192.21 Parteienaussage Karl Kraus (G.Z. 36/36)

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, roter Stift
  • Oskar Samek, Bleistift

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen
Datum: 8. Februar 1936
Seite von 6

Abschrift.

G.Z: Nc 36/362

Parteienaussage Karl Kraus vom 8. Februar 1936.

Der Kläger Karl Kraus, 28.4.1874, kfl., Schriftsteller,Wien 4., Lothringerstrasse 6, gibt nach WE. und Vorhalt des § 376ZPO. vorl. unbeeidet vernommen an:

Ich bin Inhaber des Verlages „Die Fackel“. Unmittelbar nachdem Umsturze in Deutschland im Jänner 1933 fuhr ich zu Vortrags-zwecken nach Prag und kam dort mit Herrn Johann Münzer, derder Uebersetzer meiner Werke ist, zusammen. Im Laufe des Gesprächesfragte er mich spontan, ob ich nicht zufolge des politischen Um-sturzes in Deutschland und wegen zu befürchtender übergreifenderEreignisse in Oesterreich Besorgnisse wegen meines Bücherbestandeshätte. Ich erwiderte, dass ich an diese Umstände eigentlich nichtgedacht hätte, denn genau so müsste ich ja um die Möbel meinerWohnung besorgt sein. Münzer machte mir nun den Vorschlag,ich sollte meine Werke nach Prag bringen, das damals allgemein als poli-tisches Trifugion Refugium gehalten wurde. Er, Münzer, habe Gelegen-heit, meine Werke beim Verlag Melantrich, dessen Namenich damals zum ersten Male hörte, in Kommission unterzubringen, d[a]er mit dem Verlage Melantrich in ständiger Verbindungsei, dort grossen Einfluss habe. Ich hatte den Eindruck, dass erfür den Verlag Melantrich vollkommen verfügungsberechtigt und derliterarische Ratgeber dieses Verlages sei. Ich selbst kannte nie-manden vom Verlage Melantrich, ich habe auch im Verlaufe des ganzenKommissionsgeschäftes nur mit Johann Münzer gesprochen, mitanderen Personen vom Verlage Melantrich habe ich niemals gespro-chen. Johann Münzer teilte mir den Plan mit, Werke berühm-ter europäischer Autoren in der Originalsprache in Generalkommis-sion des Verlages Melantrich zu nehmen. Mir gefiel diese Idee anund für sich, ich liess mich nicht nur von dem Gedanken, meineWerke in Sicherheit zu bringen, leiten, sondern wurde insbeson-dere durch die Idee, meine Werke in der Originalsprache unterzu-bringen und zwar in der Sammlung europäischer Autoren, bewegen,auf das Anbot Münzers einzugehen. Ich bemerke hiezu ins-besondere, dass ich es selbst gar nicht für möglich gehalten hätte,dass Werke in deutscher Sprache bei einem cechischen Verlag inKommission untergebracht würden. Hätte ich lediglich den Plangehabt, meine Werke in Sicherheit zu bringen, so hätte ich dazuandere Möglichkeiten ausnützen können und zwar insbesondere dieHilfe von Bekannten im Gebiete der Cechoslovakei und zwar sowohl

für Einlagerungszwecke als auch für den Vertrieb. Ich führe nochan, dass ein deutscher Verlag in Prag Andr o e sehr verärgertwar, als er erfuhr, dass ich meine Werke nicht ihm in Kommissiongegeben habe, sondern dem cechischen Verlage Melantrich. WenigeTage nach dieser Unterredung teilte mir Münzer noch währendmeiner Anwesenheit in Prag mündlich mit, dass die Herren vomVerlage Melantrich über seine Idee begeistert seien undihm auch überaus dankbar seien, dass es zu diesem Geschäfte kommensolle. Ich hörte nunmehr längere Zeit nichts, von Münzer undvom Verlage Melantrich, erst bei meiner nächsten Anwe-senheit in Prag im Juni 1933, wie ich mich noch zu erinnern glaubeteilte mir Münzer mit, dass Verhandlungen im Zuge seien.Ich selbst habe nicht an den Verlag Melantrich geschrieben.

