134.28 Brief Franz Leschnitzer an Samek

Materialitätstyp:

  • Manuskript

Sender

Franz Leschnitzer
Rosenheimer Straße 11 | bei Schneider
Berlin W.30
Datum: 10. September 1930

Empfänger

An: Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor Samek!

Mit dem besten Dank für Ihren freund-lichen Brief vom 8. September teile ich Ihnenmit, daß ich Ihnen das Ergebnis meiner Un-tersuchung der Mitarbeit des Herrn Dr. Pisk ander hiesigen reaktionären Presse bis zum 25.September bekanntgeben werde. Die deutsch-nationalen Blätter, an denen der Herr als Mu-sikkritiker mitarbeiten soll, sind der ‚Lokal-Anzeiger‘ und die ‚Berliner Börsen-Zeitung‘;diese (mit dem liberalen ‚Berliner Börsen-Couriernicht zu verwechseln, aber oft verwechselt)ist noch nationalistischer als jener. Ichwerde mir die letzten Monatsbände beider Blättermorgen in der Staatsbibliothek bestellen.

Gleichzeitig werde ich nochmals ver-suchen, den Verlag des Regensburger’schen Buches über den preßgesetzlichen Berichtigungszwangzu eruieren, um Ihre alte Bitte endlichzu erfüllen. Das Buch ist weder in der Hand-

bibliothek des Juristischen Seminars noch inder Universitätsbibliothek vorhanden, und dieStaatsbibliothek hatte es schon verliehen, sooft ichsie um seine Verleihung ersuchte. Inzwischenist in dem zweiten Bande des SammelwerksRecht und Staat im neuen Deutschland /Vorlesungen, gehalten in der Deutschen Vereini-gung für staatswissenschaftliche Fortbildung(Herausgeber: Dr. Bernhard Harms, o. Prof. ander Universität Kiel; Verlag Reimar Hob-bing, Berlin 1929) von dem Ministerialratim Reichsministerium des Innern Dr. KurtHäntzschel eine höchst bedeutsame preß-rechtliche Arbeit veröffentlicht worden, ausder ich die folgenden Darlegungen überden „Begriff der tatsächlichen Mitteilung“(Seite 262) für Sie exzerpiert habe:

Der Tatsachenbegriff des Preßgesetzesist der gleiche, wie er im Straf-recht, z.B. bei den §§ 131 und186 des StGB, entwickelt wordenist. Tatsache ist alles, was sinnlich

wahrgenommen und nach festem ob-jektiven Maßstab seinem Wesen nachbestimmt werden kann. Die Tatsachesetzt also etwas Geschehenes oder Be-stehendes voraus, das in Erscheinunggetreten und dadurch Gegenstand mensch-licher Wahrnehmung geworden ist.Tatsächlich ist mithin nicht alles,was ist, sondern nur das, was gleich-zeitig wahrnehmbar und daher –wenn auch vielleicht nicht im Ein-zelfalle, so doch mindestens ge-meinhin – dem Beweise zugäng-lich ist. Mitgeteilte Tatsachen könnennicht nur Mitteilungen über Vorgänge,z.B. ein Tun, ein Unterlassen oderein Erlebnis, sondern auch solche sein, die lediglich einen Zustandoder eine Eigenschaft behaupten.Die Behauptung, daß jemand roteHaare habe, ist z.B. ebenso be-richtigungsfähig wie die, daß er

sich täglich im Rauschzustand be-finde oder eine bestimmte Tatbegangen habe. Wo sich der Sitzoder Schauplatz der wahrnehmbarenTatsache befindet, ist grundsätzlichbedeutungslos, so daß auch Mittei-lungen über Vorgänge oder Zuständeim Innern eines Menschen tat-sächlicher Natur sein können, so-fern sie entweder äußerlich wahr-nehmbar sind oder nur einen Be-gleitzustand einer äußerlichwahrnehmbaren Handlung dar-stellen, z.B. die Absicht, die je-mand bei einer Handlung inner-lich gehabt hat.

Die von mir unterstrichenen Stellen dieses Zi-tats weichen von den bekannten Darlegungendes Kitzinger’schen Kommentars über dasgleiche Thema zweifellos vorteilhaft ab;deshalb wird das Zitat Sie vielleicht in-teressieren.

– Mit herzlichen Grüßen für Herrn Krausund für Sie: Ihr ergebener Franz Leschnitzer.

KrausDr. Pisk12. SEP 1930