88.10 Brief Samek an RA Oswald Richter

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 21. Juli 1927
Betreff: Kraus – Arbeiter-Zeitung III

Empfänger

An: Wohlgeboren | Herrn Dr. Oswald Richter, | Rechtsanwalt
Operngasse Nr. 2
Wien
Seite von 2

Sehr geehrter Herr Kollege!

Ich hatte, wie Ihnen bekannt, im Voll-machtsnamen des Herrn Karl Kraus eine Berichtigungs-klage gegen den verantwortlichen Redakteur derArbeiter-Zeitung“ eingebracht, über welche aufden 19. Juli die Verhandlung anberaumt wurde. DieseVerhandlung wurde vertagt, weil die Zustellung an denBeklagten nicht ausgewiesen war. Ich beehre mich Ihnennunmehr im Namen meines Mandanten die folgende Mit-teilung zu machen. Da er es für unangebracht hält, an-gesichts des Ungeheuerlichen, das wir inzwischen er-lebt haben, über eine preßrechtliche Angelegenheitformaler Natur entscheiden zu lassen, so war schon fürden Termin vom 19. Juli beabsichtigt, auf die Durch-führung der Verhandlung zu verzichten und dem Beklagten

nahezulegen, den seinerzeit in Vorschlag gebrachtenSühnebetrag der Sammlung für die Opfer der Kata-strophe zu widmen, welchem Zweck ich auch meineKosten zugedacht hatte. Da der Termin nun vertagtwurde, gebe ich Ihnen bekannt, daß mein Mandant – un-beschadet unserer Rechtsansicht, nach der die Berich-tigung dem Preßgesetz, vollkommen entsprochen hatte,aber auch ganz jenseits dieser Frage der verstümmelteAbdruck gesetzwidrig war – auf den Prozeß in der fol-genden Erwägung verzichtet. Es wäre ihm der Ausgang,an dem er gar nicht zweifelt: daß die „Arbeiter-Zeitungzum Abdruck der Berichtigung gezwungen wäre, nunmehrgeradezu unwillkommen. Denn da er den Wunsch hat, daßdie „Arbeiter-Zeitung“ den Raum ihrer nächsten Wochenmit keinem anderen Text fülle als mit der Beweisauf-nahme über die Untaten der Polizei und mit der Samm-lung von Dokumenten wie dem erschütternden Bericht derarmen Frau aus Floridsdorf, so kann er doch gewiß nichtwünschen, diese Gelegenheit selbsttätig durch Ein-rückung einer Zuschrift zu verkürzen, die beim nicht-orientierten Leser den Eindruck erwecken müßte, alsob eben ihrer Materie sein derzeitiges Interesse ge-widmet wäre. Ich bitte Sie überzeugt zu sein, daß die-se Erwägung und keine andere das Motiv für die Zurück-ziehung der Preßklage bildet, welche natürlich be-dingungslos erfolgt.

Mit dem Ausdruck kollegialer Hochachtung