100.6 Protokoll der öffentlichen Hauptverhandlung (Strafbezirksgericht I Wien, G.Z. 1 U 337/28, Richter: Karl Korst)

Schreiberhände:

  • Karl Kraus, schwarze Tinte
  • Oskar Samek, Bleistift

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen
Datum: 20. April 1928
Seite von 5

Abschrift.

Stempelgebühr Protokoll 2.– S Urteil 5.– S

von P.A.V. beigebrachtGeschäftszahl U 12 U 337/28

Stempel 20.000 K50.000 K

Oeffentliche Hauptverhandlungin Wien am 20. April 1928 Beginn 11.50 Uhr.

Gegenwärtig:Richter: LGR. Dr. Korst Schriftführer: Schlöserstaatsanw. Funktionär:Privatankläger: Karl Kraus n.e.Z.a. sein VertreterDr. Oskar Samek O/V. v. 10.3.1928

Privatbeteiligter: sein Vertreter:Angeklagter (der Name folgt unten) Verteidiger:Johann Schober n.e.Z.a. Dr. Adolf Bachrach O.V. v. 20.4.192814.11.74 PergO. Oe. nach Wien zust. k.v.Bundeskanzler a.D.u. Präsident der Pol.Dion. Wien I. Schottenring 11 Franz-Klara unbescholtenBeschluss: Durchführung der Verhandlung gem. § 459 StPO Die Anklage wird vorgetragen. Der Angeklagte gibtüber seine persönlichen Verhältnissenund die Anklage an:

Der Verteidiger bringt zur Verantwortung des Angeklagten fol-gendes vor: Am 11.2. l.J. erschien eine Abordnung des n.ö. Ge-werbevereines bei Pol.Präs. Schober mit der Bitte, einen Vor-trag im Gewerbeverein zu halten, wobei die Wahl des Themas frei-gestellt wurde. Präs. Schober hat zugesagt und hat sich, einekurze Disposition für sich allein gemacht. Am 23.2. l.J. erfolgtenim Parlament und in Zeitungen Angriffe gegen den Polizei-präsidenten und er dachte, in dem Vortrage darzustellen, welchesZerrbild von ihm entworfen werde und hat seine zu haltendeRede ins Stenogramm diktiert, welche in drei Ausfertigungen an-gefertigt wurde. Ein Exemplar behielt er für sich und hat erden Vortrag Wort für Wort, wie er im Konzept niedergelegt war, ge-halten, nicht, dass er ihn abgelesen hätte, doch hat er immerhinein geblickt, wie man es eben bei Vorträgen, die einen be-stimmten Wortlaut haben sollen, zu tun pflegt. Ein Exemplarhat ein Stenograph, welcher anwesend war, um zu kontrollieren,ob die Rede so gehalten wurde, wie sie im Manuskript festge-legt war, erhalten und dieser hat nachträglich über Befragendie Feststellung gemacht, dass die Rede des Präsidenten mitdem Manuskript übereinstimmt. Die Rede wurde auch in denZeitungen abgedruckt und enthalten im Wesentlichen Wort für Wort alles

was der Präsident gesagt hat. Es wurde über Wirtschaft und öffent-liche Sicherheit gesprochen. Der Vortrag stützt sich auf trockeneDaten und enthält, wenn man will führt die Leistungen der Polizeidirektion und ihre Bedeutung für die Wirtschaft an. Auf Seite 24 des inDruck erschienenen Vortrages heisst es: „Wenn man die von mir ge-leitete Behörde Monate hindurch wider besseres Wissen, Tag fürTag verspottet und verhöhnt, wenn man sie als die unfähigste, bös-artigste und volksfeindlichste Institution hinstellt, dann war esmeiner Meinung nach an der Zeit, dass bei dem Mangel aller anderenAbwehrmassnahmen, beim Versagen der Gesetze, beim Versagen derGeschworenengerichte, der Chef dieser Behörde endlich einmal selbstden Mund aufmacht, um vor einem unvoreingenommenen Forum, wie esder n.ö. Gewerbeverein mit seiner stolzen Tradition ist, in ruhigerund leidenschaftsloser Weise darzulegen, wie es in Wahrheit mitdieser Sicherheitsbehörde bestellt ist. Ich bin dies meinen Mit-arbeitern und allen den braven Männern vom Vizepräsidenten ange-fangen bis zum jüngsten Wachebeamten schuldig, die die WienerPolizeidirektion, welche schon von meinen Vorgängern als ein Hortder Ordnung und Sicherheit dieser schönen Stadt betrachtet undstets so gehalten wurde, durch den Krieg und durch das Elend derNachkriegszeit hindurch mit mir als jenes Instrument unversehrtbewahrt haben, das keiner anderen Devise gehorcht als: SalutiPublicae, dem öffentlichen Wohle. Ist mir dies gelungen, meineHerren und habe ich Sie überzeugt, dann kann ich über alle An-griffe hinweg beruhigt zur Tagesordnung schreiten und ich kannmich an jenem alten Wahrspruch halten, der mir schon über vielTrauriges und viele Enttäuschungen in den letzten 10 Jahren meinesLebens hinweggeholfen hat, der auch heute, trotz Missfallens,dass meine Zitate schon wiederholt erregt haben, angeführt werdensoll und der da lautet: „Ich kehre mich nicht dran, Ich lass dieLeute klügeln. Wer kann denn jedermann das lose Maul verriegeln?Ich kann nicht besser Leben als dass ich dazu lach, dann habendie vergeben sich so viel Müh’ gemacht!“ Diese Schlussausführungenleitete der Herr Polizeipräsident im Hinblick auf die am Vortageim Parlament und in einigen Zeitungen erfolgten Angriffe mit denWorten (Seite 23 der Broschüre) ein: „Vielleicht genügen diesemeine Ausführungen und die hiebei unvermeidlich gewesenen stati-stischen Daten, um Ihnen in kurz gedrängter Weise ein einiger-massen anschauliches Bild des Zustandes der öffentlichen Sicher-heit in Wien zu geben, ein Bild, das erheblich abweicht von demZerrbilde, das einige Zeitungen und einige Parlamentarier zu zeichnenversucht haben.“ Wenn in der N.Fr.Pr. etwas anderes steht, müssteeigentlich festgestellt werden, wieso die Wiedergabe der Rede vondem tatsächlichen Wortlaut abweicht. Wie aus dem Wortlaut schon klarhervorgeht, war es dem Herrn Polizeipräsidenten darum zu tun,