Ich weilte im Dezember des Jahres 1933 wieder in Prag und erhielt nach meiner Rückkunft nach Wien ein Schreiben desHerrn Johann Münzer vom 19.12.1933, worin er mich ersuchte,beziehungsweise den Verlag der Fackel, ihm ein Verzeichnis meinerWerke mit Angabe der Zahl der Exemplare und des Preises der ein-zelnen Exemplare einzusenden, da der Verlag Melantrich eine beson-dere Kommissionsabteilung errichtet habe, welche den Zweck habe,Werke anderer Verleger zu verkaufen. Der Verlag „Die Fackel“ übersandte daraufhin Herrn Münzer am 21. Dezember 1933 dasgewünschte Verzeichnis. Der Verlag Melantrich liess nichts vonsich hören, der Verlag „Die Fackel“ schrieb daher an HerrnMünzer am 18. Jänner 1934, was mit der Sache eigentlich sei.Diese Urgenz war durch die Auflassung des Leipziger Kommissions-lagers veranlasst worden. Am 5.2.1934 langte ein Brief des HerrnMünzer ein, worin er mir mitteilte, dass der Verlag Melan-trich zur Uebernahme meiner Werke in Kommission bereit sei undwürde die Uebernahme zu 50% Rabatt in einigen Tagen erfolgen. Dieweitere Entwicklung ergibt sich aus der bereits beim Akte erlie-genden Korrespondenz. Am 9. Februar 1934 langte ein Schreiben desHerrn Münzer ein, worin er mir mitteilte, die Sache mitdem Verlag sei erledigt, die Sendung erfolge auf Kosten des PragerVerlages. Unter dieser Sendung war der Transport vom Leipziger Verleger Köhler nach Prag und von Wien nach Prag, welchletzterer bedeutend grösser war, gemeint. Ich war immer der Auf-fassung, dass die Vereinbarung, der Verlag Melantrich zahle dieTransportspesen, so aufzufassen ist, dass der Verlag Melantrich diese Transportkosten aus eigenem trage, insbesondere deshalb,weil der Leipziger Kommissionär nur einen Rabatt von 47%, der

Verlag Melantrich dagegen einen Rabatt von 50% erhielt. In dieserAuffassung wurde ich durch das erwähnte Schreiben vom 9.2.1934bestärkt. Als mir Münzer in der Folgezeit mündlich mitteilte,er habe sich nur schlecht ausgedrückt, er meinte, der Verlag Melan-trich strecke nur einstweilen die Transportspesen vor, während siemir schliesslich mir zur Last fallen sollten, habe ich eingewilligt,dass ich die Transportspesen trage und zwar sollten die Transport-spesen verrechnet werden. Es war zwischen mir und Münzer be-sprochen, dass nur die alten Hefte der Zeitschrift „Die Fackelunter das erwähnte Kommissionsgeschäft mit 50% Rabatt fallen solltenwährend die aktuellen Hefte der Fackel ausserhalb dieses Vertrages,wie in einem normalen Sortiment vertrieben werden sollten. Kurzdarauf wurden tatsächlich die Büchervorräte von Wien und Leipzig nach Prag befördert und vom Verlag Melantrich übernommen. Im Gegen-satz zu der Vereinbarung, dass die Abrechnung vierteljährlich er-folgen solle, legte der Verlag Melantrich keine Rechnung, erst nachwiederholten Urgenzen seitens des Verlages „Die Fackel“ und sei-tens Dris. Turnovsky in Prag erfolgte die Abrechnung.Ich glaube, dass auch Dr. Samek auf Abrechnung drängte. DieAbrechnung sollte in der Form erfolgen, dass der Saldo, der sichzu meinen Gunsten aus der vierteljährlichen Abrechnung ergab,durch die cechische Nationalbank an mich überwiesen werde.

