192.8 Brief Jan Münzer an Kraus

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Kopie

Schreiberhände:

  • Jan Münzer, schwarze Tinte

Sender

Jan Münzer
Praha
Datum: 14.6.34

Empfänger

An: Karl Kraus
Lothringerstraße
I., Innere Stadt
Seite von 2

Sehr geehrter Herr Kraus,

ich habe mich bei der Zusammenkunft mit Herrn Prof. Dr. Jaray an eineunverzeihliche Unterlassung erinnert. Sie haben mir den ersten Bandder Werke Shakespeares in Ihrer Bearbeitung geschickt und mich da-mit in höchstem Mass erfreut. Obwohl ich Ihnen sofort danken wollte,vergass ich es in den bewegten Tagen, die bei mir nun schon einigeWochen dauern. Vor kurzem erinnerte ich mich plötzlich in der Nachtdaran und wäre beinahe aufgestanden, um Ihnen sofort zu schreiben.Leider tat ich es nicht, denn früh hatte ich es wieder vergessen. Ichkann nichts anderes tun als eingestehen, wie es sich verhält, und bit-te Sie, mir als erleichternden Umstand anzurechnen, dass ich in denletzten Wochen von einer Arbeit zur andern eile. Für das schöne Buch und seine Widmung danke ich Ihnen von Herzen. Das Gefühl, Ihre Sym-pathien zu besitzen, ist für mich erhebend und jeder Beweis dieserBeziehung, welcher Art immer er sei, erfreut mich mehr als vieles,was die Welt zu bieten hat. Meine Beziehung zu Ihnen ist unwandelbar.Umso grösser ist meine Freude, wenn ich sehe, dass Ihre Sympatiedauernd ist.

Herr Prof. Dr. Jaray hat in einem Gespräch über den Verlag einen Um-stand erwähnt, der mir Anlass zu einer Aufklärunggibt. Herr Prof. Dr. J. wird Ihnen persönlich wohl noch einiges zu die-ser Sache sagen, ich möchte in Kürze nur konstatieren, dass wederich noch irgendjemand im prager Verlag auch nur einen Augenblicklang die Sache so sah, als hätte der prager Verlag eine mäzenati-sche Beziehung zu Ihnen. Sie haben, sehr geehrter Herr Kraus, vor demKriege und während des Krieges, ebenso wie nach dem Kriege, beiverschiedenen Gelegenheiten öffentlich kundgetan, dass Sie die Sacheunseres Volkes, namentlich während es um seine Freiheit kämpfte, füreine gerechte Sache halten. Sie haben fast als einziger Schriftstel-

ler deutscher Sprache mit Sympathie und Hochachtung von unseremVolke gesprochen, als fast alle Ihre Landsleute, die öffentlich wirken,in Wort und Schrift nur Schmähungen oder Hass für uns übrig hatten.Dieser Sachverhalt war nicht nur mir, sondern auch den Leitern desprager Verlages bekannt, als ich den Vorschlag zum Transport derBücher machte, und dieser Sachverhalt war auch entscheidend für dieAnnahme des Vorschlages. Es kann dabei also nur von Dankbarkeit undvon einer Ehrung eines Mannes die Rede sein, der hier hoch geachtetund bewundert wird, niemals aber von Mäzenatentum.

Diese Tatsachen spiegeln sich freilich nicht in der geschäftlichenKorrespondenz, die in dieser Sache stattgefunden hat. Sie müssen je-doch bedenken, dass der prager Verlag ein Geschäftsunternehmen ist,dessen Korrespondenz nicht mit dem gleichem Mass gemessen werdendarf wie z.B. die Korrespondenz des Verlages Die Fackel. Der pragerVerlag schickt täglich hundert und mehr Briefe in die Welt, für ei-nen Brief bleiben einige Minuten Zeit, da ist es durchaus begreif-lich, wenn die Briefe in kurzer Fassung und gewissermassen beiläufigstylisiert sind, wobei natürlich mehr auf das Geschäftliche als aufalles übrige geachtet wird.

Damit ist, wie ich hoffe, ein Sachverhalt aufgeklärt, der, wie ich ver-mute, nur dadurch entstanden ist, dass Sie diese technischen Umständenicht genügend in Rechnung gezogen haben und dass Sie andererseitsbei dem Verlag eine Auffassung der ganzen Sache voraussetzten,die durchaus nicht den Tatsachen entspricht.

Ich hoffe, Sie bald wieder einmal in Prag sehen zu können. Von meinerFrau habe ich die herzlichsten Grüsse auszurichten. Ich selber ver-bleibe verbleibe mit dem Ausdruck meiner unwandelbaren aller-grössten Hochachtung und herzlichen Grüssen

Ihr Jan Münzer