121.1 Brief Samek an Arbeiter-Zeitung (verantw. Red. Otto Leichter)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 14. März 1929
Betreff: Kraus – Arbeiter-Zeitung VI.
Diktiersigle: Dr.S./Fa.

Empfänger

An: den | verantwortlichen Redakteur der „Arbeiter-Zeitung“ | Herrn Dr. Otto Leichter
Rechte Wienzeile Nr. 97
Wien V.
Seite von 4

Im Vollmachtsnamen des Herrn Karl Kraus fordere ich die Aufnahme der Berichtigung der in Ihrer Nr. 70 vom11. März 1929 in dem Artikel „Literatur vor dem Handelsgericht“ mit-geteilten meinen Mandanten betreffenden Tatsachen gemäss § 23 Pr.G.

Sie schreiben: „So hat es wenigstens KarlKraus gesagt, der in dem ‚Rechenschaftsbericht‘, mit dem wir unsauseinandergesetzt haben, jene ‚Kürzungen‘ in dem Aufsatz des HerrnLeschnitzer auch als ‚Vergewaltigung eines Mitarbeiters‘ bezeichnethat, ‚an dessen Manuskript die Tat hinterrücks begangen wurde‘; daswäre – höchst schauderbar – ‚eine Lumperei gegen den Einsender, demein geistiges Recht verkürzt wird‘. Wohlgemerkt und gegen jeden Ver-such einer Verdrehung gesichert: es geht gar nicht darum, was ge-strichen wurde, ‚Vergewaltigung‘ und ‚Lumperei‘ soll es sein, dassin einem Manuskript des Herrn Leschnitzer überhaupt gestrichen wor-den ist.“ Die in diesem Satz enthaltenen Behauptungen sind unwahr.Es ist unwahr, dass Karl Kraus zum Ausdruck gebracht hat, es gehe

nicht darum, was gestrichen wurde. Es ist unwahr, dass Karl Kraus gesagt hat, es sei Vergewaltigung und Lumperei, dass in einemManuskript des Herrn Leschnitzer überhaupt gestrichen wurde. Wahrist, dass Karl Kraus in dem „Rechenschaftsbericht“ (S. 40) von derVergewaltigung eines Mitarbeiters gesprochen hat, „an dessenManuskript hinterrücks die Tat begangen wurde und zwar ausschliess-lich aus dem Grund, weil mein Name im Spiele war“. Es ist unwahr,dass Karl Kraus gesagt hat, es wäre eine Lumperei gegen den Ein-sender, dem ein geistiges Recht verkürzt wird. Wahr ist, dass er(S. 42, 43) gesagt hat: „Der Bekannte, dem ich meine Entdeckung mit-teilte, schwor, dass es sich erweisen werde, ich hätte mit meinemVerdacht der Arbeiter-Zeitung unrecht getan, weil eine solcheLumperei in solchen publizistischen Kreisen denn doch nicht mög-lich sei, eine Lumperei gegen den Einsender, dem ein geistiges Rechtverkürzt wird, eine Lumperei gegen mich, den er die geistige Ehrezuerkennen wollte“. Wahr ist, dass er lediglich und ausdrücklicheine hinterrücks erfolgte Streichung und zwar die einer auf ihn be-züglichen Stelle besprochen hat.

Sie schreiben: „Wir wollen deshalb feststellen, dassKarl Kraus, wenn es sich nicht um Beiträge für die Arbeiter-Zeitung,sondern um Beiträge für die ‚Fackel‘ handelt, über das Recht, sie zukürzen und abzuändern, ganz anders denkt“. Diese Behauptung istunwahr. Wahr ist, dass er, wenn es sich um Beiträge für die Fackel handelt, keineswegs anders denkt.

Sie schreiben: „Wir können das Datum nicht zitieren,aber wir irren uns gewiss nicht, dass sich Kraus gar nicht seltengerühmt hat, den seinem Blatte eingesendeten Manuskripten ‚Lichteraufgesetzt zu haben‘, was sicherlich viel einschneidendere Aenderun-

gen gewesen sind als die, die wir dem Leschnitzer-Manuskriptwiderfahren liessen; wir lesen just in der letzten ‚Fackel‘ dieBemerkung: ‚Ganz wie der korrigierende Plan es vermöchte, den ichselbst so oft an fremde Manuskripte gewandt habe‘, und auch die,der schöpferische Anteil des Striches kann grösser sein als derdes Restes“. Die hier ausgesprochene und mit dem Zitat ver-knüpfte Behauptung ist unwahr. Es ist unwahr, dass Karl Kraus sichgar nicht selten gerühmt hat, den seinem Blatt eingesendeten Manu-skripten „Lichter aufgesetzt zu haben“. Es ist unwahr, dass er dieseWorte gebraucht hat. Wahr ist, dass die in den anderen zitiertenSätzen einbekannte Aenderungen fremden Manuskripten niemals hinter-rücks, sondern stets mit Wissen und Zustimmung der Autoren erfolgtist und dass diese Aenderungen oder Streichungen nicht Stellenbetroffen haben, deren Tendenz der Fackel nicht genehm war, viel-mehr stilistische und künstlerische Aenderungen an Versen waren,sogar, wie es dort ausdrücklich heisst, an berühmten Werken derLyrik, „mit dem Nachweis, wie der Organismus eines Verses, der inseiner Umgebung erstirbt, zu retten gewesen wäre“.

Sie schreiben: „Aber welche Lächerlichkeit, da voneiner ‚Vergewaltigung‘ des Autors zu reden, und wie sinnlos dieserAnwurf von einem, der es sich als ein wahrhaftiges Verdienst (undes kann eines gewesen sein!) anrechnet, die Manuskripte, die ihm zugegangen sind, nach Herzenslust verändert und korrigiert zuhaben!“ Es ist unwahr, dass Karl Kraus es sich als Verdienst an-rechnet, die Manuskripte, die ihm zugegangen sind, nach Herzenslustverändert und korrigiert zu haben. Wahr ist, dass eine Veränderungund Korrektur nur dann erfolgt ist, wenn der Autor damit einver-standen und nicht, wenn es ihm gerade um die zu streichende Stelle

zu tun war, in welchem Falle die Ablehnung des Manuskriptes erfolgtwäre.

Rekommandiertmit Rückschein.

KrausArb.Ztg. VIexp. 16.3.29