192.25 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Schreiberhände:

  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte
  • Karl Kraus, Bleistift

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY
Vodičkova 33
Prag
Datum: 22.IV.1936
Betreff: Kraus – Varia

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, Advokat
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Datum: 23.APR.1936
Seite von 6

Sehr geehrter Herr Doktor.

Herr K. wird Ihnen jedenfalls berichtethaben, was während seiner Anwesenheit in Prag vorgefallen ist.Ich konnte Ihnen seit seiner Abreise bis heute deswegen nichtschreiben, weil ich an die Ausarbeitung der Berufungsmittei-lung in Sachen Melantrich erst nach der Abreise des Herrn K. schreiten konnte. Die Berufungsmitteilung habe ich heute, amletzten Tage der Frist, überreichen lassen. Sie ist, so sehrich mich bemüht habe, mich kurz zu fassen, doch ein sehr um-fangreicher Schriftsatz geworden / 28 Seiten /, ich glaube aber,dass alle in der Berufungsschrift geltendgemachten Gründe ent-sprechend widerlegt sind. Bis ich ein wenig Zeit habe, werde ichIhnen eine Uebersetzung wenigstens der Berufungsmitteilung ver-fassen und einsenden, damit Sie sie in den Akten haben und HerrKraus entsprechend informiert ist.

Wie Sie jedenfalls wissen, hat das tschecho-slovakische Pressbüro über den Prozess „Sozialdemokrat“ jeden-falls auf Grund der ihm von der Gegenpartei erteilten Informationen einenBericht an die Tagesblätter herausgegeben, den diese, bis aufwenige Ausnahmen, mit grösster Bereitwilligkeit veröffentlichthaben. Dieser Bericht ist formell nicht unrichtig, muss jedoch

bei dem uninformierten Leser den Eindruck erwecken, dass Dr.Strauss auf Grund der durchgeführten Beweise freigesprochenworden ist. Dies hat Herrn K. veranlasst, durch mich Press-berichtigungen an die einzelnen Blätter einzusenden, welchejedoch von keinem der Blätter veröffentlicht worden sind.Die Berichtigung an das Prager Tagblatt entspricht gewiss nichtder Pressgesetznovelle, sie wurde jedoch trotzdem verlangt, weilHerr K. der Ansicht war, dieses Blatt werde es nicht wagen, dieVeröffentlichung zu unterlassen. Darin haben wir uns getäuscht.Gestern rief mich der Anwalt des Prager Tagblatt, Herr Dr. OtomarSpitz, an und teilte mir mit, er sei vom Tagblatte beauftragtworden zu überprüfen und sich darüber zu äussern, ob der Inhaltder verlangten Berichtigung des Gesetze entspricht und ob dasBlatt daher verpflichtet ist, die Berichtigung zu bringen.Ich bemerke, dass Herr Dr. Spitz mein persönlicher Freund istund dass er mir ganz loyal mitgeteilt hat, dass er gerne durchseine Aeusserung die Veröffentlichung der Berichtigung, derenFassung er ausgezeichnet gefunden hat, veranlasst hätte. Es seiihm aber nicht möglich gewesen, weil ihm ausdrücklich aufgetra-gen worden ist, genau zu prüfen, ob die Berichtigung gebrachtwerden muss und ob die Ablehnung der Veröffentlichung für dasTagblatt mit einem Risiko verbunden sein könnte. Deswegen habeer die Aeusserung abgeben müssen, dass die verlangte Berichti-gung dem Pressgesetze insoferne nicht entspricht, als Tatsachenberichtigt werden, die in der berichtigten Nachricht nicht be-hauptet worden sind. Ich habe Herrn Kollegen Dr. Spitz – ausdrück-lich als meine Aeusserung – darauf mitgeteilt, dass ich erwartethätte, dass das Prager Tagblatt eine von mir eingesendete Berich-

tigung veröffentlichen wird, was, selbst wenn die Berichtigung dem Pressgesetze formell nicht ganz entsprochen hätte, umsomehram Platze gewesen wäre, als es das Blatt für richtig gehaltenhat, eine Nachricht zu reproduzieren, die die Leser unrichtiginformiert, und über andere Prozesse des Herrn K., in welchendie Gegner verurteilt worden sind, oder Satisfaktionserklärun-gen abgegeben und sich zur Zahlung von Geldbussen für die Ar-beitslosen und zum Ersatze der Prozesskosten verpflichten muss-ten, grösstes Stillschweigen bewahrt hat.

Das Gespräch mit Herrn Dr. Spitz war rein internund ich habe zum Schluss bemerkt, dass ich seine Mitteilung zurKenntnis nehme und es meinem Mandanten überlasse, die Konsequenzaus der Unterlassung der Veröffentlichtung der Berichtigung zuziehen.

