127.4 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (G.Z. U 187/29, Richter: Christoph Höflmayr)

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Datum: 28. Mai 1929
Stempel: Strafbezirksgericht I
Seite von 2

1 U 187/293

Im Namen der Republik!

Das Strafbezirksgericht I in Wien als Pressegericht hat heute inGegenwart des Privatanklagevertreters Dr. Oskar Samek und des AngeklagtenKarl Kraus gegen Dr. Julian Sternberg, 60 Jahre alt, verh.hatte und über der vom Ankläger gestellten Antrag auf Bestrafung des Besch. und Verpflichtung zur Veröffentlichung der Berichtigung in der Zeitung:Neue Freie Presse“ zu Recht erkannt:

Dr. Julian Sternberg wird von der wider ihn erhobenen Anklage,er habe im Mai 1929 in Wien, als verantwortlicher Schriftleiter der Zei-tung: „Neue Freie Presse“ sich grundlos geweigert, die von Dr. Oskar Samek verlangte Berichtigung von in der Nummer 23212 der genannten Zeitung vom29. April 1929 in der Ankündigung: „Wr. Konzerthaus. Kleiner Saal: Jessie King.Liederabend. Halb 8 Uhr“ mitgeteilten Tatsachen zu veröffentlichen, gem.§ 259/3 St.P.O. freigesprochen.

Gem. § 390 St.P.O. hat der Privatankläger die Kosten das Straf-verfahrens zu ersetzen.

Entscheidungsgründe.Durch das Impressum, bezw. die Angaben des Beschuldigten ist erwie-sen, dass der Beschuldigte während der in Betracht kommenden Zeit der ver-antwortliche Schriftleiter der Zeitung: „Neue Freie Presse“ war, dass er dasBerichtigungsschreiben vom 13. Mai erhalten hat und dass seither mehr als 2Nummern der genannten Zeitung erschienen sind, die verlangte Berichtigung aber nicht veröffentlicht wurde.

Das Gericht hatte zu prüfen, ob die Weigerung des Beschuldigten,die Berichtigung zu veröffentlichen grundlos war.

Das Gericht ist der Ansicht, dass die verlangte Berichtigung denpressgesetzlichen Bestimmungen über das Berichtigungsrecht nicht entspricht,weil in der berichtigten Stelle nicht davon die Rede ist, dass an diesemTage lediglich der Liederabend Jessie King und nicht auch andereVeranstaltungen im Konzerthause stattfanden.

Da somit eine Berichtigung von gar nicht mitgeteilten Tatsachen verlangt wurde, war der Beschuldigte berechtigt die Veröffent-lichung zu verweigern.

Da somit ein strafbarer Tatbestand nicht gegeben ist, war der Beschuldigtegem. § 259 St.P.O. freizusprechen.

Gem. § 390 St.P.O. war als Folge des Freispruches dem Privatankläger der Ersatz der Kosten des Strafverfahrens aufzuerlegen.

Wien, am 28. Mai 1929Kahlert

B.Kosten einbringlich.

Wien, am 28. Mai 1929.Kahlert

KrausNeue Freie Presse1. JUNI 1929