173.4 Brief Verlag Die Fackel an Deutsches Theater Prag

Materialitätstyp:

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Sender

Verlag „Die Fackel“
Hintere Zollamtsstraße
III., Landstraße
Datum: 22. Januar 1932

Empfänger

An: die Direktion | des Deutschen Theaters
Prag XII
Seite von 2

Hochgeehrter Herr!

In Vertretung des Herrn Karl Kraus, der noch verreist ist,teilen wir Ihnen mit dessen bestem Dank für Ihre freundliche Zuschriftdas Folgende als Antwort mit: Herrn Karl Kraus ist es nicht ganz klar,wie Sie sich seine künstlerische Einflußnahme, mit der er Ihnen für dieAufführung der Madame l’Archiduc an die Hand gehen soll, vorstellen.Sie fragen, ob es möglich ist, daß er „schon bei den letzten Proben an-wesend sei“. Ein künstlerischer Einfluß wäre aber in diesem letztenStadium kaum mehr geltend zu machen, vielmehr wäre zu solchem Zweckedie Anwesenheit schon bei den ersten Proben, das heißt beim Arrangementnotwendig, da von diesem die sprachliche Gestaltung wesentlich abhängenkönnte. Sie gehen aber von dem Wunsch aus, Herrn Karl Kraus bei der Premiereanwesend zu sehen, und meinen offenbar, daß kurz vorher sich die Ge-staltung noch beeinflussen ließe. Herr Karl Kraus bedauert, diese Mei-nung nicht teilen zu können, und er ist nicht in der Lage, einer Auf-führung offiziell beizuwohnen, auf die er keinen Einfluß zu nehmen ver-mocht hat. Sie haben das Werk von der Universal-Edition erworben und indem Vertrag des deutschen Textautors für dieses Werk ist wohl der An-spruch auf die äußere Unversehrtheit des Textes, leider jedoch nochnicht die Bedingung, daß der Autor die Wortregie führe, enthalten. Erzweifelt durchaus nicht an dem redlichsten Willen des Theaters, an dasWerk alle Kraft zu wenden, über die es verfügt, er muß aber nach allenErfahrungen, die er mit Offenbach-Aufführungen gemacht hat, daran zwei-feln, daß heute welche Bühne immer imstande ist, dem Stil, dessen Wie-dergewinnung seine Absicht und das Motiv seiner Arbeit ist, ohne seinepraktische Mitwirkung nahezukommen. Darum vermeidet er es, offizielljeder Wiedergabe seiner Bearbeitungen beizuwohnen, die ohne seine Wort-regie erfolgt. Daß er zu deren Ausübung eingeladen wird, scheitert zu-meist an den materiellen Möglichkeiten des Theaters. Für Prag und gera-de um seines Lieblingswerkes willen würde er nun auf jede materielleEntschädigung verzichten und sich mit dem Ersatz der Reise- und Aufent-haltsspesen begnügen. Der Aufenthalt ließe sich verkürzen, wenn der Re-gisseur dem am 30. in Wien (Offenbach-Saal) stattfindenden Vortrag derMadame l’Archiduc beiwohnte, von dem er immerhin manches profitierenkönnte. Die Zumutung des Regisseurs, daß Herr Karl Kraus ihm schrift-lich seine Wünsche bekanntgebe – nebst der Ansicht, daß es „vielleichtnett wäre“, wenn er für Pragnoch einige Strophen“ dichtete – muß HerrKarl Kraus ablehnen. Er macht kein Hehl daraus, daß gerade diese Zu-schrift des Regisseurs, so gut gemeint sie sein mag und so wenig er anseinem redlichen Bestreben zweifelt, ihn mit gewissen Besorgnissen fürdie Aufführung der Madame l’Archiduc erfüllt. Was die Strophen anlangt,so steht deren Zusetzung, die dem Gedanken der Operette ja entspricht,nichts im Wege. Sie mögen von einem anderen verfaßt werden, müßten aberdem Autor des Buches vorgelegt und im Fall der Gutheißung – ganz so wiejede Improvisation – schliesslich als nicht vom Autor stammend auf dem Theaterzet-tel angezeigt sein. Daß er einem aktuellen oder lokalen Bedürfnis zu-liebe auf fremden Antrieb irgendetwas schreiben sollte, ist natürlichundenkbar. Abschließend möchten wir Ihnen sagen, daß Herr Karl Kraus

der Aufführung offiziell nur beiwohnen könnte, wenn er sie gutheißt.Solches vermöchte er aber nur, wenn ihm rechtzeitig der Einfluß auf diesprachliche Gestaltung eingeräumt würde. Jede Entstellung Offenbachssei es durch die falsche Erneuerung mit Hilfe eines fremden, sei esdurch Benützung seines eigenen Textes – bestimmt ihn, das Werk durchProtest wie durch Vortrag in der Stadt, in der sie sich vollzogen hat,zu rehabilitieren, um dem Gedanken der Offenbach-Renaissance Genüge zutun.

Mit vorzüglicher Hochachtung