Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland schlug der tschechische Journalist des České Slovo und Kraus-Übersetzer Jan Münzer Karl Kraus vor, die bei einem Leipziger Kommissionär lagernden Buchbestände bei dem Prager Verlag Melantrich in Kommission zu geben, um sie vor einer eventuellen Vernichtung zu schützen. Karl Kraus sagte zu, nicht so sehr, weil er die Vernichtung seiner Buchbestände fürchtete, sondern weil ihn die Möglichkeit interessierte, seine Werke beim Verlag Melantrich in Originalsprache in einer Sammlung europäischer Autoren unterzubringen. Es lag Kraus von Anfang an daran klar zu stellen, dass es nicht um einen Hilferuf seinerseits oder um eine mäzenatische Beziehung des Melantrich-Verlages zu ihm gehe. Erste Probleme ergaben sich bezüglich der Transportkosten der Bücher, für die der Melantrich-Verlag eine Garantie verlangte, die schließlich Jan Münzer, Karl Jaray und Max von Lobkowicz übernahmen. Anders als vereinbart schickte der Verlag in weiterer Folge keine vierteljährlichen Abrechnungen und verlangte einen fünfzigprozentigen Anteil auch an den aktuellen Fackel-Heften, obwohl für diese nur ein dreißigprozentiger Anteil vereinbart worden war. Als der Verlag Die Fackel und Kraus’ Prager Rechtsanwalt Johann Turnovsky urgierten, kündigte der Verlag den Vertrag „zur Unzeit“ auf bzw. behauptete, dass der Vertrag eigentlich nicht rechtsgültig zustande gekommen, da Jan Münzer nicht berechtigt gewesen sei, für den Verlag zu verhandeln. Karl Kraus reichte durch Johann Turnovsky Klage ein und bekam Recht. Der Vertrag Melantrich musste Kraus die ihm zustehenden Gewinne überweisen, ohne die Transportkosten in Abzug zu bringen. Interessant ist allerdings, dass das Gericht im Urteil – trotz des für Kraus günstigen Ausgangs – betonte, dass der Zeugenaussage von Karl Kraus weniger Glauben zu schenken sei als jener der Mitarbeiter des Melantrich Verlages (s. 192.23 Urteil und 192.24 Brief Turnovskys). [193.] Nach Erscheinen des umfangreichen Fackel-Heftes 890–905 spitzten sich die Auseinandersetzungen zwischen der sozialdemokratischen Exilantenpresse und Kraus (s. auch Akten 187 und 189) weiter zu. Im Sozialdemokrat erschien ein Artikel mit Angriffen gegen Kraus, der „sehr laut für den Austrofascismus Partei“ ergreife. Karl Kraus und Samek klagten, vertreten durch den Prager Rechtsanwalt Johann Turnovsky, den verantwortlichen Redakteur Emil Strauss wegen Nachrede und Verleumdung. Turnovsky gab allerdings zu bedenken, dass die Richter in beiden Prager Pressesenaten „durchaus sozialdemokratisch orientiert“ seien und das zum Problem werden könne (s. 193.13 und 193.15). Der gegnerische Anwalt, Egon Schwelb, verkündete nun, er werde den Wahrheitsbeweis für die im Artikel aufgestellten Behauptungen antreten und beweisen, dass Kraus’ Standpunkt „in absolutem Widerspruch zu alledem, das der Privatkläger Jahrzehnte hindurch geschrieben und verkündet hat“ stehe. Diesen Beweis werde er durch Vorlesung der entsprechenden, übersetzten Fackel-Artikel erbringen. Kraus versuchte vor allem durch Hinweis auf seine Schrift „Hüben und Drüben“ zu belegen, dass er die sozialdemokratische Führung schon viel früher immer wieder angegriffen habe, jedoch nie die Arbeiterschaft. Er überließ es aber Samek und Turnovsky, „Hüben und Drüben“ entsprechend auszuwerten. Zum einen litt er in dieser Zeit stark unter Rheumatismus, zum anderen erklärte Samek: „Ich konnte Herrn K. nicht bewegen, dies selbst zu tun oder auch nur zu überprüfen, weil er eine Pein empfindet, schon veröffentlichte Sachen wieder zu lesen“ (193.41). Ein weiterer wichtiger Punkt in der Argumentation der Kraus’schen Anwälte wurde ein kurz zuvor von Emil Franzel geschriebener und im Sozialdemokrat veröffentlichter Artikel zu Kraus’ 60. Geburtstag, der Kraus als „Sozialisten“, wenn auch nicht „Sozialdemokraten“, lobte. Da es sich, vor allem was Kraus eigene Artikel anging, um hochkomplexes, sehr schwer zu übersetzendes Material