100.7 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (Richter: Karl Korst)

Schreiberhände:

  • Karl Kraus, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen
  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 20. April 1928
Seite von 3

Im Namen der Republik!

Der Angeklagte Johann Schober wird von der Anklage am24. Februar 1928 in Wien im Festsaale des NiederösterreichischenGewerbevereines im Verlaufe eines Vortrages über: „Wirtschaftund öffentliche Sicherheit“ a) durch die Aeusserung: „– – –dass der Zweck seines Vortrages sei, in kurzer und gedrängterWeise ein einigermassen anschauliches, wahres Bild der öffent-lichen Sicherheit zu zeichnen, das erheblich abweicht von demZerrbild, das einige Blätter und einige Personen zu zeichnen ver-sucht haben. Wenn man die von ihm geleitete Behörde Monate hin-durch wider besseres Wissen Tag für Tag verspotte und verhöhne,sie als unfähigste und volksfeindliche Behörde hingestellt habe,dann sei es an der Zeit, dass er als Chef dieser Behörde den Mundauftue … Er sei dies schon seinen Mitarbeitern, allen bravenMännern vom Vizepräsidenten Dr. Pamer angefangen bis zum jüngstenWachebeamten schuldig …

b) Durch Zitierung eines Spruches in dem „vom losen Maul“ derAngreifer gesprochen wird,den Privatankläger Karl Kraus zu a) fälschlich strafbarer (nachArt. V des Ges. vom 17.12.1862, RGBL. Nr 8 ex 1863) bezw. durchMitteilung von erdichteten oder entstellten Tatsachen namentlichoder durch auf ihn passende Kennzeichen einer bestimmten Unehren-haften oder solchen unsittlichen Handlung beschuldigt zu haben,welche diesen in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machenoder herabzusetzen geeignet istzu b) dem öffentlichen Spotte ausgesetzt zu haben und er habehiedurch die Uebertretung gegen die Sicherheit der Ehre nach§ 487 bezw. 488 StG und § 491 StG begangen, gem. § 259 % 3 StPOfreigesprochen.

Die Kosten des Strafverfahrens sind gem. § 390 StpO vom P.A. zutragen.

Gründe:

Auf Grund der durch den Verteidiger vorgebrachten Verantwortungdes Beschuldigten, sowie Vorlage der in Druck erschienenen Rede des Besch. im Niederösterreichischen Gewerbeverein, ist der imUrteilstenor angeführte, vom P.A. unter Anklage gestellte Wort-laut, mit Ausnahme einer einzigen strittigen Stelle. Frage, obder Beschuldigte von Parlamentariern oder Personen gesprochen hat,unbestritten und daher als erwiesen. Die unter Anklage gestelltenAeusserungen würden gegen bestimmte Personen gerichtet den Ver-wurf strafbarer bezw. bestimmter unehrenhaften Handlungen im Sinneder §§ 487, 488 Str.G. objektiv begründen, bezw. einer Verspottungnahekommen, obzwar die im Ausdruck „loses Maul“ liegende Gering-

schätzung vom Äussernden mit der strafbaren, unehren-haften Handlung der diese gekennzeichne nd t en Personen motiviert undden eigenen unentwegt pflichtgemässen Verhalten entgegengestelltwird. Das Gericht hatte zunächst die Frage der aktiven Klags-legitimation des heutigen Privatanklägers zu überprüfen, die Fragenämlich, ob in dem vorliegenden Falle, durch die aus der Rede herausgegriffenen Vorwürfe, selbst wenn darin von „Personen“ dieRede war, der Privatankläger mit auf ihn passende Kennzeichengetroffen worden ist u. getroffen werden sollte. Wenn auch der P.A. zur Stützung der Anklage ausführt, dass der P.A. Karl Kraus alleinals ausserhalb der Politik stehende Person, welche Angriffe gegendie Polizei und deren Präsidenten erhoben hatte, in Betracht kommtund auf die am Vortage im Parlament erfolgten Angriffe, wobei auchdie Angriffe des P.A. zu Sprache kamen, hinweist und sich daraufberuft, dass der Vortrag des Besch. eine Verteidigungsrede seinsollte, so muss dem entgegen gehalten werden, dass der Vortragim Wesentlichen das Thema: „Wirtschaft und öffentlicheSicherheit“ behandelte, streng sachlich und leidenschaftslos ge-! halten war und nur der Schlussauf Angriffe von einzelnen Blättern undeinzelnen Personen Bezug nimmt. Das Gericht ist der bestimmtenAnsicht, dass, selbst wenn das Wort „Personen“ gefallen seinsollte, dieser Ausdruck zu allgemein gehalten ist, um auch nurim Entferntesten darauf schliessen zu lassen, dass es in der Ab-sicht des Vortragenden lag, dem P.A. damit zu treffen. Richtig istja, dass die Polizeibehörde und deren Präsident wiederholt inZeitungen und auch sonst von Parlamentariern die ja auch unterdem Ausdruck „Personen“ zusammengefasst werden können, angegriffen,worden sind und es ist daher ganz gut verständlich, dass der Be-schuldigte besonders hervorzuheben beabsichtigte, dass das, waser auf Grund von statistischen, und sonstigen Daten über Wirt-schaft und öffentliche Sicherheit vorgetragen habe in krassemWiderspruch mit den Zerrbildern in Zeitungen steht und dass er dieLeistungen seiner Behörde gegen jeden Angreifer verteidigen könneDer Beschuldigte hat auf die in die Oeffentlichkeit getragenenAngriffe ganz im allgemeinen und nicht auf besondere Fälle hin-gewiesen. Bezeichnend ist hier, dass die Klage selbst hervorhebt,der Besch. habe davon gesprochen, dass „man“ „Tag für Tag“ (trifftbeim P.A. nicht zu) „verspotte und verhöhne“. Bezeichnend ist ferner,dass die Affäre Bekessy, die der P.A. gewissermassen als Spezialität!seiner Angriffe hinstellt, mit dem Vortragsthema gar nichts zu tunhatte und in dasselbe auch gar nicht einbezogen wurde, schliesslichdie Aeusserung, man könne nicht jedermann das lose Maul verriegeln!!(quicunque).

Das Gericht ist auf Grund dieses Sachverhaltes zur Ueberzeugunggekommen, dass der P.A. Karl Kraus zur Klage nicht legitimiert ist,weil nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dassihn die inkriminierten Anwürfe treffen sollten, zumal nur dannvon passender Kennzeichnung gesprochen werden kann, wenn dieKennzeichnung nicht nur individuell (anders wie ein Overol)?passen, sondern auch vom Aeussernden selbst gesetzt wurden.Die Kostenentscheidung stützt sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Richter: Wien, am 20. April 1928 Schriftführer:Dr. Korst Dr. Schlöser

P.K.B 10.– S von Dr. Samek einheben.