann dochaufgenommen hat und zwar mit der typischen Begründung, daß er mir entgegenkommenwill, obwohl ihn die Sache einen Dr … angeht (wörtlich!)

Die gestrige Promotion des Polizeitpräsidenten zum Ehren Dr., die Rede des rectormagnificus und das Gelöbnis des letzten Ehren Dr. verleiht diesem Schreiben denCharakter unüberwindlicher Konsequenz, weil und obwohl – nach Karl Krausfür Eingabe Eingebung steht – steht es dafür? – in einem Freistatt, der freilichnicht zuständig ist. Ich bin es auch nicht.

Somit steht es mir nicht zu, dem österreichischen Staate ein Geschenk anzubieten,wohl: ein Geschäft. Ich biete eine Leistung und verlange eine Gegenleistung.

Das Zustandekommen dieses Geschäftes erscheint durch das obgenannte, in derStunde“ erschienen, mit 48 Stunden befristete Ultimatum bedroht.

Daß in einer Sache, deren persönlicher Promotor meine Wenigkeit ist,eine Adressierung dieses Briefes an den Rektor der Universität nicht in Frage kommt,leuchtet in einer Gesellschaft der Verbindungen ein.

Sehr geehrter Herr Professor! Daß ich diesen Brief zur sofortigen Weiterleitungan den Rektor der Universität an Sie adressiere, dazu bin ich berechtigt, nichtetwa „vielleicht“ berechtigt (im Sinne einer überholten Wahrscheinlichkeitsrechnung),auch nicht „teilweise“ (im Sinne österreichischer Verfassungsreformen), sondern„voll und ganz“ (im Sinne eines phibellinischen Superlativs). Also Kürzung: berechtigt.Ich bin dazu berechtigt: durch die Sache wie durch die Person. durch die Sache: in Bezugauf die Sache wie in Bezug auf Sie, dem ich die Sache zumute.

Ich habe die Sache dem Bundeskanzler als ein Geschäft vorgestellt: als eine Leistung,verbunden mit einer Gegenleistung. Der Bundeskanzler hat über meine Personbereits recherchieren lassen, ist also a priori bereit, meine Leistung zu empfangen,hat sich aber um die Gegenleistung nicht gekümmert. Er weiß offenbar nicht, daß manmich mit Geld nicht kaufen kann: „Weil ich nicht Sklave bin.“

Zur Sache: Mein Werk ist die Gewißheitsrechnung, gefunden aus den „Variationenmit Wiederholung“, an welche die bisherigen Methoden der Wahrscheinlichkeitsrechnungnicht herankommen. Die von mir angebotene Leistung: aufzubauen die neuepolitische Arithmetik aus der Gewißheitsberufung und niederzureißen die alte, diemit der Wahrscheinlichkeitsrechung ihr bescheidenes Dasein fristet. Der Hinweis kannauch nicht erspart werden, daß ein englisches Konsortium auf Grund der Arbeit einesfranzösischen Mathematikers, die gegenüber meiner Leistung ein kindischer Versuch ist,ein florierendes Unternehmen geschaffen hat. Auf Wunsch stehe ich mit Nennung vonNamen zu Verfügung.

In Beziehung zur Sache:

a) zur Leistung: Sie haben in Ihren Schriften über Periodizität und Siebenzahloffensichtliche Zusammenhänge im Ablauf von Erscheinungsformen aufgezeigt,ohne daß das Warum, welches Sie im spinozistischen Sinne nicht in derMaterie, deren Beispiele Sie anführen, sondern in der Beziehung der reinen Zahlen-begriffe untereinander suchen, in der nach Friedrich Gauss, disquisitiones arithme-ticae, bedeutsam angeschwollenen Literatur irgendwo zu finden wäre.Mein Werk zeigt das Warum.

b) Zur Gegenleistung: Sie haben in Ihrem Buch über die Siebenzahl nicht den derzeitigenBundeskanzler erwähnt, der wie und anders als Karl Kraus auf eine Arbeitvon 30 Jahren zurückblickt, wohl aber den Autor von Untergang der Welt durchschwarze Magie mit dem Motto: „Den Überwinder will ich genießen lassen vondem Lebensfolge, das in meines Gottes Paradiese steht“ lange bevor Sie

gelegentlich meines Besuches in Ihrer Privatwohnung die ethische Bedeutungdes Autors der Unüberwindlichen hervorzuheben die Liebenswürdigkeithatten. Die Gegenleistung, die ich für den Fall, daß meine Leistungangenommen wird, verlange: ein offizielles und verbindliches Angebot,die Burgtheaterdirektion betreffend, an Karl Kraus, gegen dessenkünstlerische Qualitäten die Dramatik der Herrn Wildgans ebenso unbedeu-tend ist wie die Regiekunst des Herrn Modes.

Daß ich aber selbst berechtigt bin, mich an Sie zu wenden, begründe ichdamit, daß Sie, als ich Sie im vergangenen Sommer auf der Freyungzu begrüßen Gelegenheit hatte, mich einluden, Sie nach Ihrer Rückkehr vomUrlaub zu besuchen, da die weitere Entwicklung meiner mathematischenArbeiten für Sie von Interesse sei, ich aber zu dem Besuche bisher nicht Zeitgefunden habe, da ich 16 bis 18 Stunden im Tag meiner Arbeit widmen muß.

Mit vorzüglicher HochachtungHans Loewe Wien II Vereinsgasse I