176.31 Brief RA Otto Elias an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Otto Elias,

Sender

Dr.jur. Elias | Notar
Hansastr. 50 II
Dortmund
Datum: 27. Juli 1932
Diktiersigle: S./I.

Empfänger

An: Herrn | Rechtsanwalt Dr. Oskar Samek
Schottenring 14
Wien. I.
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Kollege

In Sachen des Herrn Karl Kraus gegen Schulz-Dornburg komme ichwegen einer Reihe auswärtiger Termine erst jetzt zur Erledigung IhrerZuschrift vom 21.7.

Die Staatsanwaltschaft hat auf den Weg der sogenannten Privatklageverwiesen, weil das Gesetz ihr das in einem Falle wie diesem ausdrück-lich gestattet. Entscheidend dafür, ob die sogenannte Offizialklagenicht erhoben wird, soll das sogenannte öffentliche Interesse sein.Ueberall dort, wo es verneint wird, bleibt also nur der Weg der Pri-vatklage.

Dass in solchem Fall der Richter praeoccupirt wäre, kann dar-nach, allgemein gesehen, eigentlich niemals zutreffen. Eine ganz an-dere Frage bleibt es natürlich, ob solcher Richter nicht aus ganzanderer Erwägung heraus trotzdem zum Freispruch gelangen möchte.

In dieser Hinsicht muss ich gewisse Möglichkeiten zugeben: DerRichter brauchte ja nur zu unterstellen, dass Schulz-Dornburg geglaubt habe, den Intentionen des Herrn Verfassers gerecht zu werden,gleichsam seine Interessen, kraft negotiorum gestio, richtig zuwahren, um so unter

Behauptung Bejahung der objektiven Strafwürdigkeit, aus sogenanntem sub-jektiven Grund, also in Verneinung eines Schuld-Moments, dennoch zumFreispruch zu kommen.

Mit solcher Möglichkeit wäre gerade heute bei uns ganz beson-ders scharf zu rechnen, wenn es der Gegenseite gelänge, die Persön-lichkeit unseres Herrn Karl Kraus politisch einer Capitis diminutiozu unterziehen: Essen ist der Ort, an dem der Ersatz für den Preus-sischen Ministerpräsidenten Otto Braun als Oberbürgermeister amtier-te, und von Essen wurde Herr Curt Melcher als Polizeipräsident-Er-satz jetzt nach Berlin geholt!

Auf der anderen Seite wird man allerdings gerade in Essen kaumbesonderes Interesse an Schulz-Dornburg noch nehmen, nachdem derHerr, nach Pressemeldungen aus „weiblichen Gründen“ demissionierte.

Unabhängig von der – darnach zweifelhaften – Frage des Ausgangsder Straf- oder Privatklagesache bliebe aber der Civilprozess gegenEssen: Das Fahrlässigkeits-Moment wäre dort meines Erachtens gar-nicht auszuschalten.

So glaube ich, eine Verfolgung im Wege der Privatklage nur bedingtdie Klage im Civilprozess gegen Essen aber mehr anempfehlen zu sollen.Auch das allerdings nur clausula rebus politicis sic stantibus:So wie die Verhältnisse bei uns liegen, ist eigentlich jeden Tagmit Putsch samt nachfolgender Diktatur zu rechnen. Die aber würde,getreu ihrem Schlagwort, Herrn Kraus klaglos stellen, nachdem sieihn des deutschen Bürgerrechts nicht erst berauben kann.

Sollte die nahe Zukunft ergeben, dass ich zu schwarz sah, hätteDeutschland ein unwahrscheinliches Glück gehabt.

Inzwischen bitte ich sehr darum, mich Herrn Karl Kraus – der dieZusammenhänge zweifellos besser übersieht als ein kleiner Provinz-Advokat meiner Art – bestens zu empfehlen.

Mit collegialer Hochachtung!Elias Rechtsanwalt.

29.VII.32KrausEssener Städt. Bühnen