173.13 Brief Verlag Die Fackel an Deutsches Theater Prag

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Sender

Verlag Die Fackel (Wien)
Hintere Zollamtsstraße
III., Landstraße
Datum: 16. Februar 1932

Empfänger

An: die Direktion des | Deutschen Theaters
Prag
Seite von 4

Ablegen Verlag der Fackel

Sehr geehrte Herren!

Die Eindrücke von den Proben zusammenfassend, möchte HerrKraus Ihnen sagen, daß ihm Ihr Versprechen einer „sorgfältigsten Ein-studierung und zwar tunlichst im Sinne der von Herrn Kraus inaugu-rierten Offenbach-Renaissance“ insoweit erfüllt scheint, als er zwarim Sinn jener Offenbach-Renaissance vorfand. Freilich dazu den gutenWillen, zu manchem schon erreichten Guten auch die empfohlenen Ver-besserungen und Veränderungen dort vorzunehmen, wo eben ein Wider-spruch zwischen der Inszenierung und dem Gedanken der Offenbach-Re-naissance auffiele, der auch den befürchteten Widerspruch zu der Zi-tierung im Programmheft ergeben würde. Das Gesehene und Gehörte –vor allem jedoch das Gesehene – ließ Ihren Wunsch vom 11. Januar, daßHerr Kraus dem Theaterdurch künstlerische Einflußnahme an die Handgehe“, begreiflich scheinen. Was ihm aber an Ort und Stelle wenigerbegreiflich schien, war das Ansinnen, die Leistung auch dort gutzu-heißen, ja durch Erscheinen bei der Erstaufführung zu verantworten, wosich der künstlerischen Einflußnahme deutlich und zugestandenermaßeneine außerkünstlerische Erwägung entgegenstellte. Rechtlich liegt dieSache nun allerdings so, daß der Autor nach dem vorhandenen Vertragmit dem Verlage keinen andern geistigen Anspruch hat als den auf dieUnversehrtheit der Quantität des von ihm für die Aufführung eingerich-teten Textes. Wenn ihm aber ein künstlerischer Einfluß durch prakti-sche Mitarbeit eingeräumt wird, so könnte, wenn schon hieraus keinrechtlicher Anspruch abzuleiten wäre, füglich doch eine Anerkennungdessen, was ihm als Verletzung des künstlerischen Gutes erscheint,von ihm nicht zu verlangen und nicht zu erwarten sein. Eine solche Ver-letzung scheint ihm hauptsächlich durch die „bühnenbildnerische“ Ge-staltung bewirkt wie durch jene bloß im Bereich des neuen Operetten-unfugs möglichen Tanzbewegungen, die die musikalischen und sprachli-chen Werte gleichermaßen alterieren. Tanzen hat in „Madame l’Archiducnur Raum, wo es sinngemäß und organisch der Handlung entspricht: buch-

stäblich also im Finale des 2. Aktes, wenn der närrische Hof sich aufeine Tanzreise, fast auf eine Springprozession begibt. Der Abschluß derSzene mit einem regelrechten Cancan, wie es eigentlich gedacht ist, oderdoch mit Springen und Hüpfen, käme dem Wesentlichen der Sphäre ungleich nä-her als die dekorative Herablassung der Krone (in dem sonst ganz entsprechendem Ahnensaal). Außerdem tritt der Tanznoch während des Gesanges der Marietta, („… man tanzt in der Rund“)tatsächlich in seine Rechte. Keineswegs jedoch mit dem Beineschlenkerndes Fortunato und der kleinen Soldaten, sei es beim Entree sei es beimChor des III. Akts. Für Girl-Übungen ist weder diese Musik noch dieseVersübersetzung geschaffen worden, und jegliche Verbindung des Begriffesder „kleinen Soldaten“ mit solchem Unwesen heutigen Amüsiertheaters wirdabgelehnt. Die zum Glück aufgegebene Idee, zu Beginn die kleinen Solda-ten vor dem Publikum defilieren zu lassen, wäre wirksamer zu einem Auf-tritt durchs Parkett zu steigern gewesen, wie es dem Usus bei Reinhardt entspricht. Noch bessere Restaurateure, wie etwa der vorbildlicheSteinmeier, würden auf der Suche nach dem Zeitgemäßen und zugleich Zug-kräftigen auch den Gedanken nicht verschmähen, jene dem Publikum beiderGeschlechter auf den Schoß setzen zu lassen. Es ist möglich, daß einTheater nach den vorhandenen Verträgen auch mit Offenbach und seinemdeutschen Textautor solche Schlager zu verbinden berechtigt wäre. Aberniemals könnte auch die Anerkennung erzielt werden, daß damit die vonHerrn Kraus inaugurierte Offenbach-Renaissance ins Werk gesetzt sei.Ebensowenig wäre solche Anerkennung für szenische Einfälle zu erreichenwie die Flankierung sämtlicher Bilder durch Schildwachhäuschen, die Ver-quickung sämtlicher szenischen Gelegenheiten mit dem Motiv der Herzenund Herzchen, und dergleichen Überflüssigkeit einer Symbolisierung, wel-che wieder in groteskem Widerspruch zu der Überflüssigkeit jener Reali-sierung steht, die dem Wirtshaus die numerierten Hotelzimmertüren auf-gesetzt hat – mit dem hingemalten Stiefel, der ablenkt und geradezuein Hemmschuh der primärsten Theaterwirkung werden könnte. Der Autor des deutschen Textes, welcher zu solchem Unfug keinerlei Handhabe bie-tet, weist grundsätzlich darauf hin, daß solche szenische Willkür imdritten Akt zur Streichung der Stelle „unter den Bäumen“ geführt hat,weil eben in einem Park, der ein Kasernhof ist, keine Bäume vorgesehensind, und er möchte Sie fragen, was man unternommen hätte, wenn das Mo-tiv der Bäume in gebundener Sprache vorkäme. Er verwahrt sich dagegen,