abzuwehren, was Zeitungen und Parlamentarier über ihn ausgesprochenhatten, es ist ihm ferne gelegen, jemanden anzugreifen, an denPrivatankläger bei diesem Anlass irgendwie zu denken, hatte erkeinen Anlass und auch in dem Saal in dem die Rede gehalten wor-den ist, hat sicher niemand daran gedacht, dass Karl Kraus damitgemeint sein könnte. Herr Präsident Schober wollte nur daraufhinweisen, dass durch seine Ausführungen die gegen ihn erhobenenAngriffe widerlegt seien. In früheren Reden hat Präs. Schober allerdings Angriffe erhoben, welche aber in keinem Zusammenhangmit dem gegenständlichen Vortrage stehen. Präsident Schober hat seiner vorgesetzten Stelle von den Angriffen des P.A. inder Sache Bekessy Meldung erstattet und betrachtete die Ange-legenheit als erledigt. P.A.V. führt aus: Wenn der Verteidiger von Zeitungen und Parlamentariern“ spricht, so findet die Verant-wortung der Besch. zu seiner Exkulpierung allerdings eine starkeStütze. Es wäre daher durch Vernehmung der vom P.A. beantragterZeugen und des, die Rede des Polizeipräsidenten an Hand desManuskriptes kontrollierenden Stenographen, festzustellen, wie dergenaue Wortlaut der Schlussausführungen gelautet hat. Der Vert. hatausgeführt, dass der Polizeipräsident aus Anlass der am Tagevorher im Parlament erfolgten Angriffe, sich sozusagen in derOeffentlichkeit verteidigen bezw. rechtfertigen wollte. Aber ge-rade dieser Umstand spricht dafür, dass Präsident Schober mitseinen Ausführungen auch den P.A. gemeint hat, weil Dr. Eislerin seiner Rede im Parlament auf die Angriffe Karl Kraus hinge-wiesen hat. Es wird der Antrag gestellt die Verhandlung zur Be-kanntgabe des Namens des kontrollierenden Stenographen und dessenLadung zu vertagen. Wenn von Personen gesprochen wird, kann essich nicht um Parlamentarier handeln, sondern müssen Privat-personen gemeint sein. In diesem Falle kann es sich daher nurum Personen handeln, die ausserhalb der Politik stehen undmuss darauf hingewiesen werden, dass keine andere Privatpersonsich mit den Ereignissen des 17. Juli 1927 und mit der Be-günstigung des Erpressers Bekesy befasst und gewisse Angriffegegen die Polizei erhoben hat als Karl Kraus. Es gehört auchzur öffentlichen Sicherheit, ob ein Verbrecher ein richtigesLeumundszeugnis bekommt oder ein gefärbtes Zeugnis. Der Poli-zeipräsident konnte nur im Rahmen eines fachlichen Vortragesüber Sicherheit sprechen, er führte aber an, warum er diesen Vor-trag hält und begründete dies damit, weil die Gesetze und dieGeschworenengerichte versagen. Es ergibt sich daraus, dass ihmeine Verteidigung vor einem Gerichte nicht möglich war und erdiesen Weg wählte. Es kann daher, wenn die Rede Dr. Eisler imParlament, die Beschuldigungen durch den Schriftsteller KarlKraus behandelt, und der am nächsten Tage erfolgten Verteidigungs-rede des Herrn Polizeipräsidenten in Zusammenhang gebracht wer-