handelte, wurde es für Turnovsky sehr schwer, dem Gericht Kraus’ Anliegen und Sache begreiflich zu machen. Das Gericht genehmigte den gewissermaßen absurden, höchst zeit- und kostenaufwendigen Beweisantrag der Gegenseite, drei Dramen von Kraus (u.a. Die Letzten Tage der Menschheit) und viele Fackel-Hefte übersetzen zu lassen. Dieser Antrag zielte (wie auch den Briefen Egon Schwelbs im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes zu entnehmen ist) auf eine Verschleppung und Sabotierung des Verfahrens hin, die auch gelang. Turnovsky, Samek und Kraus versuchten gegen die „monströse“ Beweisaufnahme, die unerfüllbar sei und nicht zur Sache gehöre, aufzutreten und zugleich die Delegierung des Prozesses nach Leitmeritz zu verhindern – beides gelang, doch die Gegner stellten nun einen neuen Beweisantrag, der auf Zeugenaussagen basierte. Ende November 1935 erschien ein weiterer, Kraus beleidigender Artikel im Sozialdemokrat, woraufhin abermals eine Presseklage wegen Ehrenbeleidigung gegen Emil Strauss eingebracht wurde. In Sachen dieser zweiten Klage wurde Ende Januar 1936 ein Vergleich abgeschlossen. Emil Strauss veröffentlichte eine Satisfaktionserklärung, übernahm die Prozesskosten und spendete einen Sühnebetrag. In den folgenden beiden Monaten diskutierten Samek und Turnovsky den neuen gegnerischen Beweisantrag und wie darauf zu reagieren sei, als Turnovsky plötzlich mitteilen musste, dass ihm – unwissentlich – ein Formfehler unterlaufen war: Durch den Abschluss des Vergleiches mit Emil Strauss in der Angelegenheit des Artikels vom November 1935 sei Kraus des Klagerechts im ersten Prozess verlustig geworden. Der Sozialdemokrat und auch andere Prager Zeitungen stellten in den folgenden Tagen triumphierend diesen Ausgang des Prozesses als „Freispruch“ und Sieg für Emil Strauss dar. Kraus, Samek und Turnovsky versuchten durch diverse Berichtigungsschreiben, diesen falschen Schein zu berichtigen – weitgehend erfolglos. Turnovsky legte gegen das Urteil, dass Kraus sein Verfolgungsrecht durch den Vergleich eingebüßt habe, Nichtigkeitsbeschwerde ein. Er riet aber davon ab, Emil Strauss und Egon Schwelb wegen der falschen Darstellungen in ihrem Bericht über den Ausgang des Prozesses (im April 1936) zu klagen, da die Schwierigkeiten mit den Prager Pressesenaten immer schlimmer würden. Samek schrieb: „Dass gegen den erweckten Anschein, Herr Dr. Strauss sei auf Grund eines durchgeführten Wahrheitsbeweises freigesprochen worden, nicht mit einer Ehrenbeleidigungsklage vorgegangen werden kann, beschäftigt Herrn K. ungemein, und er findet, dass es eine unerträgliche Situation ist, nichts dagegen machen zu können“ (193.137). Auch von weiteren Ehrenbeleidigungsklagen in dieser Sache riet Turnovsky ab, da den Pressesenaten nur schwer verständlich gemacht werden könne, wie ein Thema Gegenstand dreier Prozesse werden könne: „Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass ich trotz allen hier angeführten Erwägungen bereit bin, die von Ihnen entworfene Klage zu überreichen und nach besten Kräften vor Gericht zu vertreten und dass mich nicht Bequemlichkeit oder sonstige persönliche Gründe veranlasst haben, dem von Herrn K. und ihnen in Aussicht genommenen Prozessen zu widerraten“ (193.143). Wenige Tage später starb Karl Kraus, der in den vergangenen Wochen immer wieder krank gewesen war. Kraus’ Brüder führten die Prozesse weiter, die Ehrenbeleidigungsklage wegen des falschen Prozessberichts war nun doch eingebracht worden. Das Oberste Gericht in Brünn lehnte Turnovsky Nichtigkeitsbeschwerde schließlich ab. Mit Egon Schwelb, der schließlich auch noch eine Disziplinaranzeige gegen Turnovsky einzubringen versuchte, einigten sich Turnovsky und Samek in der Sache des falschen Prozessberichtes schließlich auf eine abzugebende Ehrenerklärung des Beklagten. Samek dankte Turnovsky in seinen letzten Briefen nochmals innig für seinen Einsatz und hoffte, diesen Dank auch öffentlich machen zu können (ab 193.187).