Der Chef – und verantwortliche Redakteur derPRAGER PRESSE, A. Laurin, hat mich ebenfalls angerufen und mirFolgendes mitgeteilt: Er persönlich sei bereit gewesen, dieBerichtigung zu veröffentlichen und zwar trotzdem er selbstder Ansicht gewesen sei, dass sie dem Pressgesetze nicht ganzentspricht. Er hätte dies aus Loyalität für Herrn K. gerne ge-tan, weil er ihn sehr verehre, vielleicht einer der wenigen Le-ser der FACKEL ist, die alle Fackelhefte besitzen und kennen,aber er sei nicht allein massgebend und deswegen habe er dieVeröffentlichung nicht vornehmen können, als ihm von den An-wälten des Blattes mitgeteilt worden sei, dass sie dem Gesetzenicht entspricht. Offenbar ist Herr Laurin bestimmt worden, die

Veröffentlichung deswegen zu unterlassen, weil es sich um eineim Blatte reproduzierte Nachricht des Prager amtlichen Press-büros handelt, zu welchem die Prager Presse als offiziösesOrgan offenbar jedenfalls in enger Beziehung steht. Herr Laurin erklärtemir, er sei sehr gerne bereit, eine andere Berichtigung zu brin-gen, auf deren Wortlaut wir uns einigen könnten, um für seinePerson der peinlichen Lage enthoben zu sein, Herrn K. die Ver-öffentlichung einer Berichtigung verweigert zu haben.Auf meine Bemerkung, dass die Berichtigung dem Pressgesetzeentspricht und dass doch nicht geleugnet werden könne, dassdie veröffentlichte Nachricht zumindest in dem Punkte unwahrgewesen sei, in welchem behauptet wird, dass der Prozess von?einem Senate des Strafgerichtes beendet wurde, erwiderte HerrL., die Anwälte hätten darauf hingewiesen, dass aus der Schluss-bemerkung über die erhobene Nichtigkeitsbeschwerde klar hervor-gehe, dass eine definitive Beendigung des Prozesses nicht be-hauptet wurde, diese Behauptung daher nicht berichtigt werdenmüsse. Ich teilte Herrn Laurin mit, dass ich meinem Mandanten über den Inhalt dieses Gespräches Mitteilung machen und seineWeisungen zu den Anregungen des Herrn L. bezüglich der Veröf-fentlichung einer anderen Berichtigung einholen werde.

Der SOZIALDEMOKRAT hat natürlich in keinerWeise reagiert. Ebensowenig haben sich die LIDOVÉ NOVINY ge-äussert.

Herr Dr. Herrmann (Brünn) hat mir den Bericht des BrünnerTagesboten Nr. 178 eingesendet, der unbedingt berichtigungsfähigist. Ich schliesse den betreffenden Bericht bei und bitte um

Ihre Mitteilung, ob die gleichfalls beigeschlossene Berichtigung an den TAGESBOTEN abgesendet werden soll.

Es bleibt jetzt zu entscheiden, ob gegen dieeinzelnen Blätter nach § 14 wegen der Verweigerung der Veröffent-lichung der Berichtigung eingeschritten werden soll.

Gegen das TAGBLATT scheint mir ein solches Einschreiten aussichts-los, gegen die PRAGER PRESSE insbesondere dann nicht erforderlich,wenn dieses Blatt eine andere, von Herrn K. akzeptierte Berichtigungbringt. Gegen den SOZIALDEMOKRAT kann, wie ich glaube, mit Erfolgeingeschritten werden, ebenso gegen den TAGESBOTEN. Ob Herr K. aneinem Einschreiten gegen die LIDOVÉ NOVINY ein Interesse hat, weissich nicht.

Ich erbitte mir jedenfalls hiezu seine Weisungen.

Bei dieser Gelegenheit gestatte ich mir mitzu-teilen, dass ich von der Firma Löw Beers’ Söhne, welcher ich aufWunsch des Herrn K. geschrieben habe, die Antwort erhalten habe,dass dieser Firma von der ganzen Angelegenheit / es handelt sichum einen Artikel in der Zeitschrift „DER KAMPF welcher HerrnK., mit Bemerkungen versehen, in einem Briefe eingesendet worden ist,als dessen Absender diese Firma angeführt war / nichts bekannt istund dass sie weder eine Zeitschrift „Der Kampf“ kennt, noch etwas an denVerlag „Die Fackel“ eingesendet hat. Es scheint sich also umeine falsche Angabe des Absenders zu handeln. Ich erbitte mirIhre baldige Rückäusserung und zeichne mit besten Grüssen an HerrnK. und Sie und mit dem Ausdrucke der vorzüglichsten Hochachtung

ergebener:Dr. Turnovsky

Beigeschlossen

Durchschläge dreier PressberichtungenZeitungsausschnitt Tagesbote.Entwurf der neuen Pressberichtigung.

Kraus – diverses23. APR. 1936