88.5 Brief Bruno Holfeld an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

Bruno Holfeld
Rechte Wienzeile 97
Wien
Datum: 1. Juli 1927

Empfänger

An: Herrn | Rechtsanwalt Dr. Oskar Samek
Schottenring
Wien
Seite von 2

Sehr geehrter Herr!

Es ist durchaus irrig, dass ich die Berichtigung, die Sie mir im Voll-machtsnahme des Herrn Karl Kraus zugesandt haben, infolge „einer falschenInterpretierung“, in einer „irrtümlichen Annahme“ verspätet (nämlich nicht,wie es das Pressgesetz vorschreibt, in der ersten oder zweiten nach demEinlangen der Berichtigung erscheinenden Nummer) veröffentlicht habe. Viel-mehr war mein Standpunkt gegenüber der Berichtigung der folgende: Die Be-richtigung entsprach in gar keiner Hinsicht dem Pressgesetz, hätte also vonmir natürlich abgelehnt werden können. Da aber Herr Karl Kraus auf die Dar-legung anscheinend Wert legte, habe ich sie trotzdem als Zuschrift ver-öffentlicht. Aber auch die „Verspätung“ geschah aus den Gründen dieser Loya-lität: Ich wollte die Darlegung, um ihre Wirksamkeit zu erhöhen, den Le-sern an derselben Stelle unterbreiten, an der die angeblich unrichtige An-gabe gestanden ist. Da ich nun weder verpflichtet noch auch bereit war, dieDarlegung als eine Berichtigung gemäss dem Pressgesetze zu veröffentlichen,so glaube ich, es unterlassen zu dürfen, auf Ihre umständlichen Auseinander-setzungen über die Mängel der Veröffentlichung einzugehen. Dass auch dann,wenn die Veröffentlichung als Zuschrift erfolgte, über die Herkunft der Zu-schrift eine Angabe zu machen gewesen wäre, ist allerdings richtig, unddass die Anfangszeilen der Zuschrift verstümmelt worden sind, bedaure ichlebhaft. Ich bin natürlich auch bereit, jene Ergänzung und diese Richtig-

stellung noch vorzunehmen, doch unter der Voraussetzung, dass anerkannt wird,ich sei zu der Veröffentlichung der Berichtigung nicht verpflichtet gewesen.Wenn Sie damit einverstanden sind, so bitte ich um eine Verständigung bisheute 7 Uhr abends: damit die Berichtigung noch diesen Sonntag erfolgen kann.Was Ihr Ersuchen betrifft, Ihnen einen Betrag von 100 Schilling für Notleiden-de zu überweisen, so ist mir keine Bestimmung des Pressgesetzes bekannt, dieeinen Berichtigungswerber, oder dessen Anwalt, berechtigen würde, ein sol-ches Begehren zu stellen; ebensowenig kann ich auch eine Verpflichtung anerken-nen, dem Rechtsanwalt für die Zusendung einer Berichtigung, überdies einerBerichtigung, die den Begriff einer gesetzmässigen Berichtigung nicht erfüllt,Spesen zu zahlen. Ich muss es Ihnen also überlassen, die angekündigte Klage zuerheben, wobei ich allerdings glaube, dass das Gericht die Frage der Gesetz-mässigkeit der Berichtigung zu prüfen haben wird. Denn das Gericht wirdnicht übersehen können, dass gegen eine Veröffentlichung, zu der man überhauptnicht verpflichtet gewesen ist, weder der Einwand der Verspätung noch der derInkorrektheit erhoben werden kann: weil das Pressgesetz dem Beteiligten nurdie Möglichkeit eröffnet, die Hilfe des Gerichtes zur Erfüllung eines Verlangensanzurufen, das berechtigt, also gesetzmässig ist.

Zur Vermeidung eines Missverständnisses bemerke ich noch: Wenn mir Ihregeschätzte Mitteilung, dass Sie mit der Richtigstellung, zu der ich mich bereiterklärt habe, einverstanden sind, nicht bis heute Abend wird, so nehme ich an,dass Sie es vorziehen, gemäss der Schlussbemerkung Ihrer geschätzten Zuschriftvorzugehen.

In aller HochachtungBruno Holfeld

Kraus Arbeiterzeitung III