178.1 Brief RA Egon Schwelb (Prag) an Samek

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Dr. Egon Schwelb
Národní Třída 24
PRAG II.
Datum: den 10. Juni 1932

Empfänger

An: Herrn Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt
Schottenring 14
Wien I.
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Dr. StraussKuh-Ehrenbeleidigung-Passiv.

Ich erlaube mir, mich auf Ihr gesch. Schreiben vom 6.ds. an Herrn Dr. Emil Franzel zu beziehen, sowie auf die Unterre-dungen des Herrn Dr. Franzel mit Herrn Karl Kraus.

Ich danke Ihnen für Ihre frdl. Bereitschaft,mir Material in der Rechtssache gegen Anton Kuh zur Verfügung stellenzu wollen und gestatte mir, das Folgende mitzuteilen:

1./ Ich vertrete rechtsfreundlich Herrn Dr. EmilStrauss, der verantwortlicher Redakteur der Zeitung: „Sozialdemokratin Prag ist. Herr Dr. Strauss ist von Anton Kuh beim Strafkreisgerichtals Schöffengericht in Prag, wegen des Vergehens der Ehrenbeleidigunggeklagt worden. Gegenstand der Klage ist der ganze Inhalt der beilie-genden beiden Artikel vom 22. April 1932 und vom 28. April 1932, dieich Ihnen in der Beilage im Originale übersende.

Ich bitte jedoch, mir die beiden Artikelnach Einsichtnahme frdl. wieder zurücksenden zu wollen. Beide Artikelhaben die gleiche Ueberschrift „Deutsche Kultur in Prag. Die Uraniaund ihr Anton Kuh.“ Der zweite Artikel enthält Bemerkungen zu einertatsächlichen Berichtigung des Herrn Anton Kuh, die gleichfalls inihrem ganzen Umfange inkriminiert sind.

2/. Ich erlaube mir zu bemerken, dass in materiellrechtlicherBeziehung hier unverändert die Bestimmungen des Strafgesetzbuchesüber Ehrenbeleidigungen gelten. Zuständig ist, sofern das Vergehender Ehrenbeleidigung geklagt ist, ein fünfgliedriges Schöffensenat,/ 3 Berufsrichter, 2 Schöffen / Wenn bloss wegen Vernachlässigung derpflichtgemässen Obsorge geklagt wird, hingegen ein Dreirichter-senat ohne Schöffen.

Die Judikatur der Schöffengerichte ist ausserordentlichstreng. Die Position des beschuldigten Redakteurs ist nach unsererPraxis ausserordentlich schwierig. 95 von 100 aller Pressprozessewerden bei uns gleich nach Einleitung des Verfahrens durch Vergleichebeendet. Die Leserschaft der Zeitungen weiss derart vereinbarte Ehren-erklärungen entsprechend gering zu werten.

3./ Mit Rücksicht auf die Persönlichkeit des Herrn AntonKuh ist es aber nicht möglich, ihm eine der üblichen Ehrenerklärungenauszustellen.

Aus diesem Grunde muss Herr Dr. Strauss diesen Prozessführen, obwohl es mit Rücksicht auf die scharfen formellen Beleidigun-gen sehr zweifelhaft ist, ob der Prozess überhaupt gewonnen werdenkann.

Meine Bitte an Sie, sehr geehrter Herr Doktor, geht nundahin, Sie möchten die ausserordentliche Liebenswürdigkeit haben, mir

Material zur Führung des Wahrheitsbeweises zur Verfügung zu stellen.Das Material über die auf die Tätigkeit des Herrn Kuh in Berlin und inPrag bezüglichen Behauptungen dürfte mir von anderer Seite zukommen.

Meine Bitte an Sie bezieht sich sohin insbeson-dere auf jene Behauptungen, die den Prozess des Kuh mit Herrn KarlKraus betreffen und ferner die Beziehungen des Kuh zu Bekessy.

4./ Der Vollständigkeit halber bemerke ich noch, dassKuh gegen Herrn Dr. Strauss auch eine Klage wegen der Uebertretungder §§ 21 und 22 des hier noch geltenden altösterreichischen Press-gesetzes überreicht hat, dass Herr Dr. Strauss jedoch – vorläufig inerster Instanz – freigesprochen worden ist. Es ist ferner ein Ehren-beleidigungsprozess gegen Kuh anhängig, wegen der in einem Vortragin Prag von ihm begangenen Beschimpfungen der Mitglieder der Redaktiondes „Sozialdemokrat“.

5./ Ich habe nach dem Gesetz die Anträge auf Führungdes Wahrheitsbeweises bis 16.ds. zu überreichen. Ich habe jedoch –was zulässig ist – um Verlängerung der Frist um 14 Tage, d.i. bis zum30. d.Mts. angesucht.

Ich danke Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, imVoraus bestens für Ihre Freundlichkeit und sehe der Erteilung vonInformationen mit grossem Interesse entgegen.

Wie bereits oben erwähnt, bitte ich, mir die bei-

liegenden Zeitungsblätter nach Einsichtnahme gütigst zurückstellenzu wollen.

Ich zeichne, im Voraus bestens dankend,mit vorzüglicher Hochachtungals Ihr ergebener:Dr. Schwelb

2 Beilagen.Rekommando.