den – und darüber kann nach den Ausführungen der Verteidigung keinZweifel sein –, als sicher angenommen werden, dass der Herr Präsi-dent den Privatankläger in seine Rede mit einbezogen hat.Verteidiger spricht sich gegen eine Vertagung aus. Es wird be-stritten, dass es in der Rede heisst: „Personen“ und zum Nachweis,dass der Vortrag tatsächlich so gehalten wurde wie im Manuskriptfestgelegt, wird der beim Vortrage anwesende Reg.Rat. Dr. HeinrichFeigl, welcher im Gerichtshaus anwesend ist, geführt. Ich gehegar nicht darauf ein, dass wenn von Parlamentariern gesprochenwird, nicht von Personen gesprochen werde. Nun soll deduziertwerden, dass gerade Kraus in der Rede gemeint war. Aber geradeKraus war nicht gemeint, denn Präsident Schober hätte Gelegen-heit gehabt, hierüber in der Oeffentlichkeit zu sprechen undhätte nicht notwendig gehabt, davon im n.ö. Gewerbeverein zusprechen. Der Vortrag ist, wie bereits gesagt, schon 14 Tage vorherüber Ersuchen einer Abordnung des n.ö. Gewerbevereines zugesagtworden und stand auch das Thema bereits fest. Erst mit Rücksichtauf die am Vortage erfolgten Angriffe ist der Schluss mit auf-genommen worden, um einen Vergleich zu ziehen, zwischen den Zerr-bildern die in Zeitungen und durch Parlamentarier wiedergegebenwurden und den Tatsachen auf Grund des Vortrages. Ich sprechemich entschieden gegen eine Vertagung und dass diese groteske,bei den Haaren herbei gezogene Sache noch weiter verfolgt werde,aus.

P.A.V. beantragt Vorlesung der ParlamentsberichteBeschluss: Vernehmung des als Zeugen beantragten Dr. HeinrichFeigl

Zeuge Dr. Heinrich Feigl 40 Wien k.v. Reg.rat bei der Pol.Dion V.Thielgasse 52 nach W.E. gibt an: Ich war während des ganzen Vortra-ges des Herrn Pol.präsidenten Schober im Gewerbeverein anwesendund hatte das Konzept, welches ich am Vortage bereits erhaltenhatte 3–4 mal durch gelesen und habe verfolgt, ob die Rede mitdem Konzept übereinstimmt. Ich war vom Redner ca 20 Schritte ent-fernt und konnte alles deutlich hören.

Ueber Befragen des Richters über den auf Seite 23 u. 24 derBroschüre angeführten Wortlaut, gibt Zeuge an: Die Rede war ganzallgemein gehalten über die Presskampagne – die Aeusserungen demWortlaut nach könnte ich heute nicht genau sagen – es war auchvon Angriffen im Parlament die Rede. Der Sinn war der: „esist unmöglich jedermann recht zu tun, man müsse seine Pflichterfüllen“. Wer Angriffe gegen die Polizei erhebt, ist nichtgesagt worden.

Ueber Befragen des P.A.V. ob er der Stenograph sei, der an Handdas Konzeptes den Vortrag kontrolliert habe? gibt Zeuge an:Dies müsste jemand vom Gewerbeverein gewesen sein.P.A.V. auf Befragen des Richters, woraus er entnehme, dass der P.A.

in der Rede des Besch. gekennzeichnet ist? Das Objekt des An-griffes solle zwar anonym bleiben. Aber aus den vorher gehendenVorgängen ist dies zu entnehmen.

Zeuge Dr. Heinrich Feigl über Befragen des Vert., ob der Präsident von Zeitungen und einigen Parlamentariern gesprochen hat, odervon Zeitungen und „einigen Personen“? gibt an: Das könnte ichheute nicht mehr sagen. Auf die Frage des P.A. wann der letzteVortrag vom Polizeipräsidenten im Gewerbeverein gehalten wurde?gibt Zeuge Dr. Feigl an: Im Jahre 1922 oder 1923 und wurde damalsauch über die Sicherheitsverhältnisse gesprochen.

P.A.V. beantragt Vernehmung der beantragten Zeugen zur Feststel-lung des objektiven Tatbestandes zum Nachweis darüber, ob der Besch. sich in seiner Rede auf den P.A. bezogen haben konnte.

Beschluss: Ablehnung sämtlicher Beweisanträge wegen Unerheblich-keit

Beweisverfahren beschlossen

Der P.A.V. beantragt Bestrafung des Angeklagten Der P.A.V. gebraucht während seiner Ausführungen die Worte: „Indie Leumundnote des Bekesy wurden die Worte: ‚– laut eigenerAngabe –‘ hineingeschmuggelt“ Der Richter weist diesen Ausdruckzurück, worauf der P.A.V. diese Worte zurück nimmt und sich mit:„hineingebracht“ verbessert.

Vert. beantragt Freispruch

Verhandlung geschlossen

Urteilsverkündung

Der P.A.V. erklärt, sich Bedenkzeit vorzubehalten

Richter: 12 Uhr Dauer 45 Minuten Schriftführer:Dr. Korst Schlöser.