109.12 Ausführung der Berufung

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 5. Oktober 1928
Stempel: Strafbezirksgericht I
Seite von 4

G.Z. 1 U 358/28

An dasStrafbezirksgericht IWien.

Privatankläger und Berufungswerber: Karl Kraus,Schriftsteller in Wien III., HintereZollamtsstrasse Nr. 3,durch:

Beschuldigter und Berufungsgegner: Oskar Hirth, verantwortlicher Redakteur des Neuen WienerTagblattes in Wien I., Fleischmarkt Nr. 5,durch:Dr. Josef Geiringer,RechtsanwaltWien, I., Jordangasse Nr. 9.

wegen §§ 23, 24 Abs. 2, Ziffer 2 Pr.G. 1 fach

Ausführung der Berufung.

Gegen das Urteil des StrafbezirksgerichtI vom 21. September 1928 G.Z. 1 U 358/28/3, mit welchem derBeschuldigte von der Anklage, er habe im September 1928 inWien als verantwortlicher Schriftleiter der Zeitung „NeuesWiener Tagblatt“ vom 13.9.1928 die vom Privatankläger KarlKraus verlangte Berichtigung von in der Nummer 245 der ge-nannten Zeitung vom 3.9.1928 unter der UeberschriftSkandalszenen bei einer Kraus-Vorlesung“ mitgeteilten Tat-sache nicht in der im § 23 Pr.G. vorgeschriebenen Weise ver-öffentlicht und hiedurch die Uebertretung nach §§ 23, 24(2/2) Pressgesetz begangen, gemäss § 259, Z. 3 St.P.O. frei-gesprochen wurde, habe ich sofort die Berufung wegen des Aus-spruches über die Schuld und wegen vorliegender Nichtigkeits-gründe angemeldet und um Zustellung einer Urteilsausfertigungan meinen Vertreter zum Zwecke der Ausführung der Berufung ge-beten. Die Urteilsausfertigung wurde am 29. September 1928zugestellt und ich erstatte fristgerecht folgende AusführungderBerufung.

Als Nichtigkeitsgrund wird der des § 468,Z. 3 (§ 281, Z. 9) St.P.O. geltend gemacht.

Nach § 23 des Pressgesetzes muss eine Be-richtigung ohne Einschaltungen und Weglassungen veröffent-licht werden. Wenn die Veröffentlichung nicht in dieser Weiseerfolgt, ist der verantwortliche Schriftleiter zu bestrafenund auf Veröffentlichung zu erkennen. Den Wortlaut der Be-richtigung hat lediglich der Berichtigungswerber festzustel-len. Der Zeitung steht an diesem Wortlaute, wenn die Be-richtigung dem Gesetze entspricht, kein Aenderungsrecht zu.Es ist vollständig gleichgültig, ob das was in der Berichtigungmitgeteilt wird, den Lesern zur Kenntnis gebracht wird undsämtliche Stellen der Berichtigung veröffentlicht werden. Einestrafbare Handlung wird auch dann begangen, wenn der Text des

Berichtigungswerbers, wenn auch vollständig doch nicht in dervon ihm vorgeschriebenen Weise veröffentlicht wird. Die Berich-tigung beginnt nach wiederholten Entscheidungen der Gerichteerst nach der Einleitungsformel, mit welcher sie verlangt wird.Zur Veröffentlichung dieser Einleitungsformel ist die Zeitungnicht verpflichtet. Im vorliegenden Falle dürfte daher derverantwortliche Redakteur den in dem Text der Berichtigung auf-genommenen Titel „Skandalszenen bei einer Kraus-Vorlesungnicht aus der Berichtigung herausnehmen und als Titel der Be-richtigung verwenden, sondern er musste ihn in der Berichtigungabdrucken, so wie es der Privatankläger vorgeschrieben hat.Das Gesetz sagt nicht, dass die Zeitung die Berichtigung amentsprechenden Ort und in entsprechender Weise zu veröffent-lichen hat, sondern dass sie die Berichtigung ohne Einschaltun-gen und Weglassungen zu veröffentlichen hat. Umso schwererfällt diese Veränderung ins Gewicht, weil auch der Titel dieunwahre und berichtigte Behauptung enthält, dass Karl Kraus eine Vorlesung gehalten hat und deshalb mit Recht und logischerWeise in dem Text der Berichtigung der Titel aufgenommen wurde.

Ich stelle daher denBerufungsantrag,das Urteil abzuändern, den Angeklagten schuldig zu sprechenund auf Veröffentlichung der Berichtigung zu erkennen.

Karl Kraus.

Betr. KrausNeues Wiener Tagblatt exp. am 5.10.1928.