Für mich bestand kein Zweifel, dass Johann Münzer berechtigt sei, für den Verlag Melantrich rechtsverbind-liche Erklärungen abzugeben, dies umsomehr, als der Verlag Melan-trich alles bestätigte und durchführte, was Münzer vorge-schlagen und erklärt hatte, jedoch mit einer einzigen Ausnahme,als nämlich der Verlag Melantrich erklärte, einen Rabatt von 60%an Stelle des 50%igen zu verlangen und dass die Abmachungen desHerrn Münzer den Verlag Melantrich nichts angin-gen und er nicht berechtigt sei, für den Verlag Erklärungen abzu-geben. Letzteres zeigt mir der Verlag Melantrich mit Schreiben vom16. Juni 1934 an. Mit Schreiben vom 3. Juli 1934 teile der VerlagMelantrich mit, dass der Rabattsatz 50% betrage und die Kostendes Transportes der Verlag „Die Fackel“ zu tragen habe.

Als die Abrechnung nur summarisch erfolgte und kein Geldüberwiesen wurde, brachte ich die Klage ein, woraufhin der VerlagMelantrich das Kommissionsverhältnis mit der Begründungaufkündigte, dass er mit einem Partner, der sich so verhalte, nichtsmehr zu tun haben wolle.

Herr Münzer konnte niemals der Meinung sein, dassauch die aktuellen Hefte der Zeitschrift „Die Fackel“ unter den50%igen Rabattsatz fallen, da über diesen Punkt zwischen mir undihm gesprochen wurde und ich mich ausdrücklich dagegen verwehrte.

Die Behauptung der beklagten Partei, ich hätte mich zufolgemeiner bedrängten Lage und in der Besorgnis, dass die Werke inDeutschland und Oesterreich beschlagnahmt würden, Hilfe suchend ansie gewendet, damit sie mich vor Schaden bewahre, ist vollständigunrichtig, ich behaupte in diesem Zusammenhange, dass sowohl HerrDr. Fucik als auch Herr Münzer die Unwahrheit gespro-chen haben. Der beste Beweis für die Richtigkeit meiner Behauptungist der, dass der Transport des Kommissionslagers von Leipzig, wieauch von Wien nach Prag erst im März 1934 erfolgte, also nach mehrals einem Jahre nach dem Umsturze in Deutschland. Eine Beschlagnahmeder Bücher in Deutschland ist seitens deutscher Behörden niemalsverfügt worden, ebenso drohte auch in Oesterreich keine Beschlag-nahme. Die Besorgnisse für Oesterreich bezogen sich auf revolutio-näre Eingriffe seitens nationalsozialistischer Kreise. Ich selbsthabe aber verfügt, dass meine Bücher weder nach Deutschland ausge-führt, noch das dortige Kommissionslager abverkauft werde miteiner einzigen Ausnahme, einer Shakespearebearbeitung. Auch dieBezieher der Fackel haben die Zeitschrift über meine Weisung nichtmehr erhalten.

Von irgendeiner Hilfeleistung seitens der beklagten Parteiim Interesse der Rettung meines Vermögens und im kulturellen Inte-resse kann nicht die Rede sein. Wenn auch Münzer mit seinemVorschlage vermeinte, mir zu Hilfe zu kommen, was ich menschlichanerkenne und würdige, so war das treibende Moment bei mir nichtdie Rettung meines Bücherbestandes, der überhaupt nicht gefährdetwar, sondern lediglich das Interesse, dass meine Bücher in dieSammlung europäischer Autoren aufgenommen würden und schliesslich,dass das Leipziger Kommissionsverhältnis, das unhaltbar gewordenwar, durch ein neues ersetzt werde.

Was über die Kündigung des Kommissionsverhältnisses verein-bart wurde, ist mir nicht erinnerlich, es wurde jedoch auch diesschriftlich niedergelegt, mündlich wurde über die Kündigung desVerhältnisses nichts gesprochen.

