115.4 Brief Verlag Die Fackel an Siegfried Geyer

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, schwarze Tinte
  • Oskar Samek, Bleistift

Sender

VERLAG „DIE FACKEL“ | HERAUSGEBER KARL KRAUS
HINTERE ZOLLAMTSSTR. 3
WIEN, III.
Datum: 12. Dezember 1928

Empfänger

An: Herrn Siegfried Geyer, | Redakteur der „Bühne“
Canisiusgasse
Wien
Seite von 3

Sehr geehrter Herr!

Sie veröffentlichen in der „Bühne“ Nr. 213 einen Artikelunter dem Titel „Die sich selbst spielen“, worin die Stellen ver-kommen:

Als nämlich in Deutschland der Naturalismus nach einervorübergehenden Mode starker künstlerischer Ausdruck einer Zeitwurde, Otto Brahm und nach ihm Max Reinhardt ihre Natürlichkeits-Theater aufrichteten, wurde der Defektschauspieler plötzlich demEffektschauspieler vorgezogen. – – Auch Alexander Moissi galt da-mals für einen Defektschauspieler – – Eigentlich gehört auch Basser-mann, heute als der größte Schauspieler Deutschlands anerkannt, zuden Defektschauspielern. – – Max Reinhardt ging weiter; er suchtesich zur Darstellung eines Verkrüppelten auf der Bühne einen Ver-krüppelten aus, einen Heiseren spielte bei ihm oft ein Heiserer,und so wurden Schauspieler oft durch Zufälle produziert, Menschenans Licht der Bühne gezogen, die wahrscheinlich sonst im Dunkelihrer frü heren Berufe verschollen wären. Der größte Teil blieb dannbeim Theater und eine Anzahl Individualitäten und Spezialitätenunter den Episodisten des deutschen Theaters haben wir dem Natura-lismus zu verdanken. – –

Ich ersuche Sie im Vollmachtsnamen des Herrn Karl Kraus,in der nächsten Nr. der „Bühne“ bekanntzugeben, daß diese Betrach-tung des naturalistischen Theaters mit der Formulierung des „De-fektschauspielers“ im Gegensatz zum „Effektschauspieler“ der Fackel entnommen ist.

Wiederholte Gelegenheiten, derartige Entlehnungen fest-zustellen, hat Herr Karl Kraus vorübergehen lassen. Im gegebenenFalle legt er auf die Feststellung Wert, weil es nicht unmöglichist, daß er selbst in absehbarer Zeit seine Formulierung wiederverwendet, und es wohl nicht angeht, daß er sich dann nachsagenlassen müßte, er habe Ihren Artikel ohne Quellenangabe benutzt.Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß die vorhandene Formu-lierung Ihnen bekannt war, und ich will gern die Entschuldigung gel-ten lassen, daß Sie der Meinung waren, sie wie in anderen Fällenals ein schon geflügeltes Wort, dessen Autor man nicht mehr anfüh-ren müsse, gebrauchen zu dürfen. Dies ist aber beiweitem nicht derFall und darum ist die nachträgliche Angabe der Quelle unerläßlich,umso mehr, als Ihr Artikel ausschließlich auf dem entnommenen Gedan-ken und insbesondere der entnommenen Formulierung beruht. Die Form,in der Sie die gewünschte Feststellung vornehmen wollen, will ichIhnen überlassen.

Mit dem Ausdruckder vorzüglichsten Hochachtung

Sie hatIn fraglicher Rechts fordere ich sie daher nachträglich auf, die Notwendigkeit Reaktion abzugeben

KrausGeyer