192.1 Brief Jan Münzer an Verlag Die Fackel
19. Dezember 1933
keine Orte
keine Klassifikation
keine Angaben
192.2 Brief Verlag Die Fackel an Jan Münzer
21. Dezember 1933
keine Orte
keine Klassifikation
keine Angaben
192.3 Brief Verlag Die Fackel an Jan Münzer
18. Januar 1934
keine Orte
keine Klassifikation
keine Angaben
192.4 Brief Jan Münzer an Verlag Die Fackel
5. Februar 1934
keine Orte
keine Klassifikation
keine Angaben
192.5 Brief Jan Münzer an Karl Kraus
9. Februar 1934
keine Orte
keine Klassifikation
keine Angaben
192.6 Vertragsentwurf zwischen Verlag Die Fackel und Melantrich-Verlag
30. März 1934
keine Orte
keine Klassifikation
keine Angaben
192.7 Brief Jan Münzer an Verlag Die Fackel
11. April 1934
keine Orte
keine Klassifikation
keine Angaben
192.8 Brief Jan Münzer an Kraus
14. Juni 1934
192.9 Brief Melantrich-Verlag an Verlag Die Fackel
16. Juni 1934
keine Orte
keine Klassifikation
keine Angaben
192.10 Brief Melantrich-Verlag an Verlag Die Fackel
3. Juli 1934
keine Orte
keine Klassifikation
keine Angaben
192.11 Brief Jan Münzer an Karl Jaray
10. Juni 1934
192.12 Brief Melantrich-Verlag an Karl Jaray
13. Dezember 1934
keine Orte
keine Klassifikation
keine Angaben
192.13 Brief RA Johann Turnovsky an Samek
17. April 1935
192.14 Brief Verlag Die Fackel an Melantrich-Verlag
4. Juni 1935
192.15 Brief RA Johann Turnovsky an Max von Lobkowicz
10. September 1935
192.16 Brief RA Johann Turnovsky an Samek
28. September 1935
192.17 Beweisanträge der klagenden Partei
8. Februar 1935
192.18 Brief RA Johann Turnovsky an Samek
30. September 1935
192.19 Brief RA Johann Turnovsky an Samek
8. November 1935
192.20 Brief RA Johann Turnovsky an Samek
28. November 1935
192.21 Parteienaussage Karl Kraus (G.Z. 36/36)
8. Februar 1936
192.22 Brief RA Johann Turnovsky an Samek
28. Februar 1936
13. März 1936
192.24 Brief RA Johann Turnovsky an Samek
23. März 1936
192.25 Brief RA Johann Turnovsky an Samek
22. April 1936
192.26 Brief RA Johann Turnovsky an Samek
13. Mai 1936
192.27 Brief RA Johann Turnovsky an Samek
27. Mai 1936
192.28 Brief RA Johann Turnovsky an Samek
4. Juni 1936
22. Mai 1935
keine Orte
keine Klassifikation
keine Angaben
192.28 Brief Jan Münzer an Karl Kraus
16. Juli 1933
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Jan Münzer
6. Februar 1934
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Jan Münzer
12. Februar 1934
192.28 Brief Jan Münzer an Verlag Die Fackel
22. Februar 1934
192.28 Brief Jan Münzer an Verlag Die Fackel
28. Februar 1934
192.28 Brief Jan Münzer an Verlag Die Fackel
7. März 1934
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Verlag Melantrich
8. März 1934
192.28 Brief Verlag Melantrich an Verlag Die Fackel
19. März 1934
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Verlag Melantrich
20. März 1934
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Verlag Melantrich
26. März 1934
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Verlag Melantrich
3. April 1934
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Verlag Melantrich
6. April 1934
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Jan Münzer
6. April 1934
192.28 Brief Verlag Melantrich an Verlag Die Fackel
6. April 1934
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Verlag Melantrich
10. April 1934
192.28 Brief Verlag Melantrich an Verlag Die Fackel
13. April 1934
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Jan Münzer
24. April 1934
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Verlag Melantrich
25. April 1934
192.28 Postkarte Verlag Melantrich an Verlag Die Fackel
12. Mai 1934
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Verlag Melantrich
15. Mai 1934
192.28 Brief Verlag Melantrich an Verlag Die Fackel
18. Mai 1934
192.28 Brief Jan Münzer an Karl Jaray
3. Juli 1934
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Verlag Melantrich
7. Juli 1934
192.28 Postkarte Verlag Melantrich an Verlag Die Fackel
18. Juli 1934
192.28 Postkarte Verlag Melantrich an Verlag Die Fackel
2. August 1934
192.28 Brief Buchhandlung Julius Kittls Nachfolger an Verlag Die Fackel
4. August 1934
192.28 Brief Verlag Melantrich an Verlag Die Fackel
9. August 1934
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Verlag Melantrich
16. August 1934
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Verlag Melantrich
27. August 1934
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Verlag Melantrich
24. September 1934
192.28 Brief Verlag Die Fackel an Jan Münzer
16. Oktober 1934
192.28 Brief Jan Münzer an Verlag Die Fackel
19. Oktober 1934
192.28 Brief Jan Münzer an Verlag Die Fackel
20. Oktober 1934
192.28 Brief Karl Jaray an Jan Münzer
12. Dezember 1934
192.28 Brief Karl Jaray an Bedrich Fucik
12. Dezember 1934
192.28 Brief Karl Jaray an Jan Münzer
21. Januar 1935
192.28 Brief Samek an Verlag Melantrich
25. Januar 1935
192.28 Karte Verlag Melantrich an Samek
2. Februar 1935
192.28 Brief Jan Münzer an Karl Jaray
5. Februar 1935
192.28 Brief Verlag Melantrich an Samek
8. Februar 1935
192.28 Brief Karl Jaray an Jan Münzer
12. Februar 1935
192.28 Brief Verlag Melantrich an Karl Kraus
22. Mai 1935
192.28 Brief Jan Münzer an Karl Kraus
6. Mai 1935