Da Münzer der aussenpolitische Redakteur „CeskoSlovo“ war, welche Zeitung dem Verlag Melantrich angegliedert ist,wie er mir mitteilte, so hatte ich kein Bedenken, in ihm tatsäch-lich einen vertretungsbefugten Beauftragten des Verlages Melantrich

zu erblicken, umsomehr, wie ich bereits angeführt habe, als seineMitteilung mit jener erwähnten Ausnahme vom Verlage Melantrich bestätigt wurden.

Ich habe die Kündigung seitens des Verlages Melantrich des-halb nicht zur Kenntnis nehmen können, weil sie zur Unzeit erfolgteund das Kommissionsverhältnis mindesten für mich nur mit einem Ver-lust geendet hätte. Insbesondere stehe ich auf dem Standpunkt, dassdas Kommissionsverhältnis mindestens solange dauern müsste, bisaus dem mir zufliessenden Reingewinne die Transportkosten, mit de-nen ich belastet wurde, bezw. entgegenkommender Weise zugab, michdamit belasten zu lassen, zur Gänze getilgt seien.

Auch mit den Februarunruhen im Jahre 1934 in Wien hatte derTransport der Bücher nichts zu tun, da der bezüglich Antrag desJohann Münzer bereits am 5. Februar 1934 in Wien einlangte,also zu einer Zeit, wo von einer Panik jedenfalls nicht gesprochenwerden konnte, weil die Unruhen erst am 12. Februar 1934 aus-brachen.

Auf Befragen des Beklagtenvertreters:Ich habe lediglich mit Herrn Münzer verhandelt,sonst habe ich mit niemandem von Seiten der Beklagten gesprochen.Die Tatsache, dass die aktuellen Hefte der Fackel nicht unter denRabattsatz von 50% fallen, wurde in der Korrespondenz dadurch zumAusdruck gebracht, dass nur von „Büchern“ die Rede war. Ich be-merke, dass jedoch unter dem Begriffe „Bücher“ auch die altenFackel-Hefte eingeschlossen waren. Meiner Ansicht nach konnte nieein Zweifel daran bestehen, dass die aktuellen Hefte der Fackel nicht unter das Kommissionsverhältnis fallen. Prof. Dr. Jaray erzählte mir auch, dass der Verlag Melantrich meinen Standpunktausdrücklich anerkannt habe. Auch Münzer war dieser Ansicht.

Es war vereinbart, dass von den 50%, die auf mich fallen25% mir ausgezahlt werden wollten, während die restlichen 25% vomVerlage Melantrich mit den Transportkosten verrechnet werdensollten. Dies wurde von der beklagten Partei in der Korrespondenzauch anerkannt. Von dem Reingewinn, der aus dem Verkaufe deraktuellen Fackel-Hefte auf mich entfallen sollte, durfte überhauptnichts auf Transportspesen verrechnet werden, da dieser Verkaufder Fackel-Hefte mit dem Kommissionsvertrag überhaupt nichts zutun hatte. Hinsichtlich der aktuellen Fackel-Hefte war derMelantrichverlag nur Sortimenter wie jeder andere Buchhändler.Ich wusste überhaupt nicht, dass der Melantrich-Verlag einenoffenen Buchladen hatte.

Münzer hat mich niemals aufmerksam gemacht, dass erlediglich Vermittler sei und nicht Bevollmächtigter der beklagtenPartei und zwar weder mündlich noch schriftlich; sein Verhaltenerweckte vielmehr den Anschein und er sagte dies auch, dass er fürdie Beklagte handlungsberechtigt sei.

V.g.g.Beide Teile legten Kostennoten ein.

Ende 11 Uhr 10Dauer 5/2 StundenStempel S 15.– je zur Hälfte beigebracht.

Beide Teile ersuchen um Protokollsabschrift.Abschriftstempel per je S 3.– beigebracht.

Herr Karl Kraus erklärt anschliessend, dass er obigeAussage vollinhaltlich beeiden könne.