130.15 Brief Otto Schabbel an RA E. Lion

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Otto Schabbel
Speersort
Hamburg
Datum: 26. Juli 1929

Empfänger

An: Herrn Rechtsanwalt | Dr. Lion
Gänsemarkt
Hamburg
Seite von 3

Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt!

in der Privatklagesache des Schriftstellers KarlKraus gegen mich möchte ich, bevor ich mich auf die Privat-klage dem Gericht gegenüber erkläre, Ihnen Folgendes unterbrei-ten:

Ich habe erst jetzt zur Vorgeschichte der infragestehenden Angelegenheit die Vossische Zeitung vom 3. November1928 (No. 259) und vom 1. März 1929 (No. 51) erhalten. Ausdiesen geht hervor, dass der Referent der beanstandeten Kritiküber die Dresdner Uraufführung des von Karl Kraus verfasstenStückes „Die Unüberwindlichen“ sich in einem Irrtum befundenhat, da in diesen Aufsätzen von Otto Ernst Hesse (PseudonymMichael Gesell) Karl Kraus nicht als Plagiator hingestelltwird, sondern als Verteidiger eines Plagiats, begangen an einemlyrischen Gedicht, das nach der einen Version von Otto ErnstHesse, nach der anderen aber von einem Insassen der CzernowitzerLandesirrenanstalt oder von Paul Zech verfasst sein soll.

Ich stehe daraufhin nicht an, in meiner Eigenschaft

als Feuilleton-Schriftleiter der „Hamburger Nachrichten“ zuerklären, dass die in der fraglichen Kritik veröffentlichte Be-hauptung, wonach Karl Kraus vor einem Plagiatsvorwurf Otto ErnstHesses nicht gerade rühmlich bestanden haben soll, unwahr ist,und ich bin bereit, diese Erklärung im Feuilleton-Teil derHamburger Nachrichten“ zu veröffentlichen.

Es liegt weder eine böswillige noch eine fahrlässi-ge Beleidigung des Schriftstellers Karl Kraus durch mich vor; ichhabe nicht das geringste Interesse daran, Herrn Karl Kraus einerunehrenhaften Handlung zu bezichtigen; wenn ich den Wortlautder mir eingesandten Kritik unseres Dresdner Mitarbeiters nichtbeanstandet habe, so geschah es deshalb, weil dieser, der vorseiner Dresdner Tätigkeit mehrere Jahre im Redaktionsstabe derHamburger Nachrichten“ tätig gewesen ist, mit als eine durch-aus vertrauenswürdige Persönlichkeit hinreichend bekannt war,als dass ich in die Glaubwürdigkeit seiner Mitteilungen auchnur allergeringste Zweifel setzen zu müssen glaubte. Ich habedarum diesen – Dr. phil. Egon Erich Albrecht, Pirna/Sa, Reichstr. 4als den Autor des inkriminierten Vorwurfs bereits aufgefordert,die Angelegenheit durch ein persönliches Schreiben an denSchriftsteller Karl Kraus aufzuklären und beizulegen.

Da der fragliche Artikel mit „Dr. Albrecht“ ge-zeichnet war, dürfte eine ausdrückliche Zurücknahme der darinaufgestellten Behauptung nur durch Herrn Dr. Albrecht selbstdie gewünschte Rehabilitierung bewirken, die wir gegebenenfallszu veröffentlichen nunmehr selbstverständlich bereit sind.

Ich hoffe, dass es unter diesen Umständen nicht erstzu einer Klage, auch nicht zu einer Schadensersatzklage, wie siemir und Herrn Dr. Hartmeyer ebenfalls bereits zugestellt ist,zu kommen braucht, und darf Sie bitten, sehr geehrter HerrDoktor, mir Ihre Rückäusserung nach Fühlungnahme mit HerrnKraus vor Ablauf der mir vom Gericht gestellten Erklärungsfrist(möglichst bis zum 3. August) zukommen zu lassen.

Mit vorzüglicher Hochachtunggez. Otto Schabbel Feuilleton-Schriftleiterder Hamburger Nachrichten.