136.6 Brief Botho Laserstein an die Volksbühne Berlin

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen
  • Kopie

Schreiberhände:

  • Botho Laserstein, schwarze Tinte

Sender

Dr.jur. Botho Laserstein
Landsberger Allee 55
Berlin N O 18
Datum: 1. November 1929

Empfänger

An: die | Direktion der Volksbühne
Linienstr
Berlin C
Seite von 5

Unkorrigiert!

Namens und im Aufträge meines Mandanten, HerrnSchriftsteller Karl Kraus aus Wien III, HintereZollamtsstrasse 3, habe ich Ihnen folgendes mit-zuteilen:

Zwischen Ihnen und meinem Mandanten bestehtder Aufführungsvertrag bezüglich des DramasDIE UNÜBERWINDLICHEN“. Nach § 2 des Vertrages haben Sie sich verpflichtet, das Werk in IhremTheater aufzuführen. In § 3 des Vertrages istder Erstaufführungstermin festgelegt, der in derZeit bis 1. Januar 1930 liegen mußte. In diesenParagraphen wird von einer „ersten Aufführungund auch davon gesprochen, daß „zunächst“ eineMatinee stattfinden sollte. Beweist schon dieseserste Aufführung“ in Verbindung mit „zunächstdaß noch weitere Aufführungen folgen solltenund das Wort „Matinee“, daß diese späteren Auf-führungen keine Matineen sondern Abendvorstellungen

sein sollten, so wird dieser übereinstimmende Willebeider Parteien, der im Vertrag klaren Ausdruck ge-funden hat, in dessen § 6 zur Evidenz erhoben. Heißtes doch dort unter der Überschrift „Dauer des Ver-trages“: „Der Vertrag ist bis zum 1. Januar 1931abgeschlossen.“ Wenn nur eine Aufführung erfolgensollte, die eine Matinee, und bis zum 1. Januar 1930absolviert war, dann braucht der Vertrag nicht biszum 1. Januar 1931 abgeschlossen zu sein, endetevielmehr automatisch mit dem 10. Februar 1930, daja die Abrechnung der 1. Matinee spätestens bisdahin erledigt sein mußte (§ 5 des Vertrages) undweitere Vertragsbeziehungen unter den Parteien dannja nicht mehr bestanden hätten. Dazu kommt, daßnach der Berliner Theater-Usance ein Werk aufführenheißt: es sind Serienaufführungen herauszubringen,zumal wenn das Werk einen solchen Theater- und Presse-erfolg hat, wie die „UNÜBERWINDLICHEN“, einen Erfolg,den Sie selbst in den Plakaten der auffälliger- undmerkwürdigerweise abzusetzenden Sonntagsvorstellungals ungewöhnlich bezeichnet haben.

Mein Mandant hat also einen klaren Rechtsanspruchgegen Sie, der dahin geht, daß die Aufführungseines Werkes in der Zeit bis 1. Januar 1931 mehr-fach und serienmäßig wiederholt wird, daß der

„ersten Aufführung“ in Form einer Matinee weitereAufführungen als Abendvorstellungen folgen. DiesenAnspruch macht mein Mandant hiermit gegen Sie geltendund fordert Sie durch mich auf, binnen 3 Tagen d.h.bis spätestens zum 5. d.Ms. mittags 12 Uhr anzu-erkennen, daß Sie diesen seinen Rechtsanspruchrespektieren und dieser Ihrer Vertragspflichtnachkommen werde. Dieses sofortige Anerkenntniskann mein Mandant von Ihnen fordern, weil Sie dieVornahme weiterer Aufführungen seines Stückesbereits abgelehnt und die Sonntagsaufführung unterunzulänglichem Vorwand abgesetzt haben. Diese Ablehnungund Absetzung stellt aber bereits eine gröblicheVertragsverletzung dar. Demgemäß fordere ich Siehiermit gleichzeitig auf, an meinen Mandanten binnender Ihnen oben gesetzten Frist die vereinbarte Ver-tragsstrafe von 600,– RM zu zahlen. Mein Mandant be-hält sich aber auch schon jetzt seinen Anspruch aufVertragserfüllung und auf Schadensersatz wegen derbisherigen Vertragsverletzungen insbesondere wegender rechtswidrigen, grundlosen und ungehörigenAbsetzung des Stückes vom Spielplan des nächsten

Sonntags, die abgesehen von der künstlerischen Schä-digung auch eine schwere politische Diskreditierungmeines Mandanten bedeutet, ausdrücklich vor.

Mein Mandant verlangt von Ihnen ferner binnender gleichen Frist die Zahlung einer weiteren Ver-tragsstrafe von 600– RM, weil Sie sich im Sinnedes § 8 des Aufführungsvertrages einer weiterengröblichen Verletzung schuldig gemacht haben. Siehaben, entgegen § 9 des Vertrages – Der Vertrag stellt eine Einheit dar, § 8 deckt § 9 – entgegender ausdrücklichen Bestimmung, „Änderung nur mitZustimmung meines Mandanten vorzunehmen“, ohne Zu-stimmung meines Mandanten Änderungen und Kürzungenvorgenommen, sogar so erheblich und sinnwidrig,daß der stärkste Akt des Dramas völligzerstört und von einer Kritik, die bedenklicherweisenicht die Buchausgabe zum Vergleiche heranzog, undvom Publikum mit Recht als der Schwächste empfundenwurde. Auch wegen dieser Schädigung behält sich meinMandant seinen Anspruch auf Schadensersatz darüberhinaus aber auch den auf Vertragserfüllung durchVornahme einer ordnungsmäßigen, § 9 des Vertrages respektierenden, Erstaufführung ausdrücklich vor.

Ich weise daraufhin, daß ich bereits Auftrag zurKlageerhebung, auch wegen der meinem Mandanten bei

mir entstandenen Gebühren und Spesen für diesesSchreiben, habe. Ich werde mich dieses Auftragesentledigen, falls meine Forderungen nicht frist-gemäß von Ihnen erfüllt und falls nicht vonIhnen binnen der gesetzten Frist d.h. bis zum5. d.Ms. mittags 12 Uhr meine Gebühren und Spesenin Höhe von 55.– RM (Obj. 600.– + 600.– + unschätzbar= 2000.– = 3200.– RM) beglichen werden.

HochachtungsvollRechtsanwalt