145.6 Brief RA H.H. Bernstein an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

Dr. H.H. BERNSTEIN
Briennerstraße 8 A
MÜNCHEN 2 NW 5
Datum: 23. Mai 1930

Empfänger

An: Herrn | Rechtsanwalt Dr. Oskar Samek
Hintere Zollamtsstraße
Wien
Seite von 2

Sehr geehrter Herr Kollege!

In Sachen Karl Kraus ./. Stadttheater Augsburg kommeich auf mein Schreiben vom 16. ds.Mts. zurück und gestatte mir zubemerken:

1) Die Schadensersatzforderung – und nur um diese kann essich handeln – ist meines Erachtens in erster Linie gegen dasStadttheater Augsburg zu richten und nicht gegen die AugsburgerVolksbühne, welche sozusagen nur Abnehmer der vom Stadttheater gestellten Aufführung war. Ich glaube sogar, dass im Streitfalledie Passivlegitimation der Augsburger Volksbühne an sich verneintwürde.

2) Die Verletzung der Rechte des Mandanten ist zweifellosgegeben. Eine Unterlassungsklage wegen weiterer Rechtsverletzungenkommt aber nicht in Frage, da solche nicht zu befürchten sind, dieWiederholungsgefahr vom Kläger in keiner Weise glaubhaft gemachtwerden könnte.

Es bleibt also nur der Schadensersatzanspruch. Dieser dürftenach folgenden Gesichtspunkten zu bemessen sein:

Welchen Betrag hätte das Stadttheater Augsburg unternormalen Umständen aufwenden müssen, um von dem Berechtigten,das ist wohl vom Mandanten, die Erlaubnis zur Aufführung dergebrachten Szenen zu erwerben?

Einen Punkt muss ich noch hervorheben: Falls Mandant Die letzten Tage der Menschheit“ in Verlag gegeben odereinem Theatervertrieb übertragen hat, ist noch die Frage derAktivlegitimation zu prüfen, d.h. es wäre dann nicht Mandant selbst,sondern der Verlag berechtigt den Schadensersatzanspruch geltendzu machen.

Vorerst wäre ich dafür, an das Stadttheater heranzutreten,wie Sie es bereits getan haben und 100.– RM zu Gunsten der Kriegs-blinden zu verlangen. Ich ersuche jedoch noch höflichst um Ihregefl. Rückäusserung.

Abschrift für Mandanten liegt an.

Mit vorzüglicher Hochachtungergebener KollegeDr. HH Bernstein Rechtsanwalt.

KrausAugsburgerStadttheater26. MAI 1930