127.6 Ausführung der Berufung

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 10. Juni 1929
Seite von 4

G.Z. 1 U 187/29

An dasStrafbezirksgericht IWien.

Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.,Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3.durch:

Beschuldigter: Dr. Julian Sternberg, verantwortlicherRedakteur der „Neuen Freien Presse“ in WienIII., Lagergasse Nr. 1,wegen § 23/24 Pr.G. 1 fach30 Beilagen.

Ausführung der Berufung.

Gegen das freisprechende Urteil des Straf-bezirksgerichtes I vom 28. Mai 1929 G.Z. 1 U 187/29/3 habe ichdie Berufung wegen Schuld, Freispruch und Nichtigkeit angemeldetund um Zustellung einer Urteilsausfertigung an meinen Vertreterzur Ausführung der Berufung gebeten. Die Urteilsausfertigungwurde am 1. Juni 1929 zugestellt.

Fristgerecht erstatte ich folgendeAusführung der Berufung.

Ich mache die Nichtigkeitsgrunde des§ 468, Ziffer 2 und 3 (§ 281, Ziffer 4, 5 und 9a) St.P.O. geltend.

Das Gericht erster Instanz begründet seinenFreispruch damit, dass es der Ansicht sei, die verlangte Berich-tigung entspreche nicht den pressgesetzlichen Bestimmungen überdas Berichtigungsrecht, weil in der berichtigten Stelle nicht davondie Rede sei, dass an diesem Tage lediglich der Lieder-abend Jessie King und nicht auch andere Veranstaltungen im Kon-zerthause stattfanden. Diese Begründung steht mit dem Texte derBerichtigung, also mit dem Inhalt einer bei den Akten befindlichenUrkunde in erheblichem Widerspruch. Die Berichtigung behauptetgar nicht, dass in der berichtigten Stelle davon „die Rede ist“,dass an diesem Tage lediglich der Liederabend Jessie King undnicht auch andere Veranstaltungen im Konzerthause stattfanden,sondern, dass in der in der „Neuen Freien Presse“ vom 29. April veröffentlichten Ankündigung die Mitteilung enthalten ist, dassan diesem Tage im Wiener Konzerthaus lediglich dieser Liederabendstattfand. Das ist ein grosser Unterschied. Es war wohl nichtdavon die „Rede“, aber dennoch war in der Ankündigung „diese Mit-teilung enthalten“. Jeder Zeitungsleser wird die Mitteilung desausschliesslichen Vortrages im Kleinen Saal aus der Art der An-kündigung herauslesen. Denn die Presse hat im Annoncenteil es garnicht notwendig, das Wort lediglich zu verwenden, die AnkündigungWiener Konzerthaus, Kleiner Saal“ ist eben die Ausdrucksform, inder sie die Mitteilung macht, dass nur im Kleinen Saal eine Ver-anstaltung stattfindet. Nun ist selbstverständlich, dass auch

eine in einem Bericht enthaltene, wenn auch nicht wörtlichausgedrückte Mitteilung der Berichtigung fähig ist, zum Nach-weis des Umstandes, dass sämtliche Veranstaltungen des Konzert-hauses veröffentlicht wurden und lediglich die Veranstaltungdes Privatanklägers von der „Neuen Freien Presse“ aus dem ihrzugekommenen Bericht ausgemerzt wurde, habe ich die Anfrage andie Direktion des Wiener Konzerthauses beantragt. Die Antworthätte ergeben, dass die „Neue Freie Pressebewusst den Berichtverkürzt hat und ohne dies auszudrücken. Es wäre ihr selbstver-ständlich freigestanden, auch lückenhafte Ankündigungen derVeranstaltungen zu veröffentlichen. Wenn sie dies aber tat, muss-te sie den Leser darauf aufmerksam machen, dass ihm ein lücken-hafter Bericht vorgelegt wird. Der Zeitungsleser konnte niemalsdarauf kommen, dass dies der Fall ist. Ich lege das Programm desKonzerthauses für den Monat April und sämtliche Konzerthausan-kündigungen der „Neuen Freien Presse“ vor. Es ergibt sich auseinem Vergleich der Ankündigung in der „Neuen Freien Presse“ mitdem Konzerthausprogramm, dass alle Veranstaltungen, auch solchedie in eine Anzeigenrubrik für künstlerische Veranstaltungeneigentlich nicht gehören, aufgenommen wurden. Dadurch wird derNachweis verstärkt, dass der Zeitungsleser unbedingt den Eindruckhaben muss, dass die angekündigten Veranstaltungen lediglich die sind, welche auch wirklich abgehalten wurden.

Ich möchte das Gericht besonders auf folgendeAnkündigungen von Veranstaltungen hinweisen:

13. April 1929, Hausfrauennachmittag des Ullstein-Verlages,19. April bis 22. April 1929, Röntgenologenkongress,28. April 1929, Veranstaltung der Bundesrealschule 4. Bezirk und Schülerabend Poldi Schimon.Wenn schon derartige unbedeutende Veranstaltungen in dem An-kündigungsprogramm enthalten sind, wie sollte ein Leser auf denGedanken kommen, dass irgend eine Veranstaltung ausgemerzt wurde.

Auch der Vergleich der Ankündigung der „NeuenFreien Presse“ mit der des „Neuen Wiener Tagblattes“ zeigt deut-lich, dass beide Ankündigungen den gleichen Anschein der Voll-ständigkeit erwecken. Noch mehr auffallend ist dies, wenn man

sich vorstellt, dass ein Zeitungsleser beide Ankündigungen zu-sammen liest. Er muss dann unbedingt den Eindruck empfangen, dassdie Vorlesung Karl Kraus abgesagt wurde.

Es ist also klar, dass in der Ankündigung vom29. April 1929 die Mitteilung enthalten war, dass an diesem Taglediglich im Kleinen Saal des Wiener Konzerthauses der Lieder-abend Jessie King stattfand. Die Berichtigung war demnach voll-kommen dem Gesetz entsprechend.

Ich beantrage durch meinen bereits ausgewiesenenAnwalt der Berufung Folge zu geben, das Urteil abzuändern, denverantwortlichen Redakteur zu bestrafen und auf Veröffentlichungder Berichtigung zu erkennen; ferner auch die Verpflichtungdes Beschuldigten und zur ungeteilten Hand mit ihm des Eigen-tümers Oesterreichische Journal A.G. Wien I., Fichtegasse Nr. 11,und des Herausgebers Dr. Ernst Benedikt Wien I., Fichtegasse Nr. 11 zum Ersatz der Verfahrenskosten auszusprechen.

Karl Kraus.

Neue Freie Presse exp. 10.6.29