120.1 Brief Samek an RA Adolf Kaufmann

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, Bleistift

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 7. März 1929
Betreff: Kraus – Diverses

Empfänger

An: Herrn | Adolf Kaufmann, | Rechtsanwalt
Kaufingerstrasse 30
München 7 C
Seite von 4

Hochgeehrter Herr Kollege!

Herr Karl Kraus hat sich bei mir nach der juridi-schen Sachlage, die ihm durch die „Bearbeitung“ von „Pariser Lebendes Herrn Peter Scher gegeben schien, erkundigt und ich vertretenach deren Vergleichung mit dem Text von Carl Treumann die Ansicht,dass jedenfalls gegenüber einem Versuch, jene an einer österreichi-schen Bühne zur Aufführung zu bringen, ohne dass der Autor des wenn-gleich vielfach misshandelten, so doch deutlich erkennbaren deut-schen Urtextes genannt würde, der § 46 des österreichischen Urheber-rechtes zur Anwendung gelangen müsste, der da lautet:

Wer in der Absicht zu täuschen, ein fremdes Werkmit seinem eigenen Namen oder ein eigenes Werk mit dem Namen einesanderen versieht, um dasselbe in Verkehr zu setzen, oder wer wissent-lich ein solches Werk in Verkehr setzt, macht sich, auch wenn keinEingriff in ein Urheberrecht vorliegt, eines Vergehens schuldig,insofern nicht strengere Bestimmungen des Strafgesetzes eingreifen.

Das deutsche Urhebergesetz scheint keine ähnliche

Statuierung zu enthalten und Sie, sehr geehrter Herr Kollege, werdenunschwer feststellen können, ob etwa ein anderes Gesetz oder die „PariserKonvention“ für diesen Eingriff in ein „Pariser Leben“, der keinmaterielles Urheberrecht mehr verletzt, der irregeführten Theater-leitung eine analoge Möglichkeit der Schadloshaltung – falls siediese anstrebt – an die Hand geben würde. Für Oesterreich steht derFall ausser jedem Zweifel; in der Fülle der Stellen, die klar dartun,dass Herr Scher unter Vorgabe, das französische Original zu bearbei-ten oder zu modernisieren, einfach das materiell schutzlose Treumann-sche Geistesgut übernommen hat, wäre die wörtliche Benützung derklassischen Metella-Arie allein zureichend, um die Anwendung jenesParagraphen zu rechtfertigen, freilich aber zugleich das Bedauern,dass er nicht den ganzen Text abgeschrieben, ihn vielmehr durcheigene Verse von unsäglicher Banalität verunreinigt hat.

Zu diesem Punkt einer geistigen Anfechtung, die sich so-wohl auf den Text wie noch weit mehr auf die entehrte Musik Offen-bachs bezieht, möchte Herr Karl Kraus auf das im Gespräch mit Ihnen,sehr geehrter Herr Kollege, berührte Problem einer Wiedergutmachungzurückkommen. Sie glaubten die Möglichkeit einer solchen darin er-blicken zu können, dass an einer Ihrer Bühnen etwa die „Brigantenin der dem Textbearbeiter vorschwebenden Gestalt zur Aufführunggelangten, und Herr Karl Kraus hat sogleich erklärt, dass er einesolche Erstattung der Ehre, die dem von ihm gefeierten Genius sicher-lich gebühren würde, nicht für die beiderseits und allseits ge-wünschte Wiedergutmachung halten, dass diese nur an dem misshandeltenWerk selbst erfolgen könnte und jede Heranziehung eines anderenWerkes, an dem er als Mitarbeiter oder Autor beteiligt sei, blossdie widerwärtige Missdeutung zuliesse, als ob eben damit seineAversion gegen das Geschehene aufgehoben wäre. Herr Karl Kraus legt

