166.13 Brief Ruth Seydewitz an Kraus

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Ruth Seydewitz
Hohenzollern Korso 67
Berlin-Tempelhof
Datum: 14.10.1931

Empfänger

An: Karl Kraus
Hintere Zollamtsstraße
III., Landstraße
Seite von 2

Abschrift

Sehr verehrter Herr Dr. Kraus,

Sie werden sich wundern, von einem Ihnen ganzfremden Menschen einen Brief zu erhalten. Zunächst einmalmöchte ich Ihnen sagen, daß ich Sie aus Ihren Vorlesungen inWien gut kenne, da ich längere Zeit in Wien wohnte. Auch IhreZeitschrift „Die Fackel“ ist mir von dorther gut bekannt. –Weiter möchte ich Ihnen aber mitteilen, daß ich die Geschäfts-führerin der Freien Verlagsgesellschaft bin, die die Ihnen in-zwischen auch bekanntgewordene Wochenzeitung „Die Fackelherausbringt.

Ihre politische Einstellung ist mir aus IhrenSchriften und Vorlesungen bekannt. Ich weiß, daß Sie die glei-chen Ziele verfolgen wie wir. Ich weiß auch genau, daß Sieuns durch Ihren Einspruch gegen die Führung des Namens „DieFackel“ keinerlei Unannehmlichkeiten machen wollten. Der Er-folg ist jedoch gerade das Gegenteil. Im Augenblick, wo esgalt, gegen die Politik der SPD, gegen die Bonzokratie inner-halb der Partei aufzutreten, wäre uns die Möglichkeit dazubeinahe genommen worden, wenn wir nicht durch einen Zufallvon Ihrem Einspruch Kenntnis erhalten hätten. Sie können sichvorstellen, welch unermeßlicher Schaden das für unsere Bewe-gung gewesen wäre. Nun liegt die Sache aber auch so, daß un-sere Zeitung unter dem Namen „Fackel“ in ganz Deutschland sobekannt geworden ist, daß eine Änderung des Namens eine großeSchwächung bedeuten würde. Ich kann nicht annehmen, daß Siedies bezwecken. Ich weiß im Augenblick auch nicht, wie dierechtliche Grundlage dafür ist, ich habe im Augenblick nurden Wunsch, mich mit Ihnen über die Sache zu verständigen.

Wenn es Ihnen, sehr verehrter Herr Dr. Kraus,deshalb irgend möglich ist, so bitte ich Sie ganz dringend,mir eine Nachricht zukommen zu lassen und mir mitzuteilen,ob nicht doch die Möglichkeit besteht, zu einer gütlichenEinigung zu kommen. Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar,wenn Sie dies bald tun würden.

Mit vorzüglicher HochachtungRuth Seydewitz

17. OKT. 1931KrausSoz. Wochenschrift „Die Fackel“