139.9 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (G.Z. 1 U 456/29, Richter: Christoph Höflmayr, Verteidiger: Robert Brunner)

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Datum: 3. Dezember 1929
Stempel: Strafbezirksgericht I
Seite von 4

Geschäftszahl 1 U 456/29/10

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Vor dem Strafbezirksgericht I in Wien als Pressegericht hatheute in Abwesenheit:des Privatanklägers Karl Kraus und in Gegenwart dessen Vertreters Dr. Oskar Samek,in Abwesenheit des Angeklagten Dr. Desiderius Papp undln Anwesenhelt des Verteidigers Dr. Robert Brunner über die Anklage verhandelt worden, die der Privatankläger gegen Dr.Desiderius Papp, 34 Jahre alt, ledig, verantwortlicher Schriftleiter desNeuen Wiener Journalwegen der Übertretung nach § 30 Pressgesetz erhoben hatte. Über den vomAnkläger gestellten Antrag auf Bestrafung des Angeklagten, Verpflicht-tung zur Veröffentlichung des Urteiles im „Neuen Wiener JournalVerfall der Nummer 12858 vom 8.9.1929 und Nummer 12861 vom 11.9.29.und Ersatz der Kosten des Strafverfahrens zur ungeteilten Hand mit demHerausgeber und Eigentümer der Zeitung „Neues Wiener Journal“ hat dasGericht zu Recht erkannt:

Der Angeklagte Dr. Desiderius Papp ist schuldig, er habeim September 1929 in Wien als verantwortlicher Schriftleiter der Zei-tung „Neues Wiener Journal“ bei Aufnahme der Stelle „Kapituliert hatschließlich das rote Revolverschmökchen Karl Kraus, der sich in denGroßkampftagen gegen Schober an die Rockschösse der marxistischen Ver-leumder hing, aber sehr bald schon, als er in einem publizistischenWettstreit mit dem Steinhofer ‚Goldfüllfederkönig‘ geriet, aus derSchlachtarena schlich.“ in der Nummer 12858 vom 8.9.1929, und der Stelledass der Privatankläger zwei Jahre hindurch dem damaligen Polizeipräsi-denten Schober als „Arbeitermörder“ und „Bluthund“ geschildert habe undnun vor eben diesem Schober auf den Knien liege und ihn als Retter desVaterlandes preise, in der Nummer 12861 vom 11.9.1929, des „Neuen

Wiener Journals“ in den Aufsätzen „Genossen unter sich!“, derenInhalt das Vergehen gegen die Sicherheit der Ehre nach §§ 488, 491 STG. begründet jene Aufmerksamkeit vernachläßigt, bei deren pflichtgemäßeAnwendung die Aufnahme des strafbaren Inhaltes unterblieben wäre.

Er hat hiedurch die Übertretung nach § 30 Pressgesetz begangenund wird hiefür nach dieser Gesetzesstelle zu einer Geldstrafe vonS 100.– (Einhundert Schilling)im Nichteinbringungsfalle zu einer Arreststrafe in der Dauer von dreiTagen und gemäß § 389 STPO. zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrensverurteilt.

Der Angeklagte wird gemäß § 43 (1) Pressgesetz verpflichtet, diesesUrteil spätestens in der zweiten Nummer der Zeitung „Neues Wiener Jour-nal“, die nach Rechtskraft dieses Urteiles erscheinen wird in der im§ 23 Pressgesetz vorgeschriebenen Weise zu veröffentlichen, widrigenfallsdie genannte Zeitung nicht mehr erscheinen dürfte.

Gemäß § 41 (1) Pressgesetz werden die Nummer 12858 vom 8.IX.1929 und die Nummer 12861 vom 11.IX.1929 der Zeitung „Neues Wiener Journalfür verfallen erklärt.

Gemäß § 5 (2) Pressgesetz haftet die Firma Lippowitz & Co., alsEigentümer und Herausgeber der genannten Zeitung für die Geldstrafe unddie Kosten des Strafverfahrens zur ungeteilten Hand mit dem Verurteilten.

