189.64 Brief Samek an RA Johann Turnovsky

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Reindorfgasse
XIV., Penzing
Datum: 6. August 1934
Betreff: Kraus – Gegenangriff
Diktiersigle: Dr.S/Fa

Empfänger

An: Herrn | Dr. Johann Turnovsky, | Advocat
Vodickova 33
Prag II.
Seite von 3

Sehr geehrter Herr Kollege!

Da ich nicht weiss, ob Sie schon wiederin Prag oder noch an Ihrem Urlaubsort sind, sende ich diesenBrief an beide Adressen. Zu besprechen hätte ich mit Ihnendrei unerledigte Fragen.

1.) Das Vorgehen, wegen der Behauptung, die Werke von KarlKraus würden „im Ramsch verkauft“. Aus Ihrem Brief vom13. Juli 1934 glaube ich herauslesen zu können, dass Siegegen die Klage auf Widerruf und dessen Veröffentlichungsind. Jedenfalls scheinen Sie Bedenken dagegen zu haben.Offenbar ist Ihnen der Begriff, Bücher werden im Ramschverkauft, nicht ganz geläufig. Damit soll ausgedrückt wer-den, dass der Ladenpreis der Bücher, um sie überhaupt an-bringen zu können, auf einen geringen Teil des ursprünglichenPreises herabgesetzt werden müsste und dass sie regulär nichtmehr verkauft werden können.

Ich bitte Sie, mir unter Berücksichtigung dieser Begriffs-stellung mitzuteilen, ob Sie jetzt die Klage für aussichts-voller halten.

2.) Mit Schreiben vom 25. Juli 1934 sandten Sie die Nummer 29des 2. Jahrganges des Gegen-Angriffs ein, wo nunmehr die

Erklärung richtig abgedruckt war. Auf der nächsten Seite warein Feuilleton-Artikel unter dem Titel „Mut, Verrat oderFeigheit?“. Ich glaube, dass dieser Artikel wieder eine Be-leidigung darstellt, weshalb ich Sie bitte, sich die Nummer zu verschaffen und mir Ihre Meinung mitzuteilen. Besondersbeleidigend ist die Fragestellung, aus der hervorgeht, dassder Schreiber der Ansicht ist, das Schreiben des Herrn Kraus sei auf Verrat oder Feigheit zurückzuführen, und der vor-letzte Absatz des Artikels mit dem folgenden Wortlaut:

Karl Kraus hat grosse Verdienste von früher her,‘ ver-suchen ihn seine immer mehr und mehr schwindenden Freundezu entschuldigen. Ihnen sei geantwortet: es gibt Leute,die trotz aller Verdienste heute Hitlerbarden sind – lauteund schweigende. Was beweist das für die Gegenwart, waseiner früher war? Ein Herr mit besserer Vergangen-heit. Ich kenne eine Klosettfrau, die früher einmal einegrande Cocotte war. (Womit aber nichts gegen Klosettfrauengesagt sein soll.)

Ueberdies ist mir in Erinnerung (Ihre Briefesind leider bei Herrn Kraus und ich muss mich daher auf meinGedächtnis verlassen), dass vereinbart wurde, der ‚Gegen-Angriff‘ dürfe in der Nummer, in welcher die Erklärung abge-druckt wird, zu der Materie des Beleidigungsprozesses nichtStellung nehmen. Ich erbitte mir Ihre Rechtsansicht, ob durchden Artikel die Vereinbarung verletzt worden ist und welchejuristischen Möglichkeiten aus dieser Verletzung Herrn Kraus zustehen.

3.) Die in der Nummer 30 des 2. Jahrganges vom 29. Juli 1934 enthaltene Bemerkung „Reserviert für Karl Kraus Berichtigungen!

halte ich zwar für eine Verspottung, doch glaube ich, dassdie Sache so geringfügig ist, dass man ihretwegen einen Be-leidigungsprozess nicht einleiten soll.

Indem ich Ihnen im Namen des Herrn Kraus und auch im eigenen Namen für Ihre Besorgnis aus Anlass derVorfälle in Wien herzlichst danke und die Mitteilung machenkann, dass wir von Ihnen nicht unmittelbar betroffen waren,zeichne ich, Ihnen beste Erholung wünschend,

mit vorzüglicher kollegialer Hochachtungals Ihr ergebener