daß die Freizügigkeit der dekorativen Phantasie den Text, an den sie sichzu halten hätte, behindert. Er spricht die Erwartung aus, daß Ihre Zusa-ge, solchen Unfug, soweit er als noch abstellbar erkannt wurde, abzustel-len, schon in der Erstaufführung, der er nicht persönlich beiwohnen kann,erfüllt sein wird. Es handelt sich ihm keinesfalls darum, gegen die Kon-zessionen, die eingestandenermaßen einem angeblichen „Geschmack“ der Ge-genwart gemacht werden sollen, einen angeblichen „Geschmack von 1875“ zuverteidigen. Wären damals die Inszenierungen nach einem Geschmack von 1875erfolgt, so wären sie heute veraltet. Aber sie sind damals bloß in einerbesseren Einsicht erfolgt, als sie das heutige Theater hat: in das Wesendes Theaters und in die Zeitentrücktheit des Wesens der Operette. AllesZeitgebundene, ob es nun der Gegenwart angehört oder einer dem Gedächtniserreichbaren Vergangenheit, das verstandesmäßig Kontrollierbare, hat vonder Szene der Operette entfernt zu werden, wie jener Bart des Minister-darstellers, der gewiß eher aus dem Jahr 1875 stammt und ganz so wenigmit „Madame l’Archiduc“ und dem Begriff der Operette zu schaffen hat wiedie Herzkaserne mit Kakteen als Kasernhofblüte, wie der Pavillon der Grä-fin und alles was sich der Bühnenbildner unter dem vorgeschriebenen her-zoglichen Park vorgestellt hat (und was der Textautor, dem das Werk jaauch einigermaßen bekannt ist, sofort als eine Kreuzung aus Tempelhof undTunis agnoszieren konnte). Dies Gesehene mag auf anderem Gebiet oder ineinem anderen Stück außerordentlich wertvoll sein, mit Offenbach und Ma-dame l’Archiduc hat es nichts zu schaffen, und es steht auch in sichtba-rem Widerspruch zu den Kostümen, die der Vorstellung eines uns hinreichendentrückten Zeitalters durchaus gerecht werden. Herr Kraus, der den ebensosichtbaren Widerspruch zu Offenbach und den in Ihrem Programm zitiertenLeitsätzen noch schmerzlicher empfindet, zweifelt nicht, daß der Regisseur allen ihm dargelegten Intentionen gerecht werden und keine dahingehendeZusage unerfüllt lassen wird. Es handelt sich um die Unkenntlichmachungalles allzu spielerisch Naturgetreuen wie allzu spielerisch Symbolisie-renden, kurz alles Kunstgewerblichen, das der Entfaltung echten Bühnen-lebens hier wie seit Jahrzehnten (nicht 1875, aber 1895) im Wege steht.

Was dessen eigenste Möglichkeiten bei der Prager Aufführung be-trifft, so war gewiß manches anzuerkennen, das sich bei Ausführung derempfohlenen Korrekturen durchaus bewähren wird. Leider war es ja Herrn K. nicht möglich, den damals erkrankten Darsteller des Erzherzogs zu beur-teilen, und bloß möglich, ihm die Rolle vorzusprechen. Doch wäre noch ein-mal darauf hinzuweisen, daß es sich hier um keinen Thaddädl-Typus handelt,wie er etwa einem an Herrn Tautenheyn geschulten Publikumsgeschmack ent-sprechen könnte, sondern um einen „Charakterkomiker“, dessen burleskes

Tun des tragischen Beisatzes nicht entbehrt, wie ihn ja der Ausbruchseiner Liebesraserei und der ihm folgende Niederbruch deutlich bekun-den.

Mit allem Dank des Herrn Kraus für die Mühe, die schon vorseinem Eintreffen aufgewendet wurde, für die der gemeinsamen Arbeit undfür den unbezweifelbaren guten Willen, auch allen Anforderungen, diesich unabweislich ergaben, noch gerecht zu werden, zeichnen wir

in vorzüglicher Hochachtung