88.6 Privatanklage von Karl Kraus gegen Arbeiter-Zeitung (verantw. Red. Bruno Holfeld) wegen § 24 Pr.G.

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 1. Juli 1927
Stempel: Strafbezirksgericht I
Seite von 4

An dasStrafbezirksgericht I Wien.

Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller undHerausgeber der „Fackel“ in Wien III. Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3 durch:

Vollmacht ausgewiesen zu U I 109/25

Beschuldigter: Bruno Holfeld, verantwort-licher Redakteur der Arbeiter Zeitung in Wien V. Rechte Wienzeile Nr. 97

wegen § 24 Pressgesetz eventuell § 45 Absatz 4 Urh.Ges.

1 fach5 Beilagen

Privatanklage.

1.) In der Nummer 167 des 40. Jahrganges der„Arbeiter Zeitung“ vom 19. Juni 1927 erschienauf Seite 9 in der Rubrik „Aus der Radiowoche“eine Besprechung der in der Vorwoche durch das Radiozur Aufführung gelangten Musikstücke. In dieserBesprechung stand folgende Behauptung:

„Das Lied ‚Heiraten, heiraten‘ dürftenicht von Nestroy herstammen, sondern von JuliusHopp. In einem Fackelheft ist das schon fest-gestellt worden und die Literaturkommandantur derRavag könnte schon darum wissen.“

Als Herausgeber der „Fackel“ sandteich durch meinen Anwalt Dr. Oskar Samek am 21. Juni2.) 1927 beiliegende Berichtigung an den Beschuldigten,welche er am 22. Juni 1927 erhalten hat. Die Be-richtigung erschien weder am 23. noch am 24. Juni.Am 26. Juni 1927 erschien in der Nummer 174 des3.) 40. Jahrganges der Arbeiter Zeitung auf Seite 10ein Teil des Berichtigungsschreibens und auch dieserTeil verstümmelt. Überdies war diese Veröffentli-chung weder als Berichtigung gekennzeichnet, nochwar der Absender der Zuschrift bekannt gegeben. DieVeröffentlichung entsprach also in keiner Weisedem Pressgesetze, sie war nicht als Berichtigung er-kennbar, es war der Berichtigungswerber nicht an-geführt, es war nicht der volle Text der Berichti-gung veröffentlicht worden, die Zuschrift wurde ver-stümmelt und überdies erschien die Berichtigung ver-spätet. Da ich glaubte, dass der Beschuldigte inder irrtümlichen Annahme, dass als die Nummer der

Zeitung, in der eine Berichtigung zu erscheinen hat,die Rubrik, der der berichtigte Artikel zugehörthat, aufzufassen sei, die Berichtigung erst am 26.Juni 1927 veröffentlichte, und die Weglassung einerZeile und die anderen Entstellungen vielleicht aufeinen technischen Zufall zurückzuführen wären – ob-wohl es merkwürdig war, dass gerade der Satz ver-stümmelt wurde, dass das Gegenteil der Behauptungrichtig sei – forderte ich ihn durch meinen Anwalt4.) in einem Schreiben vom 29. Juni 1927 auf, eineKorrektur der Veröffentlichungen der nächsten Sonn-tagsnummer zum Abdruck zu bringen und den Betragvon S 100.– für Notleidende und S 20.– Anwaltsspesenzu überweisen. Für den Fall, als der Beschuldigte auf diesen Vorschlag nicht eingehen sollte, drohteich ihm die Klageführung an. Der Beschuldigte ant-5.) wortete mit dem Schreiben vom 1. Juli 1927, in wel-chem er die Gesetzmässigkeit der Berichtigung be-stritt, ohne allerdings deren Gesetzwidrigkeit imeinzelnen zu begründen. Ich sehe mich daher zurKlageführung genötigt.

Obwohl ich die Berichtigung für voll-ständig gesetzmässig halte, möchte ich doch schonin der Klage mich mit der Ansicht des Beschuldigten auseinandersetzen, dass gegen eine Veröffentlichung,zu der der verantwortliche Redakteur nicht ver-pflichtet gewesen ist, die Einwendung der Inkorrekt-heit nicht erhoben werden kann. Ich verweise aufdie Plenissimarentscheidung des obersten Gerichts-hofes vom 17. April 1890, Z.1631, Sg.Nr. 1342,

dass die Vorschrift des Pressgesetzes, wonach Be-richtigungen unverändert und ohne Einschaltungirgendeiner Art abgedruckt werden müssen, auch beiBerichtigungen gilt, deren Abdruck zu verweigernder Redakteur berechtigt wäre; den Abdruck inverstümmelter Form, mit Zusätzen oder Weglassungenzu veranlassen, sei nicht gestattet. Eine Änderungin dieser Hinsicht ist durch das neue Pressgesetznicht eingetreten. Eventuell in Gesetzeskonkurrenzoder allein ist bei Beurteilung des Falles auchdie Bestimmung des § 45 Abs. 4 des Urh.Ges. heran-zuziehen. Denn ich habe dem Redakteur die Berich-tigung zum wörtlichen Abdruck übersendet, die Ver-stümmelung erfolgte ohne meine Zustimmung; der Ab-druck unterliegt daher den Strafbestimmungen diesesGesetzes.

Ich stelle daher denAntrag,

1.) gegen den Beschuldigten eine Hauptver-handlung anzuberaumen;

2.) zu derselben den Beschuldigten zu laden;

3.) die Notiz der Arbeiter Zeitung vom 19.Juni 1927, das Berichtigungsschreiben vom21. Juni 1927, die Zuschriftveröffentli-chung vom 26. Juni 1927, das Schreiben meines Anwaltes vom 29. Juni 1927 und dasAntwortschreiben des Beschuldigten vom1. Juli 1927 zu verlesen;

4.) den Beschuldigten zu bestrafen.

Karl Kraus.

Betrifft: KrausArbeiterzeitung expediert am 12. Juli 1927.