den grössten Wert darauf, noch einmal in aller Form zu erklären,dass solches einzig durch die Rehabilitierung des edlen KunstwerkesPariser Leben“ in der musikalischen und textlichen Originalformbewirkt werden könnte. Er möchte aber seine mündliche Erklärung,wonach von einer Ueberlassung irgendeines Offenbach-Textes, an demer autorrechtlich mehr beteiligt ist als an der Revision von „Pari-ser Leben“, heute so wenig die Rede sein könnte wie von der Ueber-lassung irgendeines seiner eigenen Werke, noch ergänzen. Wenn dieschöne und einer gerühmten Regie würdige Tat der Wiederherstellungvon „Pariser Leben“ erfolgen und das Theater sich der von HerrnKarl Kraus besorgten Revision, die nachweisbar eine Erneuerung undWerterhaltung zugleich vorstellt, bedienen sollte, so würde er, umjeden Zweifel, als verträte er ein persönliches Autorinteresse,auszuschliessen, die Bestimmung treffen, dass zwar der Name Treumann aber nicht sein eigener angeführt werde (etwa: „in revidierter Ueber-setzung von Carl Treumann“) und im weiteren Gegensatz zum gegebenenFall: dass der Betrag der Tantiemen eben dem wohltätigen Zweck zu-falle, dem von moralwegen und wahrscheinlich auch von rechtswegenHerr Peter Scher seinen Gewinst aus fremdem Geistesgut abzutretenhätte.

Dieses Schreiben verfolgt keineswegs den Zweck, Ihnen,sehr geehrter Herr Kollege, eine künstlerische und ethische Ent-schliessung, der vielleicht die Bedingtheit der Verhältnisse wider-strebt, nahezulegen, sondern nur die Absicht, den allerdings unbe-dingten Standpunkt des Herrn Karl Kraus für Auffassung wie Bühnen-praxis des Falles „Pariser Leben“ klarzustellen.

Mit dem Ausdruckder vorzüglichsten kollegialen Hochachtung

An Bote & Bock Buhn

Sehr geehrte Herrn! – Eine Blättermeldungen, wonach sie „eine Neubearbeitung von Offenbachs Operette ‚PariserLeben‘ von Peter Scher“ in ihren Bühnenbetrieb übernommen haben, veranlassen 1. In p. f. eines Schreibens zukommen zu lassen,das ich auf Ersuchen des vom Wunsch K.K. an Herrn Direktor und Rechtsanwalt Dr. Kaufmann in München gerichtet habe. Ich fühle mich bezüglich berichtigen, als ich, Kromet abmahnt jener Zuschrift an das Theater im Schiffbauerdamm gelegentlich der Erwägung, die Bearbeitungder Offenbachschen „Briganten“ durch K.K. aufzuführen, sich ausdrücklich zu den Prinzipien, von denen diese Berabeitung geleitet ist unddie jedem Versuch einer modischen Verschblung Verschandelung widerstreben bekannt haben. Herr K.K. hat in München durch den Vortrag des Originalwerkes in der von ihm revidierten Treumannschen Übersetzung protestiert und gegen die Verjazzungauf dem Plakat vermerken lassen, dass der Vortrag „Zu Ehren Offenbachs“ erfolgt. Was mit dem Text unternommen wurde, davon können sie sich als Verleger derTreumannschen Übersetzung am besten durch Augenschein selbst überzeugen. Ich kann sie insbesonders auf den Tatbestand der Nichtnennungdes Namens Treumann aufmerksam machen, die ist Bote bei einem Versuch, diese angebliche Neubearbeitung an einerösterreichischen Bühne zu Aufführung zu bringen, strafrechtlich verfolgbar! Ich zweifle keinen Augenblick, dass ihnen der Sachverhalt nicht gegenwärtig warund dass sie nicht nur als Wahrer der Rechte der Nachkommen Halevys sondern auch aus demKulturellen Beweggrunde der Respekt vor Offenbach, den Unfug, der jetzt mit seinenMeisterwerken unternommen wird, nicht fördern, sondern im Gegenteil zu verhindern wissen werden.

Kraus – diverse