Entscheidungsgründe:Durch das Impressum, bezw. die Angaben des Beschuldigten vor demUntersuchungsrichter ist erwiesen, daß der Beschuldigte der verantwort-liche Schriftleiter der Nummer 12858 vom 8.IX.1929 und Nummer 12861vom 11.IX.1929 der Zeitung „Neues Wiener Journal“ war, in denen unter derÜberschrift: „Genossen unter sich!“ Aufsätze erschienen sind, die die imUrteilsspruche zitierten Stellen enthalten.

Diese Stellen beinhalten in ihrer Gänze den Tatbestand des Verge-hens gegen die Sicherheit der Ehre nach § 488, 491 STG.

Die Stelle, dass Karl Kraus kapituliert hat, müßte an sich keineBeleidigung im Sinne des STG. sein, doch ergibt sich aus dem Zusammen-hang mit den nachfolgenden Stellen der Vorwurf, daß er eine nicht auseinwandfreien Motiven begründete Gesinnungsänderung an den Tag gelegthabe, eine soche Beschuldigung beinhaltet den Vorwurf einer bestimmtenunehrenhaften, bezw. unsittlichen Handlung, welche Beschuldigung geeignet

ist, den Privatankläger in der öffentlichen Meinung verächtlich zu ma-chen oder herabzusetzen (§ 488 STG.).

Durch die übrigen Stellen: „dass er ein Revolverschmöckchen sei,dass er sich in den Großkampftagen gegen Schober an die Rockschöße dermarxistischen Verleumder hing,“ „daß er in einem publizistischen Wett-streit mit dem Steinhof ‚Goldfüllfederkönig‘ geriet“, „daß er sich ausder Schlachtarena geschlichen hat,“ „daß er zwei Jahre hindurch dendamaligen Polizeipräsidenten Schober als ‚Arbeitermörder‘ und ‚Blut-hund‘ geschildert habe und nun vor eben diesem Herrn auf den Knien lie-ge, und ihn als Retter des Vaterlandes preise“ beinhalten ebenfallseines Beleidigung im Sinne der §§ 486 und 491 STG. Es ist gerichtsbe-kannt, daß der sogenannte „Goldfüllfederkönig“ sich in den letzten Jahrenwiederholt dadurch unliebsam gemacht hat, daß er Mitteilungen an dieBehörden machte, durch die die Behörden irrregeführt wurden. Wenn demPrivatankläger vorgeworfen wird, daß er mit ebendiesem Manne in einempublizistischen Wettstreit geriet, wird der Privatankläger hiedurch demöffentlichen Streite ausgesetzt (§ 491 STG.). Der Vorwurf „dass er ein ro-tes Revolverschmöckchen sei“ beinhaltet eine Verspottung im Sinne des§ 491 STG., desgleichen der Vorwurf „daß er sich in den Großkampftagenan die Rockschöße der marxistischen Verleumder hing“. Die Behauptungdaß er sich aus der Schlachtarena geschlichen hat,“ und „dass er zweiJahre hindurch Schober als Arbeitermörder und Bluthund geschildert habeund nun von ebendiesem Schober auf den Knien liege und ihn als Retterdes Vaterlandes preise“ beinhaltet die Beschuldigung eines unbegründe-ten Gesinnungswechsels aus nicht entscheidbaren Motiven, (§ 488 STG.).

Bei der Strafbemeßung war erschwerend der Umstand, daß der Ange-klagte wegen desselben Deliktes bereits zweimal vorbestraft ist, alsmildernd kam kein Umstand in betracht.

Die über den Angeklagten Desiderius Papp verhängte Strafe er-scheint daher dessen Verschulden angemeßen.

Über Antrag des Privatanklagevertreters wurde der Beschuldigte gemäß § 43 (1) Pressgesetz zur Veröffentlichung des Urteiles in derZeitung „Neues Wiener Journal“ verpflichtet und gemäß § 41 (1) Press-gesetz der Verfall der Nummer 12858 vom 8.IX.1929 und Nummer 12861 vom11.IX.1929 der Zeitung „Neues Wiener Journal“ ausgesprochen.

Die übrigen Entscheidungen stützen sich auf die Gesetzes-stellen.

Wien, am 3. Dezember 1929Der RichterKahlert

KrausNeues Wr. Journalwg. Ehrenbelei-digung7. DEZ. 1929